Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.sich in seinem Gewissen davon abgehalten gefühlt hat, als es bei Gelegen¬ Die Session begann im Januar unter Aspecten, welche eine Verständigung Daß Herr v. Bismarck nicht auf Rosen gebettet ist, weiß jeder halbwegs sich in seinem Gewissen davon abgehalten gefühlt hat, als es bei Gelegen¬ Die Session begann im Januar unter Aspecten, welche eine Verständigung Daß Herr v. Bismarck nicht auf Rosen gebettet ist, weiß jeder halbwegs <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283363"/> <p xml:id="ID_9" prev="#ID_8"> sich in seinem Gewissen davon abgehalten gefühlt hat, als es bei Gelegen¬<lb/> heit der Kriegskostenvorlage den noch etwas vageren michaelisschen Antrag ver¬<lb/> warf. Oder wenn es durchaus das Gewissen gewesen sein muß, so war es<lb/> die liberale, nicht die nationale Hälfte ihres Bewußtseins, was die Mitglieder<lb/> der Mehrheit abhielt, sich Herrn v. Bismarck auch nur soweit zu nähern. Nicht<lb/> das Selbstbestimmungsrecht Schleswigs-Holsteins, das preußische Verfassungs¬<lb/> recht dictirte ihr Nein. Sie verweigerten selbst derbundesstaatlichen<lb/> Politik der Regierung ihre Unterstützung aus Haß gegen Herrn<lb/> v. Bismarck und dessen College«. Die günstige, zur Versöhnung auf¬<lb/> gelegte Disposition, mit welcher sie auch in dieser Beziehung fünf Monate früher<lb/> in Berlin eingezogen waren, hatte unter den aufregenden, erbitternder Ein¬<lb/> drücken einer verlängerten und doch fruchtlosen Session wiederum ganz dem alten<lb/> absoluten Oppositionsgcfühl Platz gemacht, in welchem sie sich 1863 gelobt<lb/> hatten, mit diesen Ministern niemals Vertrag und Frieden einzugehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_10"> Die Session begann im Januar unter Aspecten, welche eine Verständigung<lb/> ziemlich leicht erscheinen ließen. Die obersten Interessen beider streitenden Theile<lb/> ließen sich gemeinsam wahren; was jedem das Theuerste war, das zu bekämpfen<lb/> konnte dem andern nicht langer als eine unabweisbare Nothwendigkeit gelten.<lb/> Aber die abstracte Möglichst einer Vereinbarung, welche in den Dingen lag,<lb/> wurde aufgewogen durch die Abneigung und Unfähigkeit, welche in den Personen<lb/> steckte. Anfangs freilich war man auf beiden Seiten auch dagegen noch auf<lb/> seiner Hut. Herr v. Bismarck zügelte die Zunge, die 1863 so schwer ver-<lb/> harschende Wunden geschlagen hatte, indem er dem Abgeordnetenhause seine<lb/> mehr herausfordernde als behagliche Gegenwart die ersten Monate hindurch<lb/> ganz entzog. Die Reden der Majorität verdienten sich von den Repräsentanten<lb/> der Regierung das Lob der Objectivitär, und ein vereinzelter Mißion in der<lb/> ungewohnten äußeren Harmonie, wie Grabows Aufzählung der Beschwerden<lb/> des Landes nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten, erstarb in den Wellen<lb/> der allgemeinen Consonanz. Wenn damals auf der Regierungsseite der Trieb,<lb/> auf Seite der Opposition das Vermögen zu einem Abschluß stark genug vor¬<lb/> handen gewesen wäre, so hätte die Session noch vor Ostern das erwartete große<lb/> Ergebniß liefern müssen. Aber beides mangelte.</p><lb/> <p xml:id="ID_11" next="#ID_12"> Daß Herr v. Bismarck nicht auf Rosen gebettet ist, weiß jeder halbwegs<lb/> Kundige. In der Partei, welche ihn unterstützt, an dem Hof, welchem er an¬<lb/> gehört, und in dem Monarchen, welchem er dient, stößt er tagtäglich auf tausend<lb/> Hindernisse. Die Einen — Herr v. Gerlach, v. Kleist, Professor Hengstenberg<lb/> und Genossen — wollen gar nicht, daß es ihm mit der auswärtigen Politik<lb/> zu wohl gelinge; ihr beschränkter Sinn ist ausschließlich auf die inneren Gegen¬<lb/> sätze gerichtet, und sie besorgen nicht mit Unrecht, die nach außen gekehrte<lb/> Schneide des „königlichen Regiments" könne nach innen am Ende stumpf werden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
