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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die Frage, ob er nur auf den Stock gezeichnet oder auch selbst geschnitten, oder
ob die meisterliche Arbeit des Schnitts durchweg Hans Lützelburger zuzuschreiben
sei, wird wohl eine offne bleiben müssen. Eine große Zahl dieser Holz¬
zeichnungen ist polemischer, satirischer Natur, eingreifend in den großen Kampf
der Zeit zwischen Humanisten und Obscuranten, zwischen Reformation und
Römerthum, und der geistesrüstige Künstler steht immer auf der Seite der
Geistesfreiheit. deren Gegner mit vernichtenden Spotte geißelnd. Aber alle diese
Blätter treten zurück gegen die gewaltigsten Schöpfungen im kleinsten Raum,
welche das alte Thema des " Todtentanz es " zum Vorwurf wählen. Den
Stoff fand er zumal in Basel bereits vielfach zu Wandgemälden in Klöster¬
kreuzgängen gestaltet vor; aber er faßte ihn an, wie keiner! zuvor mit einer
Vertiefung des Gedankens, mit einem grauenvoll erhabnen Dämonismus und
mit einer mächtigen Gestaltungskraft ohne Gleichen. Von den vierzig kleinen
simpel behandelten Blättchen, von denen doch eine so markerschütternde Gewalt
ausgeht, bringt das Album treffliche Photographier nach den vorzüglichsten
Abdrücken im berliner Kupferstichkabinet, darunter den über alles grandiosen
"Ritter". Herr Weltmann hat das Wesen dieser Compositionen echt und tief
erfaßt, wenn er darüber sagt: "Mit dem grauenhaft Phantastischen der mittel¬
alterlichen Vorstellung hat sich hier die moderne Ironie verbunden, die in Hol¬
beins Todesbildern wie in Shakespeares Tragödien lebt. Von der christlichen
Auffassung, die in Hoffnung auf ein jenseitiges Heil dem unvermeidlichen
Schicksal getrost entgegensieht, ist hier keine Spur......Aber grade in
diesem bittern Ernst der Auffassung, dieser Schadenfreude des Todes, der sich
durch keinen irdischen Glanz und Schimmer blenden, keinen gleißnerischen Schein
bethören läßt, grade die Macht und Hoheit, wo sie sich am größten fühlen, zu
stürzen und den Sünder, der keine irdische Strafe fürchtet, mitten im Frevel
zu packen weiß, lebt, wenngleich das religiöse fehlen mag, ein tief sittliches
Element."

Und doch hat Holbein diese Zeichnungen in einer spätern Behandlung deS
gleichen Stoffs noch weitaus überboten. Er componirte einen Todtentanz als
Vorbild für die Reliefs auf einer Dolchscheide. Diese Handzeichnung in schwarzer
Tusche besitzt das berliner Beuth-Sckinkelmuseum. Diese hinreißende schwung¬
volle Kühnheit der Composition, diese wunderbar schöne harmonische Einheit und
Geschlossenheit bei der erbarmungslosen Furchtbarkeit des Inhalts und des Aus¬
drucks, besonders der zu grauenvoller Lebendigkeit beseelten Todesgestalten, ist
auch in jenen Holzschnitten nicht erreicht.

Professor Otto, der bekannte Porträtmaler in Berlin und frühere Kupfer¬
stecher , war in den dreißiger Jahren mit einem Facsimilestich dieser unschätzbaren
Handzeichnung beauftragt. Der leidenschaftliche Künstler, schon fanatisch für
Holbein entflammt, eine zu düsterm mystischen Grübeln neigende Natur, nach"


Die Frage, ob er nur auf den Stock gezeichnet oder auch selbst geschnitten, oder
ob die meisterliche Arbeit des Schnitts durchweg Hans Lützelburger zuzuschreiben
sei, wird wohl eine offne bleiben müssen. Eine große Zahl dieser Holz¬
zeichnungen ist polemischer, satirischer Natur, eingreifend in den großen Kampf
der Zeit zwischen Humanisten und Obscuranten, zwischen Reformation und
Römerthum, und der geistesrüstige Künstler steht immer auf der Seite der
Geistesfreiheit. deren Gegner mit vernichtenden Spotte geißelnd. Aber alle diese
Blätter treten zurück gegen die gewaltigsten Schöpfungen im kleinsten Raum,
welche das alte Thema des „ Todtentanz es " zum Vorwurf wählen. Den
Stoff fand er zumal in Basel bereits vielfach zu Wandgemälden in Klöster¬
kreuzgängen gestaltet vor; aber er faßte ihn an, wie keiner! zuvor mit einer
Vertiefung des Gedankens, mit einem grauenvoll erhabnen Dämonismus und
mit einer mächtigen Gestaltungskraft ohne Gleichen. Von den vierzig kleinen
simpel behandelten Blättchen, von denen doch eine so markerschütternde Gewalt
ausgeht, bringt das Album treffliche Photographier nach den vorzüglichsten
Abdrücken im berliner Kupferstichkabinet, darunter den über alles grandiosen
„Ritter". Herr Weltmann hat das Wesen dieser Compositionen echt und tief
erfaßt, wenn er darüber sagt: „Mit dem grauenhaft Phantastischen der mittel¬
alterlichen Vorstellung hat sich hier die moderne Ironie verbunden, die in Hol¬
beins Todesbildern wie in Shakespeares Tragödien lebt. Von der christlichen
Auffassung, die in Hoffnung auf ein jenseitiges Heil dem unvermeidlichen
Schicksal getrost entgegensieht, ist hier keine Spur......Aber grade in
diesem bittern Ernst der Auffassung, dieser Schadenfreude des Todes, der sich
durch keinen irdischen Glanz und Schimmer blenden, keinen gleißnerischen Schein
bethören läßt, grade die Macht und Hoheit, wo sie sich am größten fühlen, zu
stürzen und den Sünder, der keine irdische Strafe fürchtet, mitten im Frevel
zu packen weiß, lebt, wenngleich das religiöse fehlen mag, ein tief sittliches
Element."

