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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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gegenüber den materiellen Landesinteressen mit dem Satze, daß das Wohlleben
die Sünde gebiert, und eine Auflehnung Wider die Obrigkeit, die Gewalt hat
von Gott, zumal bei Ministern, die größte Sünde ist.

Die Stellung gegenüber dieser Untertänigkeit nach oben und der Hart-
sclligkeit nach unten hat denn aber auch die Lage der Führer und Vertreter
des Volkes zu einer schwierigen gemacht, es ist in dem erneuten Kampf um die
Verfassung, über deren doch nur scheinbare volle Wiederherstellung man im
Jahre 1862 auch auf Seiten der Führer zu früh frohlockt oder zu gutmüthig
gedacht hat, ein Stadium eingetreten, wo jene Führer verlegen nach weitern
Mitteln des Kampfes umherblicken, während die Regierung in ihrem gedeckten
Lager einstweilen ruhig diese Mittel an sich herankommen lassen kann.

Wir wollen uns indessen nicht tiefer auf die Kritik des Verhaltens der
Volksführer einlassen, wir müßten dabei etwas weiter in die Vergangenheit
zurückgreifen und würden im besten Falle mit einer vorzeitigen Kritik der Sache
des Rechts nichts nützen. Nur so viel muß hier der Gerechtigkeit wegen be"
merkt werden, daß, wenn die Einsicht, die man heute in den Stand der Dinge
in Kurhessen erlangt hat oder erlangt haben muß, die Handlungsweise der
Landesvertretung sofort nach dem Erscheinen der landesherrlichen Verkündigung
vom 21. Juni 1862 geleitet hätte, dann die Verlegenheit, in der man sich jetzt
befindet, früher zu Tage getreten wäre und zwar zu einer Zeit, wo das System
Bismarck in Preußen noch nicht so dominirte wie heute. Die außerhalb Kur¬
hesseus wirkenden Chance" sind für die Verfassungspartei in Kurhessen ungünstiger
geworden, und es wird wahrscheinlich nichts Anderes übrig bleiben, als günstigere
Zeiten abzuwarten oder auf einen aeus sx inaedin^ zu hoffen. Wäre doch die
der Wiederherstellung der Verfassung innewohnende Krankheit sofort auf die
Haut getrieben worden zum Beispiel zu jener Zeit, wo Herr v. Bismarck in
einer Depesche vom 1ö. October 1862 an den preußischen Gesandten, Herrn
v. Usedom, in Frankfurt schrieb, nachdem die Einberufung des Landtags
auf den 27. October erwähnt ist: "Es ist also jetzt der entscheidende Au¬
genblick gekommen, in welchem es gilt, in Kurhessen einen wirklichen und
dauernden Friedensstand durch die vollständige und rückhaltlose Erfüllung
aller in der Verordnung vom 21. Juni v. I. gemachten Zusagen Seitens
der Regierung und durch eine gemäßigte und entgegenkommende Haltung.
Seitens der Ständeversammlung herbeizuführen :c.!" Es war eine der Zu¬
sagen der landesherrlichen Verkündigung vom 21. Juni 1862, daß die
provisorischen Gesetze und Verordnungen von den Jahren 18S1 ff. den Ständen
zur Zustimmung vorgelegt, bezüglich bei verweigerter Zustimmung das Nöthige
gewahrt werden solle und der richtige Sinn dieser Zusage, daß die provisorischen
Gesetze vor dem Willen der Ständevcisammlung stehen und fallen. Gegenüber
der Nichterfüllung dieser Zusage mit den Consequenzen ist offenbar das Ver-


gegenüber den materiellen Landesinteressen mit dem Satze, daß das Wohlleben
die Sünde gebiert, und eine Auflehnung Wider die Obrigkeit, die Gewalt hat
von Gott, zumal bei Ministern, die größte Sünde ist.

Die Stellung gegenüber dieser Untertänigkeit nach oben und der Hart-
sclligkeit nach unten hat denn aber auch die Lage der Führer und Vertreter
des Volkes zu einer schwierigen gemacht, es ist in dem erneuten Kampf um die
Verfassung, über deren doch nur scheinbare volle Wiederherstellung man im
Jahre 1862 auch auf Seiten der Führer zu früh frohlockt oder zu gutmüthig
gedacht hat, ein Stadium eingetreten, wo jene Führer verlegen nach weitern
Mitteln des Kampfes umherblicken, während die Regierung in ihrem gedeckten
Lager einstweilen ruhig diese Mittel an sich herankommen lassen kann.

