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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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einandergehe. Kein deutscher Fürst wird vor der Mit- und Nachwelt und vor
der beispiellos erregten öffentlichen Meinung Deutschlands so schwere Schuld
auf sich laden wollen. Er bräche den Stab über sich und über die Zukunft
vieler Andern im weiten Vaterlande."

Und nun gar die ministerielle "Bayerische Zeitung". Mit unerhörter Ge¬
waltsamkeit rief sie ihrem Publicum zu: "Entweder wird die deutsche Fürsten¬
hand die Frage zum zeitgemäßen Abschluß bringen oder" -- kein Jakobiner
konnte echauffirter reden -- "die Faust des Volkes wird den Umsturz der be¬
stehenden deutschen Bundesverhältnisse herbeiführen."

Das war ungemein zuversichtlich gesprochen, das hieß ja beinahe in fester
Hoffnung auf den Erfolg der Action die Schiffe hinter sich verbrennen. Armer
sanguinischer Bajuwar, wie wenig wurde dein großes Vertrauen gerechtfertigt,
und wo finden wir, was deine deutsche Fürstenhand mit ihrer Arbeit zu Stande
gebracht? Suchen wir einmal weiter in unsrer Erinnerung nach, es wird
Mühe kosten, noch etwas zu entdecken; denn wer merkte sich Richtiges.

Noch mehr erwartungsvolle Zeitungsartikel, auch einige mehr oder minder
leise zweifelnde, daneben Gebete für das Gelingen des Reformwerks auf katho¬
lischen und protestantischen Kanzeln, große Zurüstungen an den Höfen, dann
die Kaiscrfahrt von Wien über München und Stuttgart nach Frankfurt, ein
Triumphzug vor erfochtenen Siege. Kleinere Kronen folgen bis hinab zu der
ganz kleinen, die der schöne junge Fürst von Liechtenstein trägt, desgleichen die
Staatsperrücken derer Herren Bürgermeister aus den Hansestädten. Auf allen
Eisenbahnen Extrazüge mit Excellenzen, Durchlauchten, Hoheiten, königlichen
Hoheiten und Majestäten, mit Hofuniformen und Livreen, Staatskarossen,
prächtigen Marstallspferden und anderem Apparat fürstlicher Existenzen. Auf den
Bahnhöfen mancherlei Vivats und was sonst zum Empfang erlauchter Persönlich¬
keiten gehört. Da plötzlich, für den norddeutschen Verstand nicht unerwartet,
auf die heiße Begeisterung der Mehrheit im Süden wie ein Guß kalten Was¬
sers, die Kunde: Der König von Preußen lehnt ab, zu erscheinen. Eine wei¬
tere Entwickelung des Unternehmens, sofern man es als einen Schritt zur Ver¬
besserung allgemein deutscher Zustände betrachten wollte -- was jetzt schon viel
seltner der Fall war als in den Tagen der ersten Ueberraschung -- war damit
so ziemlich der Nichtigkeit anheimgefallen.

Nicht sowohl in der Bundesverfassung, so sagten sich die Nüchternen, liegt
das Uebel, woran Deutschland laborirt, sondern in der Substanz des Bundes,
in seiner Zusammensetzung, in der naturwidriger Zusammenschweißung zweier
selbständiger, in dem Bunde nicht ihr ganzes Interesse erblickender Organismen,
wie es unsre beiden Großmächte sind. Der Widerstreit zwischen Oestreich und
Preußen, der nur durch Auseinandersetzung, nicht durch Verstecken oder Ueber¬
malen hinwegzuschaffen ist, spielt auch jetzt die entscheidende Rolle.


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einandergehe. Kein deutscher Fürst wird vor der Mit- und Nachwelt und vor
der beispiellos erregten öffentlichen Meinung Deutschlands so schwere Schuld
auf sich laden wollen. Er bräche den Stab über sich und über die Zukunft
vieler Andern im weiten Vaterlande."

Und nun gar die ministerielle „Bayerische Zeitung". Mit unerhörter Ge¬
waltsamkeit rief sie ihrem Publicum zu: „Entweder wird die deutsche Fürsten¬
hand die Frage zum zeitgemäßen Abschluß bringen oder" — kein Jakobiner
konnte echauffirter reden — „die Faust des Volkes wird den Umsturz der be¬
stehenden deutschen Bundesverhältnisse herbeiführen."

Das war ungemein zuversichtlich gesprochen, das hieß ja beinahe in fester
Hoffnung auf den Erfolg der Action die Schiffe hinter sich verbrennen. Armer
sanguinischer Bajuwar, wie wenig wurde dein großes Vertrauen gerechtfertigt,
und wo finden wir, was deine deutsche Fürstenhand mit ihrer Arbeit zu Stande
gebracht? Suchen wir einmal weiter in unsrer Erinnerung nach, es wird
Mühe kosten, noch etwas zu entdecken; denn wer merkte sich Richtiges.

Noch mehr erwartungsvolle Zeitungsartikel, auch einige mehr oder minder
leise zweifelnde, daneben Gebete für das Gelingen des Reformwerks auf katho¬
lischen und protestantischen Kanzeln, große Zurüstungen an den Höfen, dann
die Kaiscrfahrt von Wien über München und Stuttgart nach Frankfurt, ein
Triumphzug vor erfochtenen Siege. Kleinere Kronen folgen bis hinab zu der
ganz kleinen, die der schöne junge Fürst von Liechtenstein trägt, desgleichen die
Staatsperrücken derer Herren Bürgermeister aus den Hansestädten. Auf allen
Eisenbahnen Extrazüge mit Excellenzen, Durchlauchten, Hoheiten, königlichen
Hoheiten und Majestäten, mit Hofuniformen und Livreen, Staatskarossen,
prächtigen Marstallspferden und anderem Apparat fürstlicher Existenzen. Auf den
Bahnhöfen mancherlei Vivats und was sonst zum Empfang erlauchter Persönlich¬
keiten gehört. Da plötzlich, für den norddeutschen Verstand nicht unerwartet,
auf die heiße Begeisterung der Mehrheit im Süden wie ein Guß kalten Was¬
sers, die Kunde: Der König von Preußen lehnt ab, zu erscheinen. Eine wei¬
tere Entwickelung des Unternehmens, sofern man es als einen Schritt zur Ver¬
besserung allgemein deutscher Zustände betrachten wollte — was jetzt schon viel
seltner der Fall war als in den Tagen der ersten Ueberraschung — war damit
so ziemlich der Nichtigkeit anheimgefallen.

Nicht sowohl in der Bundesverfassung, so sagten sich die Nüchternen, liegt
das Uebel, woran Deutschland laborirt, sondern in der Substanz des Bundes,
in seiner Zusammensetzung, in der naturwidriger Zusammenschweißung zweier
selbständiger, in dem Bunde nicht ihr ganzes Interesse erblickender Organismen,
wie es unsre beiden Großmächte sind. Der Widerstreit zwischen Oestreich und
Preußen, der nur durch Auseinandersetzung, nicht durch Verstecken oder Ueber¬
malen hinwegzuschaffen ist, spielt auch jetzt die entscheidende Rolle.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/599>, abgerufen am 15.01.2025.