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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Tage vorher war gefangen genommen worden) war der rechte Arm von einer
Kanonenkugel gänzlich weggerissen worden. Alles von uns stand in der tiefsten
Traurigkeit unter dem Gewehr und beseufzete das unglückliche Schicksal unseres
braven Kameraden, nur er, Weinreich, stolzierte mit spanischen Schritten vor
der Front auf und ab und versicherte einem jeden Offizier, der ihn anhören
wollte, daß er sich freue, grade zu der Zeit einer so schönen Affaire zu kommen;
da mehre von uns ihm ihren Schmerz über unsern Verlust laut merken ließen,
war er unvorsichtig genug hiervon keine Notiz zu nehmen und sich dadurch die
Verachtung von jedermann zuzuziehen. Doch stille von einem Menschen, den
nur übelgesinnte Leute zu uns schicken konnten und der ihnen mit der größten
Unordnung gedankt hat, die nur ein Kaufmann begehen kann, der sich ins
Militär meurt. -- Alle Nachrichten, die wir bekommen, scheinen darin einstimmig
zu sein, daß der König von Preußen Frieden schließen wird und muß. Eine
fürchterliche Niederlage der Russen und Preußen, wovon wir gestern officielle
Nachricht erhalten, wird gewiß der Sache den Ausschlag geben. Unsere Festung
wehrt sich zwar äußerst tapfer, allein dieser kleine Fleck Erde wird im Ganzen
keinen Grund zur Verzögerung des Friedens geben, und nach meinen wenigen
Kenntnissen bin ich überzeugt, daß in wenigen Tagen die Festung über ist, so
gewiß bin ich dieses, daß ich mit meinem braven Major um eine Feldflasche
voll Wein gewettet habe, daß sie in Zeit von 8 Tagen erobert ist. Aus der
andern Welt erfahren wir gar nichts. -- Auf unserer morastigen Anhöhe er¬
fahren wir so wenig und sehen so wenig was sonst passirt. daß mir vor einigen
Tagen ein komischer Zufall passirte. Eine Bauersfrau trug einige junge Gänse
zum Verkauf ins Lager; ich, der vergessen hatte, daß wir schon 9 Wochen hier
stehen, wunderte mich, daß ein Offizier von uns darum handelte und lachte ihn
aus. weil ich glaubte, daß es alte wären.- Endlich erklärte sich der Irrthum,
und weil ich nun versicherte, daß ich die letzten Gänse als kleine gelbe Geschöpfe
gesehen hätte, und seit dieser Zeit keine wieder, mir also dieses eine neue Er¬
scheinung sei, so ist eine lustige Anekdote daraus im Regiment entstanden. Hier
sehen wir nichts von blühenden Bäumen, von reifenden Saatfeldern, von fröh¬
lichen Heuerntern, nur den ewigen Anblick einer todten Ostsee, den Rauch der
Kanonen und Feldwächter; unsere einzige Musik (außer der freundlichen Lerche)
ist der Kanonendonner, kleines Gewehrfeuer, Trommel, Abends entfernte Feld¬
musik, dazwischen des Nachts das einförmige Getön eines Wachtelkönigs und
etlicher wenigen Frösche, die die benachbarten Italiener am Leben gelassen
haben, welche sie alle fressen, die sie haben können, so wie auch die Pferde, die
vom Feinde todtgeschossen werden. -- Für Deinen übersendeten Schinken und
die Knackwurst danke ich Dir recht sehr, zwar erweckt mir der Schinken, wen"
ich ein Stückchen herunter schneide, allemal die traurige Rückerinnerung, wie
sehr Du, bestes Weib, Dich freutest, das kleine Schweinchen zu schlachten und


Tage vorher war gefangen genommen worden) war der rechte Arm von einer
Kanonenkugel gänzlich weggerissen worden. Alles von uns stand in der tiefsten
Traurigkeit unter dem Gewehr und beseufzete das unglückliche Schicksal unseres
braven Kameraden, nur er, Weinreich, stolzierte mit spanischen Schritten vor
der Front auf und ab und versicherte einem jeden Offizier, der ihn anhören
wollte, daß er sich freue, grade zu der Zeit einer so schönen Affaire zu kommen;
da mehre von uns ihm ihren Schmerz über unsern Verlust laut merken ließen,
war er unvorsichtig genug hiervon keine Notiz zu nehmen und sich dadurch die
Verachtung von jedermann zuzuziehen. Doch stille von einem Menschen, den
nur übelgesinnte Leute zu uns schicken konnten und der ihnen mit der größten
Unordnung gedankt hat, die nur ein Kaufmann begehen kann, der sich ins
Militär meurt. — Alle Nachrichten, die wir bekommen, scheinen darin einstimmig
zu sein, daß der König von Preußen Frieden schließen wird und muß. Eine
fürchterliche Niederlage der Russen und Preußen, wovon wir gestern officielle
Nachricht erhalten, wird gewiß der Sache den Ausschlag geben. Unsere Festung
wehrt sich zwar äußerst tapfer, allein dieser kleine Fleck Erde wird im Ganzen
keinen Grund zur Verzögerung des Friedens geben, und nach meinen wenigen
Kenntnissen bin ich überzeugt, daß in wenigen Tagen die Festung über ist, so
gewiß bin ich dieses, daß ich mit meinem braven Major um eine Feldflasche
voll Wein gewettet habe, daß sie in Zeit von 8 Tagen erobert ist. Aus der
