Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gen in den Archiven haben es in neuster Zeit noch nach der Abfassung dieses
Albums festgestellt, daß er bis zum Jahr 1531 daselbst verweilte. Es mag
die trübste Zeit seines Lebens gewesen sein; denn 1529 fanden die längst schon
gährenden Volksleidenschaften in dem wüthenden Bildersturm ihren Ausbruch,
in welchem mit so zahlreichen unersetzlichen Köstlichkeiten der Kunst und des
Kunstgewerbes auch manche Arbeit seiner eignen Hand dem brutalsten Fanatis¬
mus zum Opfer gefallen ist. Er kehrte nach England zurück. Noch einmal
hat er von dort aus 1631 Heimath und Familie wieder besucht, als er nach
Burgund reiste, um die Herzogin Christina von Mailand für Heinrich den Achten
zu malen. Aber die glänzenden Anerbietungen des Raths konnten ihn hier
nicht mehr fesseln. Gern überließ er seiner Gat!in und den beiden Kindern
das Anrecht auf die stattliche Erbschaft des Onkel Siegmund in Bern, welche
sie 1640 antreten durften, und wandte sich wieder nach London.

Nur ein großartiges Werk monumentaler symbolischer Malerei hat er dort
noch geschaffen: für das Gebäude der Genossenschaft der deutschen
Hansa, den sogenannten Stahlhof, den Triumph des Reichthums
und der Armuth. Das Werk selbst ist zu Grunde gegangen, die Original-
slizzen im britischen Museum aber sollen sich an "durchbildeten! Stil, an Schön¬
heit und Anmuth nur dem großen Urbiner vergleichen lassen". Desto größer
ist die Zahl der herrlichsten Bildnisse, deren Originale theils den Kaufleuten
jener Genossenschaft, theils der englischen Aristokratie angehörten. Es sind in
den meisten derselben die nie übertroffnen ewigen Musterwerke der Gattung ge¬
schaffen. Glücklicherweise können wir, auch wenn wir nicht durch die auf An¬
regung des Prinzen Albert herausgegebnen Photographieen der holbeinschen
Porträtzeichnungen des Kensington-Museums unterstützt würden, durch die
"ach Deutschland gelangten Werke dieser seiner reifsten Periode erkennen und
würdigen, was er dort geleistet. Die Bildnisse des Geryck Tyler im wiener
Belvedere, des Kaufmanns Georg Gyzen im berliner Museum, des
Sir Bryan Tücke Miles in der Münchner Pinakothek, vor allem des Gold-
schmidts Mr. Morvitt in der dresdner Gallerte (lange Jahre hindurch hart-
näckia, als ein Bild von Leonardo da Vinci bezeichnet!) bekunden eine Größe
und Feinheit der Natur- und Charakterauffassung und eine letzte Vollendung
malerischer! Kunst, welcher sich auch unter dem Besten, was die Besten aller
Zeiten auf diesem Gebiet geschaffen, nur sehr weniges an die Seite stellen läßt.

Der Schlußabschnitt des Albums ist Holbeins Zeichnungen für den Holz-
schnitt gewidmet, aus denen die ganze Größe und Tiefe seines Geistes viel¬
leicht am unmittelbarsten zu uns redet, wo die simpelsten derbsten Linien ihm
genügten, um der Menschen Seelen in seiner wie in jeder spätern Zeit im
Innersten zu ergreifen und zu erschüttern. Jedenfalls schon vor der ersten
englischen Reise entworfen, läßt sich vor 1538 ihr Erscheinen nicht nachweisen.


gen in den Archiven haben es in neuster Zeit noch nach der Abfassung dieses
Albums festgestellt, daß er bis zum Jahr 1531 daselbst verweilte. Es mag
die trübste Zeit seines Lebens gewesen sein; denn 1529 fanden die längst schon
gährenden Volksleidenschaften in dem wüthenden Bildersturm ihren Ausbruch,
in welchem mit so zahlreichen unersetzlichen Köstlichkeiten der Kunst und des
Kunstgewerbes auch manche Arbeit seiner eignen Hand dem brutalsten Fanatis¬
mus zum Opfer gefallen ist. Er kehrte nach England zurück. Noch einmal
hat er von dort aus 1631 Heimath und Familie wieder besucht, als er nach
Burgund reiste, um die Herzogin Christina von Mailand für Heinrich den Achten
zu malen. Aber die glänzenden Anerbietungen des Raths konnten ihn hier
nicht mehr fesseln. Gern überließ er seiner Gat!in und den beiden Kindern
das Anrecht auf die stattliche Erbschaft des Onkel Siegmund in Bern, welche
sie 1640 antreten durften, und wandte sich wieder nach London.

