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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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halten der Ständeversammlung bisher zu "gemäßigt und entgegenkommend"
gewesen. Das wird selbst Herr v. Bismarck anerkennen müssen.

Das Verhalten der Ständeversammlung und ihrer hervorragenden Mit¬
glieder hat übrigens keinerlei Kluft zwischen ihr und der Stimmung des ge-
sammten Landes hervorgerufen. Friedrich Oetker steht in dem alten verdienten
Ansehen; in reinen Rechts- und Verfassungsfragen bleibt er immer der Leiter,
und in der allgemeinen deutschen Frage hat er gegenüber einigen gar zu kur-
hessisch-loyalen Anwandlungen von Collegen im Landtage streng den deutsch¬
nationalen Standpunkt gewahrt. Kränklichkeit hindert ihn nur an einer noch
energischeren Thätigkeit. Die . große Mehrheit der Ständeversammlung steht auf
streng verfassungsmäßigen Standpunkte und entbehrt vielleicht etwas zu sehr
der agitatorischen Kraftentwickelung. In dieser Beziehung ist ein nimmer
ruhendes Element der eine Abgeordnete der größten Fabrikstadt des Landes,
Trabert, der übrigens in rein praktischen Fragen auch eines nicht unbe¬
deutenden Anhangs unter den Abgeordneten sich erfreut. Es ereignet sich
dann auch wohl, daß er, der demokratischste Abgeordnete, in der Abstimmung
mit den Abgeordneten der Ritterschaft zusammentrifft. Diese helfen übrigens
dem Ministerium hier und da die Aufrechthaltung der provisorischen Gesetzgebung
erleichtern, während sie in reinen Zweckmäßigkeitsfragen meistentheils einen
gesunden Standpunkt innehalten. Eine sehr kleine Minderheit von ultramon¬
tanen Abgeordneten hat sich in der Abstimmung über den deutsch-französischen
Handelsvertrag, gegen dessen Genehmigung sie in östreichisch-concordatlichcm
Interesse stimmte, am entschiedensten gekennzeichnet. Sie hat ihr Dasein offen¬
bar mit der durch das Wahlgesetz von 1849 eingeführten directen Wahl zu
danken, welche in den rein katholischen Wahlbezirken den Einfluß der katholischen
Geistlichkeit mehrt. Die Vilmarsche Richtung hat bislang seit 1862 keinen
Vertreter in den Landtag durchgesetzt, ihrem Organ, der Hessenzeitung, wird
übrigens in der Presse eine zu große Bedeutung beigelegt. Vilmar selbst ist
nur beiläufig für das Blatt thätig, das zum größeren Theil von einigen seiner
Untergeordnetsten Geister besorgt wird.

Im Ganzen bemerkt man in der kurhessischen Bevölkerung in politischer
Richtung keine größere Thatkraft als in ihrer Vertretung im Landtage. Etwas
Stumpfheit ist nicht zu verkennen; auch in geschäftlicher Beziehung, in Handel,
Industrie und Gewerbe wäre unten im Volke eine größere Rührigkeit zu
wünschen, deren Mangel offenbar mit an der Stockung oben Schuld trägt.
Dem ganzen Lande wäre aber geholfen, wenn der Rechtszustand, wie er sich in
Jahren 1848 und 1849 durch die derzeitige Gesetzgebung herausgebildet,
einfach wiederhergestellt würde. Es fehlt zu dieser Wiederherstellung nur noch
Folgendes. Die oben geschilderte Verwaltungseinrichtung wäre zu ver-


Grenjboten III. 18KS. 69

halten der Ständeversammlung bisher zu „gemäßigt und entgegenkommend"
gewesen. Das wird selbst Herr v. Bismarck anerkennen müssen.

Das Verhalten der Ständeversammlung und ihrer hervorragenden Mit¬
glieder hat übrigens keinerlei Kluft zwischen ihr und der Stimmung des ge-
sammten Landes hervorgerufen. Friedrich Oetker steht in dem alten verdienten
Ansehen; in reinen Rechts- und Verfassungsfragen bleibt er immer der Leiter,
und in der allgemeinen deutschen Frage hat er gegenüber einigen gar zu kur-
hessisch-loyalen Anwandlungen von Collegen im Landtage streng den deutsch¬
nationalen Standpunkt gewahrt. Kränklichkeit hindert ihn nur an einer noch
energischeren Thätigkeit. Die . große Mehrheit der Ständeversammlung steht auf
streng verfassungsmäßigen Standpunkte und entbehrt vielleicht etwas zu sehr
der agitatorischen Kraftentwickelung. In dieser Beziehung ist ein nimmer
ruhendes Element der eine Abgeordnete der größten Fabrikstadt des Landes,
Trabert, der übrigens in rein praktischen Fragen auch eines nicht unbe¬
deutenden Anhangs unter den Abgeordneten sich erfreut. Es ereignet sich
dann auch wohl, daß er, der demokratischste Abgeordnete, in der Abstimmung
mit den Abgeordneten der Ritterschaft zusammentrifft. Diese helfen übrigens
dem Ministerium hier und da die Aufrechthaltung der provisorischen Gesetzgebung
erleichtern, während sie in reinen Zweckmäßigkeitsfragen meistentheils einen
gesunden Standpunkt innehalten. Eine sehr kleine Minderheit von ultramon¬
tanen Abgeordneten hat sich in der Abstimmung über den deutsch-französischen
Handelsvertrag, gegen dessen Genehmigung sie in östreichisch-concordatlichcm
Interesse stimmte, am entschiedensten gekennzeichnet. Sie hat ihr Dasein offen¬
bar mit der durch das Wahlgesetz von 1849 eingeführten directen Wahl zu
danken, welche in den rein katholischen Wahlbezirken den Einfluß der katholischen
Geistlichkeit mehrt. Die Vilmarsche Richtung hat bislang seit 1862 keinen
Vertreter in den Landtag durchgesetzt, ihrem Organ, der Hessenzeitung, wird
übrigens in der Presse eine zu große Bedeutung beigelegt. Vilmar selbst ist
nur beiläufig für das Blatt thätig, das zum größeren Theil von einigen seiner
Untergeordnetsten Geister besorgt wird.

