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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Der Genügsame freut sich auch über Kleines, und hier schien immerhin
Großes, wenn auch noch nicht erreicht, doch nahe gerückt. Die jetzt zusammen¬
getretenen Staaten bilden einen ziemlich ausgedehnten und zusammenhängenden
Länderstrich. Die Wasser- und Landstraßen vom Rhein, Main und Neckar,
sowie die über den thüringer Wald sind in ihren Händen, und so besitzen sie
recht wohl die Mittel, von den nicht beigetretenen Mächten günstige Handels¬
verträge zu erlangen und zur Noth gegen Preußen Retorsionsmaßregeln anzu¬
wenden. Der Handelsverein, der nun bald aus den darmstädter Konferenzen
hervorgehen wird, wie imponirend wird er auftreten, wie wird der "patriotische"
Freiherr v. Marschall triumphiren! "Bayern, Baden und Würtemberg werden
vorzüglich die Handelsverhältnisse mit der Schweiz, Baden, Bayern und Hessen
die mit Frankreich, Nassau, Hessen und die sächsischen Häuser die mit Preußen
und dem Norden Deutschlands zu prüfen und zu beurtheilen haben." "Es steht
zu hoffen, daß, wenn das Größere, die Vollziehung des 19. Artikels der Bundes¬
acte, nicht für diesmal durchgeführt werden kann, doch wenigstens ein Theil
von Deutschland nach dem Sinn jenes Artikels sich einigt."

"Des Artikels 19?" fragt Aegidi und antwortet: der war ja doch am
19. Mai offenbar aufgegeben worden. Denn lagen die Zollschranken, die man
in Darmstadt aufzurichten im Begriff war, nicht ebenfalls mitten in Deutsch¬
land, ganz ebenso wie die "bundcsrcchtswidrigen, völkerrechtswidrigen, reichs-
staatsrechtswidrigen" Zollschranken Preußens? "Erstrebten diese Staaten mit
ihrer handespolitischen Verbindung etwas Anderes als eine Gesammtmacht zu
bilden, die dasselbe zu thun hatte, was der preußische Staat gethan, und womit
Preußen sich nach der Ansicht jener Staatsmänner, welche jetzt in seine Fu߬
tapfen traten, so stark gegen den Artikel 19 versündigt hatte? Wenn zwei
dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Wenn Preußen die Lebensinteressen
eines bestehenden Staatswesens wahrnahm, so verletzte es den vermeintlichen
Inhalt des Artikels 19; aber wenn im Interesse einer erst noch zu bildenden
Staatengrnppe derselbe politische Egoismus, jedoch ein collectiver Egoismus,
sich geltend machte, so war dies -- die "Patrioten" sagten's ja -- ein Fort¬
schritt in der Richtung des Artikels 19." O Logik und alle neun Musen!

Aber echaussiren wir uns nicht über diese Logik der "wahren Freunde des
Vaterlandes". Es kam anders als sie gerechnet. Während die Gegensätze sich
bis zur UnVersöhnlichkeit steigern zu wollen schienen, begann sich unmerklich
schon die Lösung vorzubereiten.

Die schlimmste Seite der preußischen Einrichtungen von 1818 schienen die
Eingriffe in die Hoheitsrechte andrer deutscher Landesherrn in Betreff der En¬
claven zu bilden. Preußen hielt hier sein Recht entschieden fest, war aber, wie
Bernstorff schon im Februar 182V gegen Fritsch sich äußerte, sehr bereit zu jeder
billigen und mit den bestehenden Verhältnissen verträglichen Ausgleichung. Es


Der Genügsame freut sich auch über Kleines, und hier schien immerhin
Großes, wenn auch noch nicht erreicht, doch nahe gerückt. Die jetzt zusammen¬
getretenen Staaten bilden einen ziemlich ausgedehnten und zusammenhängenden
Länderstrich. Die Wasser- und Landstraßen vom Rhein, Main und Neckar,
sowie die über den thüringer Wald sind in ihren Händen, und so besitzen sie
recht wohl die Mittel, von den nicht beigetretenen Mächten günstige Handels¬
verträge zu erlangen und zur Noth gegen Preußen Retorsionsmaßregeln anzu¬
wenden. Der Handelsverein, der nun bald aus den darmstädter Konferenzen
hervorgehen wird, wie imponirend wird er auftreten, wie wird der „patriotische"
Freiherr v. Marschall triumphiren! „Bayern, Baden und Würtemberg werden
vorzüglich die Handelsverhältnisse mit der Schweiz, Baden, Bayern und Hessen
die mit Frankreich, Nassau, Hessen und die sächsischen Häuser die mit Preußen
und dem Norden Deutschlands zu prüfen und zu beurtheilen haben." „Es steht
zu hoffen, daß, wenn das Größere, die Vollziehung des 19. Artikels der Bundes¬
acte, nicht für diesmal durchgeführt werden kann, doch wenigstens ein Theil
von Deutschland nach dem Sinn jenes Artikels sich einigt."