Nur ein großartiges Werk monumentaler symbolischer Malerei hat er dort
noch geschaffen: für das Gebäude der Genossenschaft der deutschen
Hansa, den sogenannten Stahlhof, den Triumph des Reichthums
und der Armuth. Das Werk selbst ist zu Grunde gegangen, die Original-
slizzen im britischen Museum aber sollen sich an „durchbildeten! Stil, an Schön¬
heit und Anmuth nur dem großen Urbiner vergleichen lassen". Desto größer
ist die Zahl der herrlichsten Bildnisse, deren Originale theils den Kaufleuten
jener Genossenschaft, theils der englischen Aristokratie angehörten. Es sind in
den meisten derselben die nie übertroffnen ewigen Musterwerke der Gattung ge¬
schaffen. Glücklicherweise können wir, auch wenn wir nicht durch die auf An¬
regung des Prinzen Albert herausgegebnen Photographieen der holbeinschen
Porträtzeichnungen des Kensington-Museums unterstützt würden, durch die
»ach Deutschland gelangten Werke dieser seiner reifsten Periode erkennen und
würdigen, was er dort geleistet. Die Bildnisse des Geryck Tyler im wiener
Belvedere, des Kaufmanns Georg Gyzen im berliner Museum, des
Sir Bryan Tücke Miles in der Münchner Pinakothek, vor allem des Gold-
schmidts Mr. Morvitt in der dresdner Gallerte (lange Jahre hindurch hart-
näckia, als ein Bild von Leonardo da Vinci bezeichnet!) bekunden eine Größe
und Feinheit der Natur- und Charakterauffassung und eine letzte Vollendung
malerischer! Kunst, welcher sich auch unter dem Besten, was die Besten aller
Zeiten auf diesem Gebiet geschaffen, nur sehr weniges an die Seite stellen läßt.

