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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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die Gesichtspunkte der auswärtigen Politik an, die der innern zu beherrschen.
Hierin liegt ein solcher Gegensatz zu der sogenannten Politik Olmütz, daß man
nicht begreift, wie oppositionelle Stimmen selbst in der Leidenschaft des Gefechts
noch von diesem Schreckbild den Mund voll nehmen mögen; hierin lag zugleich
die Handhabe, deren sich die liberale Mehrheit im Abgeordnetenhause zur Er¬
langung aller ihrer Zwecke bemächtigen mußte. Sie mußte eine Stunde ab¬
warten, wo Herrn v. Bismarck an der Unterstützung seiner Schleswig-holsteinischen
Politik durch die Landesvertretung besonders viel liegen mußte, und dann er¬
klären, unter Boraussetzung billiger Zugeständnisse in, der Verfassungsfrage sei
sie bereit, sich gegen Oestreichs Eifersucht und die haßerfüllte Angst des Par-
ticularismus aus seine Seite zu schlage".

Tugendhafte Kreisrichter werden sich vielleicht glücklich preisen, daß sie
vor jeder Versuchung auf solchen "Schacher" einzugehen bewahrt geblieben
sind. Aber der Abgeordnete Prince-Smith wird ihnen, wofern sie es wünschen,
gewiß mit der erschöpfendsten Bündigkeit auseinandersetzen, daß kein Grund
abzusehen sei, warum das volkwirthschaftliche Gesetz von Dienst und Gegen¬
dienst nicht auch in der Politik seine Geltung behaupten solle. Und um zur
Theorie das Exempel zu fügen, laden wir sie zu einem Rückblick auf die Ent¬
stehung der heutigen Versassungskrisis ein. Von Wagener über Wehrenpfennig
bis zu Engels sind heutzutage die Kritiker aller Parteien darüber im Reinen,
daß es die politische Pflicht des Herrn v. Vincke gewesen wäre, ein Tauschge¬
schäft zwischen seiner Partei und der Krone herbeizuführen, wonach diese ihre
Armeerefvnn gleich damals in etwas liberalisirter Form durchgesetzt, dafür aber
Reform des Herrenhauses und andere liberale Maßregeln zugestanden hätte. Das
wäre zwar auch gewissermaßen "Schacher" gewesen, hätte uns aber einen langen
fruchtlosen Verfassungsstreit erspart und die Befreiung Schleswig-Holsteins zum
Ausgangspunkt der deutschen Bundesreform gestempelt.

Ein Compromiß der angedeuteten Art hätte dann von vornherein abge¬
wiesen werden müssen, wenn die Absichten der Regierung mit Schleswig-Holstein
und die des Hauses schlechthin unvereinbar gewesen wären. Allein seit der
Ausstellung der preußischen Forderungen, die officiell, d. h. in Depeschen und
diplomatischen Auslassungen anfangs nicht einmal als ein Minimum auftraten,
läßt sich so etwas unmöglich behaupten. In ihr Detail braucht man sich vor¬
erst keineswegs einzulassen; im Großen und Ganzen entsprechen sie dem bundes¬
staatlichen Standpunkt der Majorität, und nicht an der preußischen Volks¬
vertretung konnte es sein, die Grenzen aufzusuchen, über welche hinaus Preußens
an sich verständige und gerechte, von der Nothwendigkeit eingegebene Forderungen
möglicherweise zu Härten gegen das Brudervolk führen könnten. Das Ab¬
geordnetenhaus konnte mit gutem Gewissen, gleichwie H. v. Sybel gethan,
diese Forderungen einfach unterschreiben. Auch nehmen wir nicht an, daß es


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die Gesichtspunkte der auswärtigen Politik an, die der innern zu beherrschen.
Hierin liegt ein solcher Gegensatz zu der sogenannten Politik Olmütz, daß man
nicht begreift, wie oppositionelle Stimmen selbst in der Leidenschaft des Gefechts
noch von diesem Schreckbild den Mund voll nehmen mögen; hierin lag zugleich
die Handhabe, deren sich die liberale Mehrheit im Abgeordnetenhause zur Er¬
langung aller ihrer Zwecke bemächtigen mußte. Sie mußte eine Stunde ab¬
warten, wo Herrn v. Bismarck an der Unterstützung seiner Schleswig-holsteinischen
Politik durch die Landesvertretung besonders viel liegen mußte, und dann er¬
klären, unter Boraussetzung billiger Zugeständnisse in, der Verfassungsfrage sei
sie bereit, sich gegen Oestreichs Eifersucht und die haßerfüllte Angst des Par-
ticularismus aus seine Seite zu schlage».

Tugendhafte Kreisrichter werden sich vielleicht glücklich preisen, daß sie
vor jeder Versuchung auf solchen „Schacher" einzugehen bewahrt geblieben
sind. Aber der Abgeordnete Prince-Smith wird ihnen, wofern sie es wünschen,
gewiß mit der erschöpfendsten Bündigkeit auseinandersetzen, daß kein Grund
abzusehen sei, warum das volkwirthschaftliche Gesetz von Dienst und Gegen¬
dienst nicht auch in der Politik seine Geltung behaupten solle. Und um zur
Theorie das Exempel zu fügen, laden wir sie zu einem Rückblick auf die Ent¬
stehung der heutigen Versassungskrisis ein. Von Wagener über Wehrenpfennig
bis zu Engels sind heutzutage die Kritiker aller Parteien darüber im Reinen,
daß es die politische Pflicht des Herrn v. Vincke gewesen wäre, ein Tauschge¬
schäft zwischen seiner Partei und der Krone herbeizuführen, wonach diese ihre
Armeerefvnn gleich damals in etwas liberalisirter Form durchgesetzt, dafür aber
Reform des Herrenhauses und andere liberale Maßregeln zugestanden hätte. Das
wäre zwar auch gewissermaßen „Schacher" gewesen, hätte uns aber einen langen
fruchtlosen Verfassungsstreit erspart und die Befreiung Schleswig-Holsteins zum
Ausgangspunkt der deutschen Bundesreform gestempelt.

Ein Compromiß der angedeuteten Art hätte dann von vornherein abge¬
wiesen werden müssen, wenn die Absichten der Regierung mit Schleswig-Holstein
und die des Hauses schlechthin unvereinbar gewesen wären. Allein seit der
Ausstellung der preußischen Forderungen, die officiell, d. h. in Depeschen und
diplomatischen Auslassungen anfangs nicht einmal als ein Minimum auftraten,
läßt sich so etwas unmöglich behaupten. In ihr Detail braucht man sich vor¬
erst keineswegs einzulassen; im Großen und Ganzen entsprechen sie dem bundes¬
staatlichen Standpunkt der Majorität, und nicht an der preußischen Volks¬
vertretung konnte es sein, die Grenzen aufzusuchen, über welche hinaus Preußens
an sich verständige und gerechte, von der Nothwendigkeit eingegebene Forderungen
möglicherweise zu Härten gegen das Brudervolk führen könnten. Das Ab¬
geordnetenhaus konnte mit gutem Gewissen, gleichwie H. v. Sybel gethan,
diese Forderungen einfach unterschreiben. Auch nehmen wir nicht an, daß es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/9>, abgerufen am 15.01.2025.