Wir wollen uns indessen nicht tiefer auf die Kritik des Verhaltens der
Volksführer einlassen, wir müßten dabei etwas weiter in die Vergangenheit
zurückgreifen und würden im besten Falle mit einer vorzeitigen Kritik der Sache
des Rechts nichts nützen. Nur so viel muß hier der Gerechtigkeit wegen be»
merkt werden, daß, wenn die Einsicht, die man heute in den Stand der Dinge
in Kurhessen erlangt hat oder erlangt haben muß, die Handlungsweise der
Landesvertretung sofort nach dem Erscheinen der landesherrlichen Verkündigung
vom 21. Juni 1862 geleitet hätte, dann die Verlegenheit, in der man sich jetzt
befindet, früher zu Tage getreten wäre und zwar zu einer Zeit, wo das System
Bismarck in Preußen noch nicht so dominirte wie heute. Die außerhalb Kur¬
hesseus wirkenden Chance» sind für die Verfassungspartei in Kurhessen ungünstiger
geworden, und es wird wahrscheinlich nichts Anderes übrig bleiben, als günstigere
Zeiten abzuwarten oder auf einen aeus sx inaedin^ zu hoffen. Wäre doch die
der Wiederherstellung der Verfassung innewohnende Krankheit sofort auf die
Haut getrieben worden zum Beispiel zu jener Zeit, wo Herr v. Bismarck in
einer Depesche vom 1ö. October 1862 an den preußischen Gesandten, Herrn
v. Usedom, in Frankfurt schrieb, nachdem die Einberufung des Landtags
auf den 27. October erwähnt ist: „Es ist also jetzt der entscheidende Au¬
genblick gekommen, in welchem es gilt, in Kurhessen einen wirklichen und
dauernden Friedensstand durch die vollständige und rückhaltlose Erfüllung
aller in der Verordnung vom 21. Juni v. I. gemachten Zusagen Seitens
der Regierung und durch eine gemäßigte und entgegenkommende Haltung.
Seitens der Ständeversammlung herbeizuführen :c.!" Es war eine der Zu¬
sagen der landesherrlichen Verkündigung vom 21. Juni 1862, daß die
provisorischen Gesetze und Verordnungen von den Jahren 18S1 ff. den Ständen
zur Zustimmung vorgelegt, bezüglich bei verweigerter Zustimmung das Nöthige
gewahrt werden solle und der richtige Sinn dieser Zusage, daß die provisorischen
Gesetze vor dem Willen der Ständevcisammlung stehen und fallen. Gegenüber
der Nichterfüllung dieser Zusage mit den Consequenzen ist offenbar das Ver-


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[0534] gegenüber den materiellen Landesinteressen mit dem Satze, daß das Wohlleben die Sünde gebiert, und eine Auflehnung Wider die Obrigkeit, die Gewalt hat von Gott, zumal bei Ministern, die größte Sünde ist. Die Stellung gegenüber dieser Untertänigkeit nach oben und der Hart- sclligkeit nach unten hat denn aber auch die Lage der Führer und Vertreter des Volkes zu einer schwierigen gemacht, es ist in dem erneuten Kampf um die Verfassung, über deren doch nur scheinbare volle Wiederherstellung man im Jahre 1862 auch auf Seiten der Führer zu früh frohlockt oder zu gutmüthig gedacht hat, ein Stadium eingetreten, wo jene Führer verlegen nach weitern Mitteln des Kampfes umherblicken, während die Regierung in ihrem gedeckten Lager einstweilen ruhig diese Mittel an sich herankommen lassen kann. Wir wollen uns indessen nicht tiefer auf die Kritik des Verhaltens der Volksführer einlassen, wir müßten dabei etwas weiter in die Vergangenheit zurückgreifen und würden im besten Falle mit einer vorzeitigen Kritik der Sache des Rechts nichts nützen. Nur so viel muß hier der Gerechtigkeit wegen be» merkt werden, daß, wenn die Einsicht, die man heute in den Stand der Dinge in Kurhessen erlangt hat oder erlangt haben muß, die Handlungsweise der Landesvertretung sofort nach dem Erscheinen der landesherrlichen Verkündigung vom 21. Juni 1862 geleitet hätte, dann die Verlegenheit, in der man sich jetzt befindet, früher zu Tage getreten wäre und zwar zu einer Zeit, wo das System Bismarck in Preußen noch nicht so dominirte wie heute. Die außerhalb Kur¬ hesseus wirkenden Chance» sind für die Verfassungspartei in Kurhessen ungünstiger geworden, und es wird wahrscheinlich nichts Anderes übrig bleiben, als günstigere Zeiten abzuwarten oder auf einen aeus sx inaedin^ zu hoffen. Wäre doch die der Wiederherstellung der Verfassung innewohnende Krankheit sofort auf die Haut getrieben worden zum Beispiel zu jener Zeit, wo Herr v. Bismarck in einer Depesche vom 1ö. October 1862 an den preußischen Gesandten, Herrn v. Usedom, in Frankfurt schrieb, nachdem die Einberufung des Landtags auf den 27. October erwähnt ist: „Es ist also jetzt der entscheidende Au¬ genblick gekommen, in welchem es gilt, in Kurhessen einen wirklichen und dauernden Friedensstand durch die vollständige und rückhaltlose Erfüllung aller in der Verordnung vom 21. Juni v. I. gemachten Zusagen Seitens der Regierung und durch eine gemäßigte und entgegenkommende Haltung. Seitens der Ständeversammlung herbeizuführen :c.!" Es war eine der Zu¬ sagen der landesherrlichen Verkündigung vom 21. Juni 1862, daß die provisorischen Gesetze und Verordnungen von den Jahren 18S1 ff. den Ständen zur Zustimmung vorgelegt, bezüglich bei verweigerter Zustimmung das Nöthige gewahrt werden solle und der richtige Sinn dieser Zusage, daß die provisorischen Gesetze vor dem Willen der Ständevcisammlung stehen und fallen. Gegenüber der Nichterfüllung dieser Zusage mit den Consequenzen ist offenbar das Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/534>, abgerufen am 15.01.2025.