Der Schlußabschnitt des Albums ist Holbeins Zeichnungen für den Holz-
schnitt gewidmet, aus denen die ganze Größe und Tiefe seines Geistes viel¬
leicht am unmittelbarsten zu uns redet, wo die simpelsten derbsten Linien ihm
genügten, um der Menschen Seelen in seiner wie in jeder spätern Zeit im
Innersten zu ergreifen und zu erschüttern. Jedenfalls schon vor der ersten
englischen Reise entworfen, läßt sich vor 1538 ihr Erscheinen nicht nachweisen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284571"/>
          <p xml:id="ID_284" prev="#ID_283"> gen in den Archiven haben es in neuster Zeit noch nach der Abfassung dieses<lb/>
Albums festgestellt, daß er bis zum Jahr 1531 daselbst verweilte. Es mag<lb/>
die trübste Zeit seines Lebens gewesen sein; denn 1529 fanden die längst schon<lb/>
gährenden Volksleidenschaften in dem wüthenden Bildersturm ihren Ausbruch,<lb/>
in welchem mit so zahlreichen unersetzlichen Köstlichkeiten der Kunst und des<lb/>
Kunstgewerbes auch manche Arbeit seiner eignen Hand dem brutalsten Fanatis¬<lb/>
mus zum Opfer gefallen ist. Er kehrte nach England zurück. Noch einmal<lb/>
hat er von dort aus 1631 Heimath und Familie wieder besucht, als er nach<lb/>
Burgund reiste, um die Herzogin Christina von Mailand für Heinrich den Achten<lb/>
zu malen. Aber die glänzenden Anerbietungen des Raths konnten ihn hier<lb/>
nicht mehr fesseln. Gern überließ er seiner Gat!in und den beiden Kindern<lb/>
das Anrecht auf die stattliche Erbschaft des Onkel Siegmund in Bern, welche<lb/>
sie 1640 antreten durften, und wandte sich wieder nach London.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_285"> Nur ein großartiges Werk monumentaler symbolischer Malerei hat er dort<lb/>
noch geschaffen: für das Gebäude der Genossenschaft der deutschen<lb/>
Hansa, den sogenannten Stahlhof, den Triumph des Reichthums<lb/>
und der Armuth. Das Werk selbst ist zu Grunde gegangen, die Original-<lb/>
slizzen im britischen Museum aber sollen sich an &#x201E;durchbildeten! Stil, an Schön¬<lb/>
heit und Anmuth nur dem großen Urbiner vergleichen lassen". Desto größer<lb/>
ist die Zahl der herrlichsten Bildnisse, deren Originale theils den Kaufleuten<lb/>
jener Genossenschaft, theils der englischen Aristokratie angehörten. Es sind in<lb/>
den meisten derselben die nie übertroffnen ewigen Musterwerke der Gattung ge¬<lb/>
schaffen. Glücklicherweise können wir, auch wenn wir nicht durch die auf An¬<lb/>
regung des Prinzen Albert herausgegebnen Photographieen der holbeinschen<lb/>
Porträtzeichnungen des Kensington-Museums unterstützt würden, durch die<lb/>
»ach Deutschland gelangten Werke dieser seiner reifsten Periode erkennen und<lb/>
würdigen, was er dort geleistet. Die Bildnisse des Geryck Tyler im wiener<lb/>
Belvedere, des Kaufmanns Georg Gyzen im berliner Museum, des<lb/>
Sir Bryan Tücke Miles in der Münchner Pinakothek, vor allem des Gold-<lb/>
schmidts Mr. Morvitt in der dresdner Gallerte (lange Jahre hindurch hart-<lb/>
näckia, als ein Bild von Leonardo da Vinci bezeichnet!) bekunden eine Größe<lb/>
und Feinheit der Natur- und Charakterauffassung und eine letzte Vollendung<lb/>
malerischer! Kunst, welcher sich auch unter dem Besten, was die Besten aller<lb/>
Zeiten auf diesem Gebiet geschaffen, nur sehr weniges an die Seite stellen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_286" next="#ID_287"> Der Schlußabschnitt des Albums ist Holbeins Zeichnungen für den Holz-<lb/>
schnitt gewidmet, aus denen die ganze Größe und Tiefe seines Geistes viel¬<lb/>
leicht am unmittelbarsten zu uns redet, wo die simpelsten derbsten Linien ihm<lb/>
genügten, um der Menschen Seelen in seiner wie in jeder spätern Zeit im<lb/>
Innersten zu ergreifen und zu erschüttern. Jedenfalls schon vor der ersten<lb/>
englischen Reise entworfen, läßt sich vor 1538 ihr Erscheinen nicht nachweisen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] gen in den Archiven haben es in neuster Zeit noch nach der Abfassung dieses Albums festgestellt, daß er bis zum Jahr 1531 daselbst verweilte. Es mag die trübste Zeit seines Lebens gewesen sein; denn 1529 fanden die längst schon gährenden Volksleidenschaften in dem wüthenden Bildersturm ihren Ausbruch, in welchem mit so zahlreichen unersetzlichen Köstlichkeiten der Kunst und des Kunstgewerbes auch manche Arbeit seiner eignen Hand dem brutalsten Fanatis¬ mus zum Opfer gefallen ist. Er kehrte nach England zurück. Noch einmal hat er von dort aus 1631 Heimath und Familie wieder besucht, als er nach Burgund reiste, um die Herzogin Christina von Mailand für Heinrich den Achten zu malen. Aber die glänzenden Anerbietungen des Raths konnten ihn hier nicht mehr fesseln. Gern überließ er seiner Gat!in und den beiden Kindern das Anrecht auf die stattliche Erbschaft des Onkel Siegmund in Bern, welche sie 1640 antreten durften, und wandte sich wieder nach London. Nur ein großartiges Werk monumentaler symbolischer Malerei hat er dort noch geschaffen: für das Gebäude der Genossenschaft der deutschen Hansa, den sogenannten Stahlhof, den Triumph des Reichthums und der Armuth. Das Werk selbst ist zu Grunde gegangen, die Original- slizzen im britischen Museum aber sollen sich an „durchbildeten! Stil, an Schön¬ heit und Anmuth nur dem großen Urbiner vergleichen lassen". Desto größer ist die Zahl der herrlichsten Bildnisse, deren Originale theils den Kaufleuten jener Genossenschaft, theils der englischen Aristokratie angehörten. Es sind in den meisten derselben die nie übertroffnen ewigen Musterwerke der Gattung ge¬ schaffen. Glücklicherweise können wir, auch wenn wir nicht durch die auf An¬ regung des Prinzen Albert herausgegebnen Photographieen der holbeinschen Porträtzeichnungen des Kensington-Museums unterstützt würden, durch die »ach Deutschland gelangten Werke dieser seiner reifsten Periode erkennen und würdigen, was er dort geleistet. Die Bildnisse des Geryck Tyler im wiener Belvedere, des Kaufmanns Georg Gyzen im berliner Museum, des Sir Bryan Tücke Miles in der Münchner Pinakothek, vor allem des Gold- schmidts Mr. Morvitt in der dresdner Gallerte (lange Jahre hindurch hart- näckia, als ein Bild von Leonardo da Vinci bezeichnet!) bekunden eine Größe und Feinheit der Natur- und Charakterauffassung und eine letzte Vollendung malerischer! Kunst, welcher sich auch unter dem Besten, was die Besten aller Zeiten auf diesem Gebiet geschaffen, nur sehr weniges an die Seite stellen läßt. Der Schlußabschnitt des Albums ist Holbeins Zeichnungen für den Holz- schnitt gewidmet, aus denen die ganze Größe und Tiefe seines Geistes viel¬ leicht am unmittelbarsten zu uns redet, wo die simpelsten derbsten Linien ihm genügten, um der Menschen Seelen in seiner wie in jeder spätern Zeit im Innersten zu ergreifen und zu erschüttern. Jedenfalls schon vor der ersten englischen Reise entworfen, läßt sich vor 1538 ihr Erscheinen nicht nachweisen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/101>, abgerufen am 29.06.2024.