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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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dem er dies Blatt erst einmal mit der Lupe geprüft hatte, versank so gänzlich
in die geheimnißvolle Wunderwelt, die sich ihm in dieser Composition. Formen-
gebung und Arbeit aufthat, daß er Auftraggeber, Zeit und Umgebung völlig
vergaß und Jahre einer Art der Facsimilirung opferte, die auch ohne Gleichen
in der Technik des Kupferstichs ist. Durch gerichtliche Procedur entwanden die
ungeduldigen Besteller dem Künstler Original und immer noch unvollendete
Platte, die dann von Lüderitz in seiner Weise zum Abschluß gebracht wurde.
Von diesem Abdruck giebt die Photographie des Albums ein treues Bild. Sie
würde es auch von der Originalzeichnung geben, hergestellt in wenig Minuten.
Ist es nicht ein frohes Bewußtsein, durch diese köstliche Erfindung nicht nur
alles Sichtbare, alles Schöne in Natur und Kunst im treusten Abbild in aller
Hände gebracht, sondern auch die Möglichkeit eines solchen Märtyrerthums.
wie es jener begeisterte Künstler damals erprobte, all seinen künftigen und
jetzigen Genossen erspart zu sehn?!

Holbeins in neuerer Zeit aufgefundenes Testament bestätigt, daß er 1543
an der Pest zu London schnell und Plötzlich verstorben sei.

Seinem Vaterlande während so langer Zeit entfremdet, ist er ohne Ein¬
fluß auf dessen weitere Kunstentwickelung geblieben, für welche der so segens¬
reich hatte werden können, da er neben dem germanischen Realismus, neben
volkstümlichen Gesinnung alles besaß, was der deutschen Malerei noth
that, den größern von Kleinlichkeit und Dürftigkeit freien Stil der Composition
und Zeichnung, daS erlesenere feinere Gefühl der Schönheit und Anmuth der
Form, und Sinn und Farbe des großen Coloristen. Aber er ging dahin und
blieb ohne Schüler und Nachfolger; und eines langen Entwickelungsganges der
nationalen Bildung hat es bedurft, bis wir ihn. unsern größten Meister, wieder
erst erkennen und würdigen als den. der er ist. Dr. Weidmanns in jeder Hin-
sicht gediegene, prächtig und zweckentsprechend ausgestattete treffliche Arbeit wird
Zweifellos viel dazu beitragen, diese gerechte Würdigung immer allgemeiner zu
machen.




dem er dies Blatt erst einmal mit der Lupe geprüft hatte, versank so gänzlich
in die geheimnißvolle Wunderwelt, die sich ihm in dieser Composition. Formen-
gebung und Arbeit aufthat, daß er Auftraggeber, Zeit und Umgebung völlig
vergaß und Jahre einer Art der Facsimilirung opferte, die auch ohne Gleichen
in der Technik des Kupferstichs ist. Durch gerichtliche Procedur entwanden die
ungeduldigen Besteller dem Künstler Original und immer noch unvollendete
Platte, die dann von Lüderitz in seiner Weise zum Abschluß gebracht wurde.
Von diesem Abdruck giebt die Photographie des Albums ein treues Bild. Sie
würde es auch von der Originalzeichnung geben, hergestellt in wenig Minuten.
Ist es nicht ein frohes Bewußtsein, durch diese köstliche Erfindung nicht nur
alles Sichtbare, alles Schöne in Natur und Kunst im treusten Abbild in aller
Hände gebracht, sondern auch die Möglichkeit eines solchen Märtyrerthums.
wie es jener begeisterte Künstler damals erprobte, all seinen künftigen und
jetzigen Genossen erspart zu sehn?!

Holbeins in neuerer Zeit aufgefundenes Testament bestätigt, daß er 1543
an der Pest zu London schnell und Plötzlich verstorben sei.

Seinem Vaterlande während so langer Zeit entfremdet, ist er ohne Ein¬
fluß auf dessen weitere Kunstentwickelung geblieben, für welche der so segens¬
reich hatte werden können, da er neben dem germanischen Realismus, neben
volkstümlichen Gesinnung alles besaß, was der deutschen Malerei noth
that, den größern von Kleinlichkeit und Dürftigkeit freien Stil der Composition
und Zeichnung, daS erlesenere feinere Gefühl der Schönheit und Anmuth der
Form, und Sinn und Farbe des großen Coloristen. Aber er ging dahin und
blieb ohne Schüler und Nachfolger; und eines langen Entwickelungsganges der
nationalen Bildung hat es bedurft, bis wir ihn. unsern größten Meister, wieder
erst erkennen und würdigen als den. der er ist. Dr. Weidmanns in jeder Hin-
sicht gediegene, prächtig und zweckentsprechend ausgestattete treffliche Arbeit wird
Zweifellos viel dazu beitragen, diese gerechte Würdigung immer allgemeiner zu
machen.




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[0103] dem er dies Blatt erst einmal mit der Lupe geprüft hatte, versank so gänzlich in die geheimnißvolle Wunderwelt, die sich ihm in dieser Composition. Formen- gebung und Arbeit aufthat, daß er Auftraggeber, Zeit und Umgebung völlig vergaß und Jahre einer Art der Facsimilirung opferte, die auch ohne Gleichen in der Technik des Kupferstichs ist. Durch gerichtliche Procedur entwanden die ungeduldigen Besteller dem Künstler Original und immer noch unvollendete Platte, die dann von Lüderitz in seiner Weise zum Abschluß gebracht wurde. Von diesem Abdruck giebt die Photographie des Albums ein treues Bild. Sie würde es auch von der Originalzeichnung geben, hergestellt in wenig Minuten. Ist es nicht ein frohes Bewußtsein, durch diese köstliche Erfindung nicht nur alles Sichtbare, alles Schöne in Natur und Kunst im treusten Abbild in aller Hände gebracht, sondern auch die Möglichkeit eines solchen Märtyrerthums. wie es jener begeisterte Künstler damals erprobte, all seinen künftigen und jetzigen Genossen erspart zu sehn?! Holbeins in neuerer Zeit aufgefundenes Testament bestätigt, daß er 1543 an der Pest zu London schnell und Plötzlich verstorben sei. Seinem Vaterlande während so langer Zeit entfremdet, ist er ohne Ein¬ fluß auf dessen weitere Kunstentwickelung geblieben, für welche der so segens¬ reich hatte werden können, da er neben dem germanischen Realismus, neben volkstümlichen Gesinnung alles besaß, was der deutschen Malerei noth that, den größern von Kleinlichkeit und Dürftigkeit freien Stil der Composition und Zeichnung, daS erlesenere feinere Gefühl der Schönheit und Anmuth der Form, und Sinn und Farbe des großen Coloristen. Aber er ging dahin und blieb ohne Schüler und Nachfolger; und eines langen Entwickelungsganges der nationalen Bildung hat es bedurft, bis wir ihn. unsern größten Meister, wieder erst erkennen und würdigen als den. der er ist. Dr. Weidmanns in jeder Hin- sicht gediegene, prächtig und zweckentsprechend ausgestattete treffliche Arbeit wird Zweifellos viel dazu beitragen, diese gerechte Würdigung immer allgemeiner zu machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/103>, abgerufen am 28.09.2024.