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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Eine starke Partei im Volke freilich gab darüber die Hoffnung noch nicht
auf. ja man hoffte auf dieser Seite vielfach jetzt erst recht sicher auf Erfüllung
dessen, worauf es in Wien im letzten Grunde wohl von Anfang an vorzüglich
abgesehen gewesen war, auf Gelingen des Versuchs, der Großmacht Oestreich
für ihre europäischen Verlegenheiten einen stärkern Rückhalt im außerpreußischen
Deutschland zu verschaffen. Und diese Hoffnung schien eine Zeit lang nicht
völlig unbegründet. Die deutschen Souveräne waren, als der Tag der Eröff¬
nung des Congresses kam, mit Ausnahme des Königs von Preußen, des Her¬
zogs von Holstein und Lauenburg, dem sein Alter Ego, der König von Däne¬
mark die Reise nicht gestattete, des Homburgers, der zu alt war, des Bern¬
burgers, der am Sterben lag, und noch eines kleinen Herrn, der uns entfallen
ist*), allesammt persönlich in Frankfurt erschienen oder durch Glieder ihres
Hauses vertreten. Auch der Großherzog von Baden war gekommen, und selbst
Luxemburg hatte einen Prinzen als Repräsentanten gesandt. Hatte sie doch
der Enkel der Kaiser gerufen, die hier einst gekrönt wurden, und schwebte
doch, wie hoch sie von sich denken mochten, in ihren Augen um dessen Haupt
noch ein Abglanz des Nimbus der Krone, zu der ihre Ahnen im Verhältniß
von Vasallen gestanden.

Es war nicht sehr wahrscheinlich, aber es war etueh nicht gerade unmög¬
lich, daß die Mitglieder der erlauchten Versammlung sich unter der schwarzroth-
goldnen Fahne, die jetzt auf dem Dache des Bundespalasts wehte, ohne Preu¬
ßen einigten, wenn dazu auch schließlich das Bewußtsein von der Kraft und
der Wille gehört hätte, Preußen nöthigenfalls zu vernichten, und wenn auch
dieser Wille sich gerade gegen das gekehrt hätte, worauf die Existenz der klei¬
nen Souveränetätcn sich gründet, auf den deutschen Dualismus und die damit
gegebne Möglichkeit, sich heute gegen östreichische Zumuthungen unter die Flügel
des einköpfigen, morgen gegen preußische Ansprüche unter die Fittige des dop¬
pelköpfigen Adlers zu flüchten.

Es war ferner nichts weniger als wahrscheinlich, daß ein auch nur das
außerpreußische Volk befriedigendes Resultat herauskam; denn, wie verheißungs¬
voll das Lied auch klang, das jetzt die Ofsiciösen anstimmten, die Mehrzahl
unsrer Höfe hatte doch wiederholt auch nach dieser Seite hin gezeigt, daß ihre
Souveränetät ihnen über alles ging, und daß ihr Glaubensbekenntniß im
Grunde der Absolutismus war. Die sehr zufällige Form, in welche achtund-
vierzig Jahre vorher das Interesse Oestreichs und der ganz außerhalb des deut¬
schen Lebens stehenden Mächte Deutschland gepreßt hatte, war der Majorität
jener Fürsten eine solche, an der sie wohl eine und die andere neue Farbe
oder Verzierung gestatten mochten, deren wesentliche Umgestaltung sie aber als



D. Red.
') Es war der Fürst von Lippe-Detmold.

Eine starke Partei im Volke freilich gab darüber die Hoffnung noch nicht
auf. ja man hoffte auf dieser Seite vielfach jetzt erst recht sicher auf Erfüllung
dessen, worauf es in Wien im letzten Grunde wohl von Anfang an vorzüglich
abgesehen gewesen war, auf Gelingen des Versuchs, der Großmacht Oestreich
für ihre europäischen Verlegenheiten einen stärkern Rückhalt im außerpreußischen
Deutschland zu verschaffen. Und diese Hoffnung schien eine Zeit lang nicht
völlig unbegründet. Die deutschen Souveräne waren, als der Tag der Eröff¬
nung des Congresses kam, mit Ausnahme des Königs von Preußen, des Her¬
zogs von Holstein und Lauenburg, dem sein Alter Ego, der König von Däne¬
mark die Reise nicht gestattete, des Homburgers, der zu alt war, des Bern¬
burgers, der am Sterben lag, und noch eines kleinen Herrn, der uns entfallen
ist*), allesammt persönlich in Frankfurt erschienen oder durch Glieder ihres
Hauses vertreten. Auch der Großherzog von Baden war gekommen, und selbst
Luxemburg hatte einen Prinzen als Repräsentanten gesandt. Hatte sie doch
der Enkel der Kaiser gerufen, die hier einst gekrönt wurden, und schwebte
doch, wie hoch sie von sich denken mochten, in ihren Augen um dessen Haupt
noch ein Abglanz des Nimbus der Krone, zu der ihre Ahnen im Verhältniß
von Vasallen gestanden.

Es war nicht sehr wahrscheinlich, aber es war etueh nicht gerade unmög¬
lich, daß die Mitglieder der erlauchten Versammlung sich unter der schwarzroth-
goldnen Fahne, die jetzt auf dem Dache des Bundespalasts wehte, ohne Preu¬
ßen einigten, wenn dazu auch schließlich das Bewußtsein von der Kraft und
der Wille gehört hätte, Preußen nöthigenfalls zu vernichten, und wenn auch
dieser Wille sich gerade gegen das gekehrt hätte, worauf die Existenz der klei¬
nen Souveränetätcn sich gründet, auf den deutschen Dualismus und die damit
gegebne Möglichkeit, sich heute gegen östreichische Zumuthungen unter die Flügel
des einköpfigen, morgen gegen preußische Ansprüche unter die Fittige des dop¬
pelköpfigen Adlers zu flüchten.

Es war ferner nichts weniger als wahrscheinlich, daß ein auch nur das
außerpreußische Volk befriedigendes Resultat herauskam; denn, wie verheißungs¬
voll das Lied auch klang, das jetzt die Ofsiciösen anstimmten, die Mehrzahl
unsrer Höfe hatte doch wiederholt auch nach dieser Seite hin gezeigt, daß ihre
Souveränetät ihnen über alles ging, und daß ihr Glaubensbekenntniß im
Grunde der Absolutismus war. Die sehr zufällige Form, in welche achtund-
vierzig Jahre vorher das Interesse Oestreichs und der ganz außerhalb des deut¬
schen Lebens stehenden Mächte Deutschland gepreßt hatte, war der Majorität
jener Fürsten eine solche, an der sie wohl eine und die andere neue Farbe
oder Verzierung gestatten mochten, deren wesentliche Umgestaltung sie aber als



D. Red.
') Es war der Fürst von Lippe-Detmold.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/600>, abgerufen am 15.01.2025.