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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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ihr geheilte Kind des Stifters sehn will, war wohl überflüssig. Ebenso müßte
es erscheinen, wenn wir hier noch eine Schilderung, ein Lob dieses Werks hin¬
zufügen wollten, in welchem die deutsche Kunst ihren höchsten Triumph feiert,
die in ihm, und freilich nur in ihm allein, dem rafaelschen Ideal der Gottes¬
mutter eins gegenüberstellt, das denselben Inhalt zwar in andrer, national
bestimmter Form, aber mit kaum minder eindringlicher Gewalt, in anders ge¬
arteter, aber nicht geringerer Kunstschönheit ausdrückt; dies Werk, in dem sich
mit der feinen und scharfen Charakteristik der dem tiefsten Gemüth entquollenen
weihevollen Anmuth die höchste malerische Meisterschaft paart, welche nach Hubert
van Eyck innerhalb des germanischen Kunstprincips überhaupt erreicht ist.

Man Pflegte seither den Ursprung des Bildes in die Zeit des zweiten
holbeinschen Aufenthalts in Basel zwischen der ersten und zweiten Reise nach
England ins Jahr 1530 zu setzen, Weltmann führt es dagegen, ohne weitere
Begründung, unter den Arbeiten der ersten dahier Periode mit auf.

Der Empfehlungsbrief, welchen der große Erasmus dem Meister an seinen
antwerpner Freund, den berühmten Reisenden Petrus Aegidius mitgab, spricht die
Beweggründe klar genug aus, welche Holbein 1526 veranlaßten, dem längst
gehegten Plan einer Reise nach England an den glänzenden üppigen Hof
Heinrich des Achten auszuführen. "Hier frieren die Künste; er geht nach
England,' um ein paar Engel zusammenzukratzen;" wie es ihm
van Dyck ein Jahrhundert später mit gutem Erfolg nachgemacht hat. Von
der Reise her stammen die köstlichen Bilder des dahier Museums: die Venus
mit dem Amor und die als I-g-is LorintKiÄeg, bezeichnete Courtisane,
meisterliche delicate Kabinetstücke der ausführenden Malerei, in welchen einem
antwerpner Fräulein von Offenburg eine etwas räthselhafte und nicht un¬
bedingt beneidenswerthe künstlerische Verherrlichung geworden sein soll. Ferner
sieht der Verfasser wohl mit Recht die große Zeichnung des "Seeschiffs",
diesen bewundernswerthen Schatz der Sammlung des städtischen Instituts zu
Frankfurt a. M., als ein unter den Eindrücken der Ueberfahrt nach England
entstandnes Product dieser Künstlerreise an.

Des Erasmus nachdrückliche Empfehlungen halfen dem Freunde zu einer
guten Aufnahme in England, zunächst bei einem der Besten seines Landes und
seiner Zeit, bei Thomas Morus, in dessen Hause Holbein drei Jahre lang einer
schönen Gastfreundschaft genoß. Der berühmten Schilderung des Erasmus von
dem Hause und dem Familienleben jenes trefflichen Mannes, welcher das ehren¬
vollste Leben mit dem glorreichsten standhaftesten Märtyrertode schloß, den
ein Tyrann über ihn verhängte, entspricht durchaus jene Federskizze Holbeins
im dahier Museum, welche er zu dem für Erasmus gemalten und später
verschollenen Familienbilde des Thomas Morus entwarf. Er mag beides
1529 bei seiner Rückkehr nach Basel mitgebracht haben. Genaue Forschun-


ihr geheilte Kind des Stifters sehn will, war wohl überflüssig. Ebenso müßte
es erscheinen, wenn wir hier noch eine Schilderung, ein Lob dieses Werks hin¬
zufügen wollten, in welchem die deutsche Kunst ihren höchsten Triumph feiert,
die in ihm, und freilich nur in ihm allein, dem rafaelschen Ideal der Gottes¬
mutter eins gegenüberstellt, das denselben Inhalt zwar in andrer, national
bestimmter Form, aber mit kaum minder eindringlicher Gewalt, in anders ge¬
arteter, aber nicht geringerer Kunstschönheit ausdrückt; dies Werk, in dem sich
mit der feinen und scharfen Charakteristik der dem tiefsten Gemüth entquollenen
weihevollen Anmuth die höchste malerische Meisterschaft paart, welche nach Hubert
van Eyck innerhalb des germanischen Kunstprincips überhaupt erreicht ist.

Man Pflegte seither den Ursprung des Bildes in die Zeit des zweiten
holbeinschen Aufenthalts in Basel zwischen der ersten und zweiten Reise nach
England ins Jahr 1530 zu setzen, Weltmann führt es dagegen, ohne weitere
Begründung, unter den Arbeiten der ersten dahier Periode mit auf.

Der Empfehlungsbrief, welchen der große Erasmus dem Meister an seinen
antwerpner Freund, den berühmten Reisenden Petrus Aegidius mitgab, spricht die
Beweggründe klar genug aus, welche Holbein 1526 veranlaßten, dem längst
gehegten Plan einer Reise nach England an den glänzenden üppigen Hof
Heinrich des Achten auszuführen. „Hier frieren die Künste; er geht nach
England,' um ein paar Engel zusammenzukratzen;" wie es ihm
van Dyck ein Jahrhundert später mit gutem Erfolg nachgemacht hat. Von
der Reise her stammen die köstlichen Bilder des dahier Museums: die Venus
mit dem Amor und die als I-g-is LorintKiÄeg, bezeichnete Courtisane,
meisterliche delicate Kabinetstücke der ausführenden Malerei, in welchen einem
antwerpner Fräulein von Offenburg eine etwas räthselhafte und nicht un¬
bedingt beneidenswerthe künstlerische Verherrlichung geworden sein soll. Ferner
sieht der Verfasser wohl mit Recht die große Zeichnung des „Seeschiffs",
diesen bewundernswerthen Schatz der Sammlung des städtischen Instituts zu
Frankfurt a. M., als ein unter den Eindrücken der Ueberfahrt nach England
entstandnes Product dieser Künstlerreise an.

Des Erasmus nachdrückliche Empfehlungen halfen dem Freunde zu einer
guten Aufnahme in England, zunächst bei einem der Besten seines Landes und
seiner Zeit, bei Thomas Morus, in dessen Hause Holbein drei Jahre lang einer
schönen Gastfreundschaft genoß. Der berühmten Schilderung des Erasmus von
dem Hause und dem Familienleben jenes trefflichen Mannes, welcher das ehren¬
vollste Leben mit dem glorreichsten standhaftesten Märtyrertode schloß, den
ein Tyrann über ihn verhängte, entspricht durchaus jene Federskizze Holbeins
im dahier Museum, welche er zu dem für Erasmus gemalten und später
verschollenen Familienbilde des Thomas Morus entwarf. Er mag beides
1529 bei seiner Rückkehr nach Basel mitgebracht haben. Genaue Forschun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/100>, abgerufen am 29.06.2024.