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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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wie wenig wir es uns jenes Mal träumen ließen, in welcher traurigen Trennung
wir es verzehren würden. -- Die Unteroffiziers des Transports werden Dir
eS sagen, wie wohl ich bin und daß ich einer der Wenigen bin, die noch
munteren Geistes sind. --

Feldlager vor Kolberg, 14. Juli 1807. -- Freue Dich, mein gutes treues
Weib, Gott hat unser aller Gebet erhört und zeigt uns den nahen Frieden.
-- Groß ist unsere Hoffnung, daß wir jezo das Ende unseres Elendes erlebt
haben und bald wieder in den Schooß unserer Familie, in unser liebes -- liebes
Baterland zurückkehren werden. Vorgestern schlugen wir uns schon den dritten
Tag mit unserm tapfern Feind, zwei Tage unaufhörlich, bombardirten die Stadt,
die von allen Seiten brannte und ein schreckliches Schauspiel darbot, von allen
Seiten würgte der Tod -- 1000 Mann von unserer Seite gingen im Kampfe
zu Grunde -- der Kanonendonner (dessen wir gewiß in 10 Wochen gewöhnt
worden sind, wo er schon ohne Aufhören schallte) betäubte unsere Ohren, unsere
Gefühle waren beinahe abgestumpft für das Geschrei der Verwundeten, für daS
Aechzen der Sterbenden; und schon geschahe bei unsern jungen Leuten alles
mit einem Stumpfsinn, der unbegreiflich ist, als auf einmal in dieser schrecklichen
Periode einer doppelten Schlacht der Engel des Friedens in Gestalt eines
Couriers, einer Menge Adjutanten und Offiziers unter den Kämpfenden pfeil¬
schnell erschien und in Zeit einer halben Stunde dieses gräßlichen Jammers
ein Ende machte. Waffenstillstand -- Waffenstillstand -- schrie es von allen
Seiten, und im Augenblick liefen die Soldaten, die sich den Augenblick vorhero
erbittert auf den Tod schlugen, zusammen, tranken zusammen, gaben sich die
Hände, halfen sich einander die Verwundeten besorgen, kurz es bot sich ein
Schauspiel dar, das keine Feder je wird beschreiben können. -- Soeben kommen
einige Bürger aus der Festung, um mit unserm commandirenden General Loison
zu reden, diese armen Menschen können uns den Jammer, der in der Stadt
durch das Bombardement ist angestellt worden, nicht genug beschreiben, da ist
kein Haus, welches nicht gänzlich ist ruinirt worden, da ist kein Mann, der
nicht arm oder unglücklich geworden ist. Selbst Kindern sind die Beine weg¬
geschossen worden. Gott erbarme sich und gebe einen baldigen festen Frieden,
die Greuel des Krieges sind zu schrecklich; man liest so oft in Zeitungen und
Romanen flüchtig alle diese Unglücke ohne gewisses Nachdenken, aber welch ein
Unterschied, wenn man an Ort und Stelle ist und diese Schrecknisse mit Augen
sieht. Nach Aussage dieser Männer wäre dieses Unglück nicht geschehen, wenn
ein Lieutenant des infamen Schillschen Corps seine Schuldigkeit gethan hätte
und den einen Theil des Hafens gehörig vertheidigt hätte, denn es stand ein
Schiff mit Nachrichten für uns und die Preußen in der See, konnte aber nicht
landen, weil wir es würden haben zu Grunde geschossen; so kam die Nachricht
zu Lande und leider für die Stadt 48 Stunden zu spät.


wie wenig wir es uns jenes Mal träumen ließen, in welcher traurigen Trennung
wir es verzehren würden. — Die Unteroffiziers des Transports werden Dir
eS sagen, wie wohl ich bin und daß ich einer der Wenigen bin, die noch
munteren Geistes sind. —

Feldlager vor Kolberg, 14. Juli 1807. — Freue Dich, mein gutes treues
Weib, Gott hat unser aller Gebet erhört und zeigt uns den nahen Frieden.
— Groß ist unsere Hoffnung, daß wir jezo das Ende unseres Elendes erlebt
haben und bald wieder in den Schooß unserer Familie, in unser liebes — liebes
Baterland zurückkehren werden. Vorgestern schlugen wir uns schon den dritten
Tag mit unserm tapfern Feind, zwei Tage unaufhörlich, bombardirten die Stadt,
die von allen Seiten brannte und ein schreckliches Schauspiel darbot, von allen
Seiten würgte der Tod — 1000 Mann von unserer Seite gingen im Kampfe
zu Grunde — der Kanonendonner (dessen wir gewiß in 10 Wochen gewöhnt
worden sind, wo er schon ohne Aufhören schallte) betäubte unsere Ohren, unsere
Gefühle waren beinahe abgestumpft für das Geschrei der Verwundeten, für daS
Aechzen der Sterbenden; und schon geschahe bei unsern jungen Leuten alles
mit einem Stumpfsinn, der unbegreiflich ist, als auf einmal in dieser schrecklichen
Periode einer doppelten Schlacht der Engel des Friedens in Gestalt eines
Couriers, einer Menge Adjutanten und Offiziers unter den Kämpfenden pfeil¬
schnell erschien und in Zeit einer halben Stunde dieses gräßlichen Jammers
ein Ende machte. Waffenstillstand — Waffenstillstand — schrie es von allen
Seiten, und im Augenblick liefen die Soldaten, die sich den Augenblick vorhero
erbittert auf den Tod schlugen, zusammen, tranken zusammen, gaben sich die
Hände, halfen sich einander die Verwundeten besorgen, kurz es bot sich ein
Schauspiel dar, das keine Feder je wird beschreiben können. — Soeben kommen
einige Bürger aus der Festung, um mit unserm commandirenden General Loison
zu reden, diese armen Menschen können uns den Jammer, der in der Stadt
durch das Bombardement ist angestellt worden, nicht genug beschreiben, da ist
kein Haus, welches nicht gänzlich ist ruinirt worden, da ist kein Mann, der
nicht arm oder unglücklich geworden ist. Selbst Kindern sind die Beine weg¬
geschossen worden. Gott erbarme sich und gebe einen baldigen festen Frieden,
die Greuel des Krieges sind zu schrecklich; man liest so oft in Zeitungen und
Romanen flüchtig alle diese Unglücke ohne gewisses Nachdenken, aber welch ein
Unterschied, wenn man an Ort und Stelle ist und diese Schrecknisse mit Augen
sieht. Nach Aussage dieser Männer wäre dieses Unglück nicht geschehen, wenn
ein Lieutenant des infamen Schillschen Corps seine Schuldigkeit gethan hätte
und den einen Theil des Hafens gehörig vertheidigt hätte, denn es stand ein
Schiff mit Nachrichten für uns und die Preußen in der See, konnte aber nicht
landen, weil wir es würden haben zu Grunde geschossen; so kam die Nachricht
zu Lande und leider für die Stadt 48 Stunden zu spät.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/565>, abgerufen am 15.01.2025.