andern Welt erfahren wir gar nichts. — Auf unserer morastigen Anhöhe er¬
fahren wir so wenig und sehen so wenig was sonst passirt. daß mir vor einigen
Tagen ein komischer Zufall passirte. Eine Bauersfrau trug einige junge Gänse
zum Verkauf ins Lager; ich, der vergessen hatte, daß wir schon 9 Wochen hier
stehen, wunderte mich, daß ein Offizier von uns darum handelte und lachte ihn
aus. weil ich glaubte, daß es alte wären.- Endlich erklärte sich der Irrthum,
und weil ich nun versicherte, daß ich die letzten Gänse als kleine gelbe Geschöpfe
gesehen hätte, und seit dieser Zeit keine wieder, mir also dieses eine neue Er¬
scheinung sei, so ist eine lustige Anekdote daraus im Regiment entstanden. Hier
sehen wir nichts von blühenden Bäumen, von reifenden Saatfeldern, von fröh¬
lichen Heuerntern, nur den ewigen Anblick einer todten Ostsee, den Rauch der
Kanonen und Feldwächter; unsere einzige Musik (außer der freundlichen Lerche)
ist der Kanonendonner, kleines Gewehrfeuer, Trommel, Abends entfernte Feld¬
musik, dazwischen des Nachts das einförmige Getön eines Wachtelkönigs und
etlicher wenigen Frösche, die die benachbarten Italiener am Leben gelassen
haben, welche sie alle fressen, die sie haben können, so wie auch die Pferde, die
vom Feinde todtgeschossen werden. — Für Deinen übersendeten Schinken und
die Knackwurst danke ich Dir recht sehr, zwar erweckt mir der Schinken, wen»
ich ein Stückchen herunter schneide, allemal die traurige Rückerinnerung, wie
sehr Du, bestes Weib, Dich freutest, das kleine Schweinchen zu schlachten und


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[0564] Tage vorher war gefangen genommen worden) war der rechte Arm von einer Kanonenkugel gänzlich weggerissen worden. Alles von uns stand in der tiefsten Traurigkeit unter dem Gewehr und beseufzete das unglückliche Schicksal unseres braven Kameraden, nur er, Weinreich, stolzierte mit spanischen Schritten vor der Front auf und ab und versicherte einem jeden Offizier, der ihn anhören wollte, daß er sich freue, grade zu der Zeit einer so schönen Affaire zu kommen; da mehre von uns ihm ihren Schmerz über unsern Verlust laut merken ließen, war er unvorsichtig genug hiervon keine Notiz zu nehmen und sich dadurch die Verachtung von jedermann zuzuziehen. Doch stille von einem Menschen, den nur übelgesinnte Leute zu uns schicken konnten und der ihnen mit der größten Unordnung gedankt hat, die nur ein Kaufmann begehen kann, der sich ins Militär meurt. — Alle Nachrichten, die wir bekommen, scheinen darin einstimmig zu sein, daß der König von Preußen Frieden schließen wird und muß. Eine fürchterliche Niederlage der Russen und Preußen, wovon wir gestern officielle Nachricht erhalten, wird gewiß der Sache den Ausschlag geben. Unsere Festung wehrt sich zwar äußerst tapfer, allein dieser kleine Fleck Erde wird im Ganzen keinen Grund zur Verzögerung des Friedens geben, und nach meinen wenigen Kenntnissen bin ich überzeugt, daß in wenigen Tagen die Festung über ist, so gewiß bin ich dieses, daß ich mit meinem braven Major um eine Feldflasche voll Wein gewettet habe, daß sie in Zeit von 8 Tagen erobert ist. Aus der andern Welt erfahren wir gar nichts. — Auf unserer morastigen Anhöhe er¬ fahren wir so wenig und sehen so wenig was sonst passirt. daß mir vor einigen Tagen ein komischer Zufall passirte. Eine Bauersfrau trug einige junge Gänse zum Verkauf ins Lager; ich, der vergessen hatte, daß wir schon 9 Wochen hier stehen, wunderte mich, daß ein Offizier von uns darum handelte und lachte ihn aus. weil ich glaubte, daß es alte wären.- Endlich erklärte sich der Irrthum, und weil ich nun versicherte, daß ich die letzten Gänse als kleine gelbe Geschöpfe gesehen hätte, und seit dieser Zeit keine wieder, mir also dieses eine neue Er¬ scheinung sei, so ist eine lustige Anekdote daraus im Regiment entstanden. Hier sehen wir nichts von blühenden Bäumen, von reifenden Saatfeldern, von fröh¬ lichen Heuerntern, nur den ewigen Anblick einer todten Ostsee, den Rauch der Kanonen und Feldwächter; unsere einzige Musik (außer der freundlichen Lerche) ist der Kanonendonner, kleines Gewehrfeuer, Trommel, Abends entfernte Feld¬ musik, dazwischen des Nachts das einförmige Getön eines Wachtelkönigs und etlicher wenigen Frösche, die die benachbarten Italiener am Leben gelassen haben, welche sie alle fressen, die sie haben können, so wie auch die Pferde, die vom Feinde todtgeschossen werden. — Für Deinen übersendeten Schinken und die Knackwurst danke ich Dir recht sehr, zwar erweckt mir der Schinken, wen» ich ein Stückchen herunter schneide, allemal die traurige Rückerinnerung, wie sehr Du, bestes Weib, Dich freutest, das kleine Schweinchen zu schlachten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/564>, abgerufen am 15.01.2025.