sich in seinem Gewissen davon abgehalten gefühlt hat, als es bei Gelegen¬
heit der Kriegskostenvorlage den noch etwas vageren michaelisschen Antrag ver¬
warf. Oder wenn es durchaus das Gewissen gewesen sein muß, so war es
die liberale, nicht die nationale Hälfte ihres Bewußtseins, was die Mitglieder
der Mehrheit abhielt, sich Herrn v. Bismarck auch nur soweit zu nähern. Nicht
das Selbstbestimmungsrecht Schleswigs-Holsteins, das preußische Verfassungs¬
recht dictirte ihr Nein. Sie verweigerten selbst derbundesstaatlichen
Politik der Regierung ihre Unterstützung aus Haß gegen Herrn
v. Bismarck und dessen College«. Die günstige, zur Versöhnung auf¬
gelegte Disposition, mit welcher sie auch in dieser Beziehung fünf Monate früher
in Berlin eingezogen waren, hatte unter den aufregenden, erbitternder Ein¬
drücken einer verlängerten und doch fruchtlosen Session wiederum ganz dem alten
absoluten Oppositionsgcfühl Platz gemacht, in welchem sie sich 1863 gelobt
hatten, mit diesen Ministern niemals Vertrag und Frieden einzugehen.
Die Session begann im Januar unter Aspecten, welche eine Verständigung
ziemlich leicht erscheinen ließen. Die obersten Interessen beider streitenden Theile
ließen sich gemeinsam wahren; was jedem das Theuerste war, das zu bekämpfen
konnte dem andern nicht langer als eine unabweisbare Nothwendigkeit gelten.
Aber die abstracte Möglichst einer Vereinbarung, welche in den Dingen lag,
wurde aufgewogen durch die Abneigung und Unfähigkeit, welche in den Personen
steckte. Anfangs freilich war man auf beiden Seiten auch dagegen noch auf
seiner Hut. Herr v. Bismarck zügelte die Zunge, die 1863 so schwer ver-
harschende Wunden geschlagen hatte, indem er dem Abgeordnetenhause seine
mehr herausfordernde als behagliche Gegenwart die ersten Monate hindurch
ganz entzog. Die Reden der Majorität verdienten sich von den Repräsentanten
der Regierung das Lob der Objectivitär, und ein vereinzelter Mißion in der
ungewohnten äußeren Harmonie, wie Grabows Aufzählung der Beschwerden
des Landes nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten, erstarb in den Wellen
der allgemeinen Consonanz. Wenn damals auf der Regierungsseite der Trieb,
auf Seite der Opposition das Vermögen zu einem Abschluß stark genug vor¬
handen gewesen wäre, so hätte die Session noch vor Ostern das erwartete große
Ergebniß liefern müssen. Aber beides mangelte.
Daß Herr v. Bismarck nicht auf Rosen gebettet ist, weiß jeder halbwegs
Kundige. In der Partei, welche ihn unterstützt, an dem Hof, welchem er an¬
gehört, und in dem Monarchen, welchem er dient, stößt er tagtäglich auf tausend
Hindernisse. Die Einen — Herr v. Gerlach, v. Kleist, Professor Hengstenberg
und Genossen — wollen gar nicht, daß es ihm mit der auswärtigen Politik
zu wohl gelinge; ihr beschränkter Sinn ist ausschließlich auf die inneren Gegen¬
sätze gerichtet, und sie besorgen nicht mit Unrecht, die nach außen gekehrte
Schneide des „königlichen Regiments" könne nach innen am Ende stumpf werden.
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