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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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und Ständen, geputzte Damens und Herren, schmutzige Lastträger und liederliche
Weibsbilder, Offiziers in der Staatsuniform und Sansculotten mit der Kneller-
pfeife im Munde, alles dieses wechselt und drängt sich stets unter und durch¬
einander im bunten Gewühle. Die Stadt selbst ist von Palästen erbaut,
selten und nur in denen Endgäßchens erblickt man einmal ein kleines Häuschen,
alle Straßen breit, meistens gerade und rechtwinklig durchschnitten, wie ein
Theil von Erlangen. Aber das Sittenverderbniß in dieser Stadt ist auch über
alle Beschreibung. Man ist am hellen Tage nicht im Stande über die Straßen
zu gehen, ohne der Anfälle einer Menge Freudenmädchen ausgesetzt zu sein.
Abends und Nachtszeit kann man sich nur durch starke Arme und herzhafte
Rippenstöße den verwünschten Zudringlichkeiten dieses Auswurfs des menschlichen
Geschlechts entziehen. Die fürchterlichsten Krankheiten haben schrecklich über
Hand genommen, und eine große Anzahl Soldaten, Franzosen und Deutsche,
liegen in den dortigen Hospitälern an unheilbaren Krankheiten darnieder und
verfaulen im eigentlichsten Verstände bei lebendigem Leibe. Du kannst leicht
denken, in welchen Sorgen wir um unsere ehrlichen Meininger und Altenburger
waren, denen dieses alles neue Erscheinungen waren, die nicht begreifen konnten,
daß in Seide gekleidete und in bloßen Haaren mit großen Shawls angethane
Damen ihnen zuriefen, sie in schöne Häuser zogen und an Hellem Tage mit
der größten Frechheit anredeten. Unsere Warnungen halfen zum Theil. --
Bon Berlin bis Hieher haben wir eine äußerst traurige Gegend durchreist, eine
elende Sandwüste, die noch dazu durch den Krieg schrecklich mitgenommen
worden ist. Da war kein Tisch, kein Stuhl, kein Bett, kein Fenster. Fleisch
und Brod nahmen wir aus den nächsten Städtchens mit, damit wir nicht ver¬
hungerten, bis wir dann hier an der polnischen Grenze anlangten. Landsberg
ist an und vor sich ein recht angenehmes Städtchen, grade in der Größe von
Meiningen, nur daß die Vorstädte es größer machen. Ich für meine Person
habe durch Zufall das beste Loos getroffen. Mein Quartier liegt an dem
Thore der Stadt, ein sehr schönes Haus, dessen Hintere Seite an die Warthe
dicht angebaut ist; dieses ist ein schöner schiffbarer Fluß, und den ganzen Tag
gehen unzählige Schiffe mit Segel unter meinem Fenster vorbei, die nach Küstrin
(welches nahe bei uns liegt und durch das wir gekommen sind) mit Kriegs¬
bedürfnissen gehen oder daher kommen. Aus allen preußischen, polnischen und
andern Provinzen kommen täglich bei meinem Hause Schiffe an oder gehen ab.
Da Du nun weißt, welcher Freund von einem schiffbaren Flusse ich von jeher
war, da Du Dir das geschäftige Gewühl dieser Menschen grade unter meinem
Fenster und die herrliche Aussicht Stunden lang über diesen Fluß leicht denken
kannst, dazu noch, daß die eine Seite des Hauses an die Gärten der Stadt
stößt, die jetzo grade bestellt werden, so kannst Du Dir einen kleinen Begriff
machen, mit welcher Zufriedenheit ich hier von den Strapazen ausruhe. Zu


und Ständen, geputzte Damens und Herren, schmutzige Lastträger und liederliche
Weibsbilder, Offiziers in der Staatsuniform und Sansculotten mit der Kneller-
pfeife im Munde, alles dieses wechselt und drängt sich stets unter und durch¬
einander im bunten Gewühle. Die Stadt selbst ist von Palästen erbaut,
selten und nur in denen Endgäßchens erblickt man einmal ein kleines Häuschen,
alle Straßen breit, meistens gerade und rechtwinklig durchschnitten, wie ein
Theil von Erlangen. Aber das Sittenverderbniß in dieser Stadt ist auch über
alle Beschreibung. Man ist am hellen Tage nicht im Stande über die Straßen
zu gehen, ohne der Anfälle einer Menge Freudenmädchen ausgesetzt zu sein.
Abends und Nachtszeit kann man sich nur durch starke Arme und herzhafte
Rippenstöße den verwünschten Zudringlichkeiten dieses Auswurfs des menschlichen
Geschlechts entziehen. Die fürchterlichsten Krankheiten haben schrecklich über
Hand genommen, und eine große Anzahl Soldaten, Franzosen und Deutsche,
liegen in den dortigen Hospitälern an unheilbaren Krankheiten darnieder und
verfaulen im eigentlichsten Verstände bei lebendigem Leibe. Du kannst leicht
denken, in welchen Sorgen wir um unsere ehrlichen Meininger und Altenburger
waren, denen dieses alles neue Erscheinungen waren, die nicht begreifen konnten,
daß in Seide gekleidete und in bloßen Haaren mit großen Shawls angethane
Damen ihnen zuriefen, sie in schöne Häuser zogen und an Hellem Tage mit
der größten Frechheit anredeten. Unsere Warnungen halfen zum Theil. —
Bon Berlin bis Hieher haben wir eine äußerst traurige Gegend durchreist, eine
elende Sandwüste, die noch dazu durch den Krieg schrecklich mitgenommen
worden ist. Da war kein Tisch, kein Stuhl, kein Bett, kein Fenster. Fleisch
und Brod nahmen wir aus den nächsten Städtchens mit, damit wir nicht ver¬
hungerten, bis wir dann hier an der polnischen Grenze anlangten. Landsberg
ist an und vor sich ein recht angenehmes Städtchen, grade in der Größe von
Meiningen, nur daß die Vorstädte es größer machen. Ich für meine Person
habe durch Zufall das beste Loos getroffen. Mein Quartier liegt an dem
Thore der Stadt, ein sehr schönes Haus, dessen Hintere Seite an die Warthe
dicht angebaut ist; dieses ist ein schöner schiffbarer Fluß, und den ganzen Tag
gehen unzählige Schiffe mit Segel unter meinem Fenster vorbei, die nach Küstrin
(welches nahe bei uns liegt und durch das wir gekommen sind) mit Kriegs¬
bedürfnissen gehen oder daher kommen. Aus allen preußischen, polnischen und
andern Provinzen kommen täglich bei meinem Hause Schiffe an oder gehen ab.
Da Du nun weißt, welcher Freund von einem schiffbaren Flusse ich von jeher
war, da Du Dir das geschäftige Gewühl dieser Menschen grade unter meinem
Fenster und die herrliche Aussicht Stunden lang über diesen Fluß leicht denken
kannst, dazu noch, daß die eine Seite des Hauses an die Gärten der Stadt
stößt, die jetzo grade bestellt werden, so kannst Du Dir einen kleinen Begriff
machen, mit welcher Zufriedenheit ich hier von den Strapazen ausruhe. Zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/559>, abgerufen am 15.01.2025.