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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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den einen, freilich großen Namen Eugen Burnoufs entgegenzustellen. Eng¬
land, in dem die Kenntniß der indischen Literatur durch W. Jones. den großen
Colebrooke und H. H. Wilson aufs glänzendste vertreten war, hat aus dem
Gebiet der Sprachvergleichung verhältnißmäßig wenig geleistet, jedenfalls weniger,
als unsre nordischen Nachbarn, zumal wenn wir nicht blos den in Deutschland
gebildeten Dänen Westergaard, sondern auch den ganz in Deutschland einge¬
bürgerten Norweger Lassen zu ihnen rechnen. Deutsche Gelehrte vertreten die
Sprachvergleichung aufs würdigste in England: es genügt, Max Müller, Gold¬
stücker und Aufrecht zu nennen. Deutsche Gelehrte haben die Sprachwissenschaft
nach dem Mutterlande der Sprache, von deren Kenntniß jene ausging, nach
Indien getragen. Die einheimischen Vertreter der indogermanischen Sprach¬
vergleichung und der Sanskntphilologie in Frankreich, England, Holland,
Amerika und Italien haben durchgängig direct oder indirect ihre Bildung aus
Deutschland bezogen und sind also als Schüler Bopps zu betrachten.

Die Resultate dieser sprachvergleichenden Studien sind allerdings nicht der
Art, daß wir, selbst wenn wir dazu im Stande wären, den Lesern dieser
Blätter ein Bild derselben entwerfen dürften. Vieles und Wichtiges entzieht
sich dem Auge jedes, der nicht den speciellsten Detailstudien nachgeht. Aber auch
der Laie muß ein Gefühl von der Bedeutung dieser Wissenschaft bekommen,
wenn ihm einzelne ihrer Hauptergebnisse vorgeführt werden. So viel auch
noch im Kleinen nachzuforschen ist, so unsicher selbst noch die Anwendung
mancher wichtigen Gesetze, und die Beantwortung mancher Fragen ist. auf
deren Beantwortung grade der Nichtkenner das größte Gewicht zu legen pflegt,
°-so ist doch die Thatsache unumstößlich nachgewiesen, daß die Vorfahren der
Inder (d. h. des im eigentlichen Indien herrschenden Culturvolks) der Iranier
un weitesten Sinne des Worts (Perser, Meder, Baktrier, Afghanen, Kurden,
Armenier, Osseten u. s. w.), Griechen, Italer, Slaven, Lithauer, Germanen
und Kelten -- abgesehen von einigen längst untergegangenen Völkern, z. B-
den Phrygern -- im grauen Alterthum ein einziges Volk bildeten, dessen
Sprache sich zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in den wesentlichsten
Zügen wissenschaftlich reconstruiren läßt. Das Material zu dieser Reconstruirung
giebt eben die sorgfältig methodische Vergleichung der einzelnen Sprachen, deren
individueller Bau selbst wieder durch jene eine ganz neue Beleuchtung erhält-
Durch diese Vergleichung ist es erst möglich geworden, Sprachen wieder zu
verstehen, hinsichtlich welcher die Tradition entweder ganz abgebrochen oder doch
durch die Länge der Zeit und besondere Verhältnisse sehr verdunkelt und irre-
leitend geworden war. Wohl hatte lange vor Bopps Auftreten der glänzende
Scharfsinn Grotefends die Inschriften persischer Könige in Keilschrift mit n"r
geringer Sprachkenntniß im Ganzen richtig entziffert, aber ein wirklich sichres
Verständniß wurde erst durch Anwendung der neuen Grundsätze der Sprach/


den einen, freilich großen Namen Eugen Burnoufs entgegenzustellen. Eng¬
land, in dem die Kenntniß der indischen Literatur durch W. Jones. den großen
Colebrooke und H. H. Wilson aufs glänzendste vertreten war, hat aus dem
Gebiet der Sprachvergleichung verhältnißmäßig wenig geleistet, jedenfalls weniger,
als unsre nordischen Nachbarn, zumal wenn wir nicht blos den in Deutschland
gebildeten Dänen Westergaard, sondern auch den ganz in Deutschland einge¬
bürgerten Norweger Lassen zu ihnen rechnen. Deutsche Gelehrte vertreten die
Sprachvergleichung aufs würdigste in England: es genügt, Max Müller, Gold¬
stücker und Aufrecht zu nennen. Deutsche Gelehrte haben die Sprachwissenschaft
nach dem Mutterlande der Sprache, von deren Kenntniß jene ausging, nach
Indien getragen. Die einheimischen Vertreter der indogermanischen Sprach¬
vergleichung und der Sanskntphilologie in Frankreich, England, Holland,
Amerika und Italien haben durchgängig direct oder indirect ihre Bildung aus
Deutschland bezogen und sind also als Schüler Bopps zu betrachten.

Die Resultate dieser sprachvergleichenden Studien sind allerdings nicht der
Art, daß wir, selbst wenn wir dazu im Stande wären, den Lesern dieser
Blätter ein Bild derselben entwerfen dürften. Vieles und Wichtiges entzieht
sich dem Auge jedes, der nicht den speciellsten Detailstudien nachgeht. Aber auch
der Laie muß ein Gefühl von der Bedeutung dieser Wissenschaft bekommen,
wenn ihm einzelne ihrer Hauptergebnisse vorgeführt werden. So viel auch
noch im Kleinen nachzuforschen ist, so unsicher selbst noch die Anwendung
mancher wichtigen Gesetze, und die Beantwortung mancher Fragen ist. auf
deren Beantwortung grade der Nichtkenner das größte Gewicht zu legen pflegt,
°-so ist doch die Thatsache unumstößlich nachgewiesen, daß die Vorfahren der
Inder (d. h. des im eigentlichen Indien herrschenden Culturvolks) der Iranier
un weitesten Sinne des Worts (Perser, Meder, Baktrier, Afghanen, Kurden,
Armenier, Osseten u. s. w.), Griechen, Italer, Slaven, Lithauer, Germanen
und Kelten — abgesehen von einigen längst untergegangenen Völkern, z. B-
den Phrygern — im grauen Alterthum ein einziges Volk bildeten, dessen
Sprache sich zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in den wesentlichsten
Zügen wissenschaftlich reconstruiren läßt. Das Material zu dieser Reconstruirung
giebt eben die sorgfältig methodische Vergleichung der einzelnen Sprachen, deren
individueller Bau selbst wieder durch jene eine ganz neue Beleuchtung erhält-
Durch diese Vergleichung ist es erst möglich geworden, Sprachen wieder zu
verstehen, hinsichtlich welcher die Tradition entweder ganz abgebrochen oder doch
durch die Länge der Zeit und besondere Verhältnisse sehr verdunkelt und irre-
leitend geworden war. Wohl hatte lange vor Bopps Auftreten der glänzende
Scharfsinn Grotefends die Inschriften persischer Könige in Keilschrift mit n»r
geringer Sprachkenntniß im Ganzen richtig entziffert, aber ein wirklich sichres
Verständniß wurde erst durch Anwendung der neuen Grundsätze der Sprach/


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/106>, abgerufen am 29.06.2024.