Und doch hat Holbein diese Zeichnungen in einer spätern Behandlung deS
gleichen Stoffs noch weitaus überboten. Er componirte einen Todtentanz als
Vorbild für die Reliefs auf einer Dolchscheide. Diese Handzeichnung in schwarzer
Tusche besitzt das berliner Beuth-Sckinkelmuseum. Diese hinreißende schwung¬
volle Kühnheit der Composition, diese wunderbar schöne harmonische Einheit und
Geschlossenheit bei der erbarmungslosen Furchtbarkeit des Inhalts und des Aus¬
drucks, besonders der zu grauenvoller Lebendigkeit beseelten Todesgestalten, ist
auch in jenen Holzschnitten nicht erreicht.

Professor Otto, der bekannte Porträtmaler in Berlin und frühere Kupfer¬
stecher , war in den dreißiger Jahren mit einem Facsimilestich dieser unschätzbaren
Handzeichnung beauftragt. Der leidenschaftliche Künstler, schon fanatisch für
Holbein entflammt, eine zu düsterm mystischen Grübeln neigende Natur, nach«


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[0102] Die Frage, ob er nur auf den Stock gezeichnet oder auch selbst geschnitten, oder ob die meisterliche Arbeit des Schnitts durchweg Hans Lützelburger zuzuschreiben sei, wird wohl eine offne bleiben müssen. Eine große Zahl dieser Holz¬ zeichnungen ist polemischer, satirischer Natur, eingreifend in den großen Kampf der Zeit zwischen Humanisten und Obscuranten, zwischen Reformation und Römerthum, und der geistesrüstige Künstler steht immer auf der Seite der Geistesfreiheit. deren Gegner mit vernichtenden Spotte geißelnd. Aber alle diese Blätter treten zurück gegen die gewaltigsten Schöpfungen im kleinsten Raum, welche das alte Thema des „ Todtentanz es " zum Vorwurf wählen. Den Stoff fand er zumal in Basel bereits vielfach zu Wandgemälden in Klöster¬ kreuzgängen gestaltet vor; aber er faßte ihn an, wie keiner! zuvor mit einer Vertiefung des Gedankens, mit einem grauenvoll erhabnen Dämonismus und mit einer mächtigen Gestaltungskraft ohne Gleichen. Von den vierzig kleinen simpel behandelten Blättchen, von denen doch eine so markerschütternde Gewalt ausgeht, bringt das Album treffliche Photographier nach den vorzüglichsten Abdrücken im berliner Kupferstichkabinet, darunter den über alles grandiosen „Ritter". Herr Weltmann hat das Wesen dieser Compositionen echt und tief erfaßt, wenn er darüber sagt: „Mit dem grauenhaft Phantastischen der mittel¬ alterlichen Vorstellung hat sich hier die moderne Ironie verbunden, die in Hol¬ beins Todesbildern wie in Shakespeares Tragödien lebt. Von der christlichen Auffassung, die in Hoffnung auf ein jenseitiges Heil dem unvermeidlichen Schicksal getrost entgegensieht, ist hier keine Spur......Aber grade in diesem bittern Ernst der Auffassung, dieser Schadenfreude des Todes, der sich durch keinen irdischen Glanz und Schimmer blenden, keinen gleißnerischen Schein bethören läßt, grade die Macht und Hoheit, wo sie sich am größten fühlen, zu stürzen und den Sünder, der keine irdische Strafe fürchtet, mitten im Frevel zu packen weiß, lebt, wenngleich das religiöse fehlen mag, ein tief sittliches Element." Und doch hat Holbein diese Zeichnungen in einer spätern Behandlung deS gleichen Stoffs noch weitaus überboten. Er componirte einen Todtentanz als Vorbild für die Reliefs auf einer Dolchscheide. Diese Handzeichnung in schwarzer Tusche besitzt das berliner Beuth-Sckinkelmuseum. Diese hinreißende schwung¬ volle Kühnheit der Composition, diese wunderbar schöne harmonische Einheit und Geschlossenheit bei der erbarmungslosen Furchtbarkeit des Inhalts und des Aus¬ drucks, besonders der zu grauenvoller Lebendigkeit beseelten Todesgestalten, ist auch in jenen Holzschnitten nicht erreicht. Professor Otto, der bekannte Porträtmaler in Berlin und frühere Kupfer¬ stecher , war in den dreißiger Jahren mit einem Facsimilestich dieser unschätzbaren Handzeichnung beauftragt. Der leidenschaftliche Künstler, schon fanatisch für Holbein entflammt, eine zu düsterm mystischen Grübeln neigende Natur, nach«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/102>, abgerufen am 29.06.2024.