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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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tauschen gegen die durch das Gesetz vom 31. October 1848 eingeführte,
wonach als einzige Zwischenbehörde zwischen dem Ministerium des Immer"
und den Gemeinden neun Bezirksdirectionen, an der Spitze der Bezirke der
Director, ihm zur Seite einige Referenten über Bau- und Schulangelegenheiten
u. dergl., und ein vom Volke gewählter Bezirksrath mit entscheidender Stimme
in bestimmten Angelegenheiten standen. Die Ortspolizei war ganz in die Hände
der Gemeindebehörden übergegangen und die Landespolizei in unterster Instanz
ebenfalls von Gemeindebeamten, in der höhern Instanz von den Bezirksbehörden
ausgeübt. Mit dieser Einrichtung war die ministerielle Willkür ausgeschlossen
und der Anfang zur Beseitigung der bureaukratischen Verwaltung gemacht,
ebenso der Gebrauch der Polizei und ihrer Mannschaft zu andern als Sicher"
Heilzwecken beseitigt. Die Gemeindeverwaltung konnte zu größerer Selbst-
ständigkeit und Tüchtigkeit gelangen, und der Minister des Innern fand seine
Verantwortlichkeit erleichtert.

Um dem sonst vorzüglichen Gerichtswesen die richtige Spitze zu geben,
sollte der Kurfürst auch das Gesetz vom 17. Juni 1848 wieder in Geltung
setzen, wonach die Ständeversammlung bei Besetzung erledigter Stellen des
Oberappellationsgerichts der Krone drei Candidaten vorzuschlagen hat, von
denen einer zu wählen ist, und die Unverletzbarkeit der obersten Richter aus¬
gesprochen ward.

Zur freien Entfaltung der Volkskraft wird die alleinige Geltung des noch
bestehenden Gesetzes vom 26. August 1848 wider Preßvergehen, welches alle
Censur, Kautionen, Concessionen namentlich ausschließt und feststellt, daß alle
Beschlagnahme, Unterdrückung oder Vernichtung einer Druckschrift lediglich
durch die Gerichte erfolgen dürfe, das Wesentlichste beitragen. Es ist nur
dem Beispiel Sachsens und Würtembergs zu folgen, welche die Bundesbe¬
schlüsse von 1834 in Bezug auf Presse und Vereinswesen außer Wirksamkeit
gesetzt haben; damit würden die Vollzugsverordnungen von selbst fallen.
Außer den vorstehenden erwähnen wir von den Gesetzen der Jahre 1848 und
1849 noch die Gesetze über Einführung der Civilehe, freie Religionsübung und
Vereinsrecht. Dann schließen wir.

Es ist eine Täuschung der Krone, wenn sie glaubt, daß mit dem bisherigen
Regierungssystem ihrem Interesse gedient sei; wie der Zustand jetzt ist, kann
er nach dem Gesetze aller natürlichen Entwickelung nicht lange mehr bleiben
und die Bewegung wird sich Bahn brechen auf die eine oder die andere Weise;
es bleibt der kurhessischen Bevölkerung nur die Alternative: entweder es wird
ihr geholfen durch ihre eigene innere Entwickelung und zwar durch Zurückgehen
auf die eben dargestellte Verwaltung des Landes nach der Gesetzgebung der
Jahre 1848 und 49, oder es wird die Verzweiflung sie auf eine Hilfe von
außenher hintreiben, und dieser zweite Fall findet schon jetzt seinen Ausdruck


tauschen gegen die durch das Gesetz vom 31. October 1848 eingeführte,
wonach als einzige Zwischenbehörde zwischen dem Ministerium des Immer»
und den Gemeinden neun Bezirksdirectionen, an der Spitze der Bezirke der
Director, ihm zur Seite einige Referenten über Bau- und Schulangelegenheiten
u. dergl., und ein vom Volke gewählter Bezirksrath mit entscheidender Stimme
in bestimmten Angelegenheiten standen. Die Ortspolizei war ganz in die Hände
der Gemeindebehörden übergegangen und die Landespolizei in unterster Instanz
ebenfalls von Gemeindebeamten, in der höhern Instanz von den Bezirksbehörden
ausgeübt. Mit dieser Einrichtung war die ministerielle Willkür ausgeschlossen
und der Anfang zur Beseitigung der bureaukratischen Verwaltung gemacht,
ebenso der Gebrauch der Polizei und ihrer Mannschaft zu andern als Sicher»
Heilzwecken beseitigt. Die Gemeindeverwaltung konnte zu größerer Selbst-
ständigkeit und Tüchtigkeit gelangen, und der Minister des Innern fand seine
Verantwortlichkeit erleichtert.

Um dem sonst vorzüglichen Gerichtswesen die richtige Spitze zu geben,
sollte der Kurfürst auch das Gesetz vom 17. Juni 1848 wieder in Geltung
setzen, wonach die Ständeversammlung bei Besetzung erledigter Stellen des
Oberappellationsgerichts der Krone drei Candidaten vorzuschlagen hat, von
denen einer zu wählen ist, und die Unverletzbarkeit der obersten Richter aus¬
gesprochen ward.

Zur freien Entfaltung der Volkskraft wird die alleinige Geltung des noch
bestehenden Gesetzes vom 26. August 1848 wider Preßvergehen, welches alle
Censur, Kautionen, Concessionen namentlich ausschließt und feststellt, daß alle
Beschlagnahme, Unterdrückung oder Vernichtung einer Druckschrift lediglich
durch die Gerichte erfolgen dürfe, das Wesentlichste beitragen. Es ist nur
dem Beispiel Sachsens und Würtembergs zu folgen, welche die Bundesbe¬
schlüsse von 1834 in Bezug auf Presse und Vereinswesen außer Wirksamkeit
gesetzt haben; damit würden die Vollzugsverordnungen von selbst fallen.
Außer den vorstehenden erwähnen wir von den Gesetzen der Jahre 1848 und
1849 noch die Gesetze über Einführung der Civilehe, freie Religionsübung und
Vereinsrecht. Dann schließen wir.

Es ist eine Täuschung der Krone, wenn sie glaubt, daß mit dem bisherigen
Regierungssystem ihrem Interesse gedient sei; wie der Zustand jetzt ist, kann
er nach dem Gesetze aller natürlichen Entwickelung nicht lange mehr bleiben
und die Bewegung wird sich Bahn brechen auf die eine oder die andere Weise;
es bleibt der kurhessischen Bevölkerung nur die Alternative: entweder es wird
ihr geholfen durch ihre eigene innere Entwickelung und zwar durch Zurückgehen
auf die eben dargestellte Verwaltung des Landes nach der Gesetzgebung der
Jahre 1848 und 49, oder es wird die Verzweiflung sie auf eine Hilfe von
außenher hintreiben, und dieser zweite Fall findet schon jetzt seinen Ausdruck


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/536>, abgerufen am 15.01.2025.