„Des Artikels 19?" fragt Aegidi und antwortet: der war ja doch am
19. Mai offenbar aufgegeben worden. Denn lagen die Zollschranken, die man
in Darmstadt aufzurichten im Begriff war, nicht ebenfalls mitten in Deutsch¬
land, ganz ebenso wie die „bundcsrcchtswidrigen, völkerrechtswidrigen, reichs-
staatsrechtswidrigen" Zollschranken Preußens? „Erstrebten diese Staaten mit
ihrer handespolitischen Verbindung etwas Anderes als eine Gesammtmacht zu
bilden, die dasselbe zu thun hatte, was der preußische Staat gethan, und womit
Preußen sich nach der Ansicht jener Staatsmänner, welche jetzt in seine Fu߬
tapfen traten, so stark gegen den Artikel 19 versündigt hatte? Wenn zwei
dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Wenn Preußen die Lebensinteressen
eines bestehenden Staatswesens wahrnahm, so verletzte es den vermeintlichen
Inhalt des Artikels 19; aber wenn im Interesse einer erst noch zu bildenden
Staatengrnppe derselbe politische Egoismus, jedoch ein collectiver Egoismus,
sich geltend machte, so war dies — die „Patrioten" sagten's ja — ein Fort¬
schritt in der Richtung des Artikels 19." O Logik und alle neun Musen!

Aber echaussiren wir uns nicht über diese Logik der „wahren Freunde des
Vaterlandes". Es kam anders als sie gerechnet. Während die Gegensätze sich
bis zur UnVersöhnlichkeit steigern zu wollen schienen, begann sich unmerklich
schon die Lösung vorzubereiten.

Die schlimmste Seite der preußischen Einrichtungen von 1818 schienen die
Eingriffe in die Hoheitsrechte andrer deutscher Landesherrn in Betreff der En¬
claven zu bilden. Preußen hielt hier sein Recht entschieden fest, war aber, wie
Bernstorff schon im Februar 182V gegen Fritsch sich äußerte, sehr bereit zu jeder
billigen und mit den bestehenden Verhältnissen verträglichen Ausgleichung. Es


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[0573] Der Genügsame freut sich auch über Kleines, und hier schien immerhin Großes, wenn auch noch nicht erreicht, doch nahe gerückt. Die jetzt zusammen¬ getretenen Staaten bilden einen ziemlich ausgedehnten und zusammenhängenden Länderstrich. Die Wasser- und Landstraßen vom Rhein, Main und Neckar, sowie die über den thüringer Wald sind in ihren Händen, und so besitzen sie recht wohl die Mittel, von den nicht beigetretenen Mächten günstige Handels¬ verträge zu erlangen und zur Noth gegen Preußen Retorsionsmaßregeln anzu¬ wenden. Der Handelsverein, der nun bald aus den darmstädter Konferenzen hervorgehen wird, wie imponirend wird er auftreten, wie wird der „patriotische" Freiherr v. Marschall triumphiren! „Bayern, Baden und Würtemberg werden vorzüglich die Handelsverhältnisse mit der Schweiz, Baden, Bayern und Hessen die mit Frankreich, Nassau, Hessen und die sächsischen Häuser die mit Preußen und dem Norden Deutschlands zu prüfen und zu beurtheilen haben." „Es steht zu hoffen, daß, wenn das Größere, die Vollziehung des 19. Artikels der Bundes¬ acte, nicht für diesmal durchgeführt werden kann, doch wenigstens ein Theil von Deutschland nach dem Sinn jenes Artikels sich einigt." „Des Artikels 19?" fragt Aegidi und antwortet: der war ja doch am 19. Mai offenbar aufgegeben worden. Denn lagen die Zollschranken, die man in Darmstadt aufzurichten im Begriff war, nicht ebenfalls mitten in Deutsch¬ land, ganz ebenso wie die „bundcsrcchtswidrigen, völkerrechtswidrigen, reichs- staatsrechtswidrigen" Zollschranken Preußens? „Erstrebten diese Staaten mit ihrer handespolitischen Verbindung etwas Anderes als eine Gesammtmacht zu bilden, die dasselbe zu thun hatte, was der preußische Staat gethan, und womit Preußen sich nach der Ansicht jener Staatsmänner, welche jetzt in seine Fu߬ tapfen traten, so stark gegen den Artikel 19 versündigt hatte? Wenn zwei dasselbe thun, so ist es nicht dasselbe. Wenn Preußen die Lebensinteressen eines bestehenden Staatswesens wahrnahm, so verletzte es den vermeintlichen Inhalt des Artikels 19; aber wenn im Interesse einer erst noch zu bildenden Staatengrnppe derselbe politische Egoismus, jedoch ein collectiver Egoismus, sich geltend machte, so war dies — die „Patrioten" sagten's ja — ein Fort¬ schritt in der Richtung des Artikels 19." O Logik und alle neun Musen! Aber echaussiren wir uns nicht über diese Logik der „wahren Freunde des Vaterlandes". Es kam anders als sie gerechnet. Während die Gegensätze sich bis zur UnVersöhnlichkeit steigern zu wollen schienen, begann sich unmerklich schon die Lösung vorzubereiten. Die schlimmste Seite der preußischen Einrichtungen von 1818 schienen die Eingriffe in die Hoheitsrechte andrer deutscher Landesherrn in Betreff der En¬ claven zu bilden. Preußen hielt hier sein Recht entschieden fest, war aber, wie Bernstorff schon im Februar 182V gegen Fritsch sich äußerte, sehr bereit zu jeder billigen und mit den bestehenden Verhältnissen verträglichen Ausgleichung. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/573>, abgerufen am 15.01.2025.