Im Ganzen bemerkt man in der kurhessischen Bevölkerung in politischer
Richtung keine größere Thatkraft als in ihrer Vertretung im Landtage. Etwas
Stumpfheit ist nicht zu verkennen; auch in geschäftlicher Beziehung, in Handel,
Industrie und Gewerbe wäre unten im Volke eine größere Rührigkeit zu
wünschen, deren Mangel offenbar mit an der Stockung oben Schuld trägt.
Dem ganzen Lande wäre aber geholfen, wenn der Rechtszustand, wie er sich in
Jahren 1848 und 1849 durch die derzeitige Gesetzgebung herausgebildet,
einfach wiederhergestellt würde. Es fehlt zu dieser Wiederherstellung nur noch
Folgendes. Die oben geschilderte Verwaltungseinrichtung wäre zu ver-


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[0535] halten der Ständeversammlung bisher zu „gemäßigt und entgegenkommend" gewesen. Das wird selbst Herr v. Bismarck anerkennen müssen. Das Verhalten der Ständeversammlung und ihrer hervorragenden Mit¬ glieder hat übrigens keinerlei Kluft zwischen ihr und der Stimmung des ge- sammten Landes hervorgerufen. Friedrich Oetker steht in dem alten verdienten Ansehen; in reinen Rechts- und Verfassungsfragen bleibt er immer der Leiter, und in der allgemeinen deutschen Frage hat er gegenüber einigen gar zu kur- hessisch-loyalen Anwandlungen von Collegen im Landtage streng den deutsch¬ nationalen Standpunkt gewahrt. Kränklichkeit hindert ihn nur an einer noch energischeren Thätigkeit. Die . große Mehrheit der Ständeversammlung steht auf streng verfassungsmäßigen Standpunkte und entbehrt vielleicht etwas zu sehr der agitatorischen Kraftentwickelung. In dieser Beziehung ist ein nimmer ruhendes Element der eine Abgeordnete der größten Fabrikstadt des Landes, Trabert, der übrigens in rein praktischen Fragen auch eines nicht unbe¬ deutenden Anhangs unter den Abgeordneten sich erfreut. Es ereignet sich dann auch wohl, daß er, der demokratischste Abgeordnete, in der Abstimmung mit den Abgeordneten der Ritterschaft zusammentrifft. Diese helfen übrigens dem Ministerium hier und da die Aufrechthaltung der provisorischen Gesetzgebung erleichtern, während sie in reinen Zweckmäßigkeitsfragen meistentheils einen gesunden Standpunkt innehalten. Eine sehr kleine Minderheit von ultramon¬ tanen Abgeordneten hat sich in der Abstimmung über den deutsch-französischen Handelsvertrag, gegen dessen Genehmigung sie in östreichisch-concordatlichcm Interesse stimmte, am entschiedensten gekennzeichnet. Sie hat ihr Dasein offen¬ bar mit der durch das Wahlgesetz von 1849 eingeführten directen Wahl zu danken, welche in den rein katholischen Wahlbezirken den Einfluß der katholischen Geistlichkeit mehrt. Die Vilmarsche Richtung hat bislang seit 1862 keinen Vertreter in den Landtag durchgesetzt, ihrem Organ, der Hessenzeitung, wird übrigens in der Presse eine zu große Bedeutung beigelegt. Vilmar selbst ist nur beiläufig für das Blatt thätig, das zum größeren Theil von einigen seiner Untergeordnetsten Geister besorgt wird. Im Ganzen bemerkt man in der kurhessischen Bevölkerung in politischer Richtung keine größere Thatkraft als in ihrer Vertretung im Landtage. Etwas Stumpfheit ist nicht zu verkennen; auch in geschäftlicher Beziehung, in Handel, Industrie und Gewerbe wäre unten im Volke eine größere Rührigkeit zu wünschen, deren Mangel offenbar mit an der Stockung oben Schuld trägt. Dem ganzen Lande wäre aber geholfen, wenn der Rechtszustand, wie er sich in Jahren 1848 und 1849 durch die derzeitige Gesetzgebung herausgebildet, einfach wiederhergestellt würde. Es fehlt zu dieser Wiederherstellung nur noch Folgendes. Die oben geschilderte Verwaltungseinrichtung wäre zu ver- Grenjboten III. 18KS. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/535>, abgerufen am 15.01.2025.