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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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reform zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland aufgerichtet. Nur für
Anhalt-Bernburg war auch diese (1826) gefallen. Allerdings in einer Weise,
die "keinem Staate zugemuthet" werden durfte; denn Bernburg war in Steuer-
gemeinschast mit Preußen getreten, was offenbar unanwendbar auf irgend¬
ein anderes deutsches Land war. Am allerwenigsten durften solche Verhand¬
lungen von Preußen angeregt werden; denn wer zuredet, will überVortheilen. Wie
aber, wenn ein größerer Staat selbst zu dem Entschluß gelangte, sich mit Preußen
zu verständigen? Es schien kaum möglich nach dem, was geschehen, und doch
begab sichs so. Jener deutsche Staat, von welchem das erste Anerbieten eines
Anschlusses an das vielgeschmähte preußische Zollsystem ausging, hatte keine
Enclaven in Preußen, er handelte nicht nach einer in solcher Nachbarschaft lie¬
genden Nothwendigkeit, freilich aber auch nicht aus vollkommen freiem Antrieb.
Es war Hessen-Darmstadt, welches den Vertrag vom 19. Mai 1820 schaffen
geholfen.

In Darmstadt waren infolge des genannten Vertrags am 13. September
die Bevollmächtigten der Staaten Bayern, Würtemberg, Baden, Großherzog-
thum Hessen, Nassau, Weimar, der übrigen sächsischen Herzogtümer und der
reußischen Fürstenthümer, später auch die von Kurhessen, Waldeck und beiden
Hohenzollern zusammengetreten, um den Vertrag in Vollzug zu setzen. Man
kam mit guten Hoffnungen, die aber gründlich getäuscht werden sollten. "Es
ist ein lehrreicher Vorgang," meint Aegidi, und wir setzen hinzu, ein Vorgang,
aus dem man namentlich für die Beurtheilung einer gewissen Weisheit lernen
kann, die uns jetzt in Betreff der Schleswig-holsteinschen Sache ni steter Wieder¬
holung vorgetragen wird.

Wir entnehmen aus den darmstädter Vorgängen, sagt Aegidi treffend,
"was im Wege des Artikels 19 aus dem Handel und Verkehr.unsres Volkes
geworden wäre. Nein, von allgemeinen Verhandlungen unter den verschiedenen
Staaten, von gemeinschaftlichen Verabredungen im Voraus ließ sich hierfür
nichts erwarten, da der Gegenstand allzutief mit dem Haushalt eines jeden
einzelnen zusammenhing. Wer eine deutsche Sache nur so weit als deutsch
gelten läßt, als er eine Betheiligung aller deutschen Staaten wahrnimmt, wer
für Verträge im nationalen Sinne nur da die Berechtigung erblickt, wo die
Gesammtheit übereinkommt, der muß hier einsehen lernen, daß, wenn seine
Willensrichtung die entscheidende gewesen wäre, das deutsche Volk auf handels¬
politische Einigung durchaus hätte verzichten müssen."

In Darmstadt gingen die Ansichten der Bevollmächtigten weit auseinander
und desto weiter, je länger man verhandelte. Am ehesten stimmten noch Bayern
und Würtemberg überein. Man wollte einen vereinigten selbständigen Handels¬
staat bilden. Aber die entgegenstehenden Interessen der Einzelstaaten, die Ab¬
neigung derselben, einen Theil ihrer Selbständigkeit aufzuopfern, die Meinungs-


reform zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland aufgerichtet. Nur für
Anhalt-Bernburg war auch diese (1826) gefallen. Allerdings in einer Weise,
die „keinem Staate zugemuthet" werden durfte; denn Bernburg war in Steuer-
gemeinschast mit Preußen getreten, was offenbar unanwendbar auf irgend¬
ein anderes deutsches Land war. Am allerwenigsten durften solche Verhand¬
lungen von Preußen angeregt werden; denn wer zuredet, will überVortheilen. Wie
aber, wenn ein größerer Staat selbst zu dem Entschluß gelangte, sich mit Preußen
zu verständigen? Es schien kaum möglich nach dem, was geschehen, und doch
begab sichs so. Jener deutsche Staat, von welchem das erste Anerbieten eines
Anschlusses an das vielgeschmähte preußische Zollsystem ausging, hatte keine
Enclaven in Preußen, er handelte nicht nach einer in solcher Nachbarschaft lie¬
genden Nothwendigkeit, freilich aber auch nicht aus vollkommen freiem Antrieb.
Es war Hessen-Darmstadt, welches den Vertrag vom 19. Mai 1820 schaffen
geholfen.

In Darmstadt waren infolge des genannten Vertrags am 13. September
die Bevollmächtigten der Staaten Bayern, Würtemberg, Baden, Großherzog-
thum Hessen, Nassau, Weimar, der übrigen sächsischen Herzogtümer und der
reußischen Fürstenthümer, später auch die von Kurhessen, Waldeck und beiden
Hohenzollern zusammengetreten, um den Vertrag in Vollzug zu setzen. Man
kam mit guten Hoffnungen, die aber gründlich getäuscht werden sollten. „Es
ist ein lehrreicher Vorgang," meint Aegidi, und wir setzen hinzu, ein Vorgang,
aus dem man namentlich für die Beurtheilung einer gewissen Weisheit lernen
kann, die uns jetzt in Betreff der Schleswig-holsteinschen Sache ni steter Wieder¬
holung vorgetragen wird.

Wir entnehmen aus den darmstädter Vorgängen, sagt Aegidi treffend,
„was im Wege des Artikels 19 aus dem Handel und Verkehr.unsres Volkes
geworden wäre. Nein, von allgemeinen Verhandlungen unter den verschiedenen
Staaten, von gemeinschaftlichen Verabredungen im Voraus ließ sich hierfür
nichts erwarten, da der Gegenstand allzutief mit dem Haushalt eines jeden
einzelnen zusammenhing. Wer eine deutsche Sache nur so weit als deutsch
gelten läßt, als er eine Betheiligung aller deutschen Staaten wahrnimmt, wer
für Verträge im nationalen Sinne nur da die Berechtigung erblickt, wo die
Gesammtheit übereinkommt, der muß hier einsehen lernen, daß, wenn seine
Willensrichtung die entscheidende gewesen wäre, das deutsche Volk auf handels¬
politische Einigung durchaus hätte verzichten müssen."

In Darmstadt gingen die Ansichten der Bevollmächtigten weit auseinander
und desto weiter, je länger man verhandelte. Am ehesten stimmten noch Bayern
und Würtemberg überein. Man wollte einen vereinigten selbständigen Handels¬
staat bilden. Aber die entgegenstehenden Interessen der Einzelstaaten, die Ab¬
neigung derselben, einen Theil ihrer Selbständigkeit aufzuopfern, die Meinungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/575>, abgerufen am 15.01.2025.