Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schätzt oder gar entschuldigt, aus einem bewußten Plane eine unbewußte Stumpf¬
heit gemacht wird. Wo gewisse zwei Augen wirklich eng verschränkt blicken
sollten, werden sie durch andere Augerd unterstützt, und es ist der beste Beweis
dafür, daß die Negierung Kurhesseus trotz alledem von einem bewußten Ge¬
danken durchdrungen ist, daß die persönlich unbeliebte Richtung der Vilmarianer
noch immer als Mittel zum Zwecke benutzt wird und auch selbst benutzt, indem
sie mit verschiedenen Zugeständnissen an der Hand behalten wird. Diese Richtung
aber sagte in dem Munde Scheffers -- und das ist nun schon vor sechs Jahren
sattsam hervorgehoben worden -- "die Noth ist gut und heilsam, damit die
Menschen den Herrn Jesum erkennen lernen," und in dem Munde Bickels: "es
ist recht gut, wenn es dem Menschen schlecht geht, denn das Wohlleben gebiert
die Sünde." Wir ergänzen in jener Herren Namen noch den Satz: Die größte
Sünde aber ist die Auflehnung wider die Obrigkeit, die die Gewalt hat von
Gott, und das ganze System ist gezeichnet cowinö it kaut, nach der Seite der
materiellen Landesinteressen wie nach der der gerechten Nechtsforoerungen hin.
Es sind nur einzelne politische Gedankenspähne aus den Köpfen jenes Systems
heraus gewesen, wenn von den Eisenbahnen als einem Teufelswerk die Rede
gewesen ist, deren Bau man hindern müsse, oder wenn gesagt worden ist, Kur-
Hessen brauche als ackerbautreibender Staat keine Industrie; im ackerbautreiben¬
den Staate gedachte man nämlich die Idylle eines der von Gott eingesetzten
Obrigkeit starr unterthänigen Volkslebens der späten Nachwelt zu erhalten.
Die jetzigen Minister, die Herren Ab6e, Pfeiffer, Rohde, v. Fehlt, Nothfelscr
unterscheiden sich nur dadurch von den Meistern des geschilderten Systems
Hassenpflug, Scheffer, Vilmar, daß sie die letzten Epigonen jener sind; die Hei¬
denzeit ist dagewesen und die Zeit der mehr geschäftlichen Ausbeutung des
Systems gekommen, wie auf das Nitterepos Homers das Epos des Tagewerkes
Hesiods gefolgt ist. Sonst ist die Sache ganz dieselbe, wie sie ehemals war.
Hassenpflug überwarf sich noch jedesmal, wenn er der Landesvertretung gegen¬
über Sieger geblieben, in seinem Uebermuthe mit dem Landesherrn. Vilmar
stürzte, als er den letzten Schritt auf den lutherischen Papststuhl Kurhesseus
thun wollte, von seiner Stellung in der unmittelbaren Nähe des Kurfürsten
herab. Scheffer ging mit der Ständeversammlung um wie ein Pascha mit den
Rajahs, wenn sie nicht stimmten, wie er wollte. Kurz und gut, alle hatten etwas
Dämonisches in ihrer Amtsführung, die jetzigen Minister haben aber etwas
Gutmüthiges; sie steifen sich in ganz anständigen Formen dem Andrängen der
Landesvertretung gegenüber auf die landesherrliche Verkündigungvom 21. Juni
1862, welche in dem Bestehenlassen der provisorischen Gesetzgebung von 1831
^n continuirlichen Rechtsbestand der Verfassung von 1831 aufhebt und den
gerechten Rechtsforderungen des Landes einen zur Zeit noch festen Damm ent¬
gegensetzt, und trösten sich in Betreff der gerügten Untätigkeit der Negierung


schätzt oder gar entschuldigt, aus einem bewußten Plane eine unbewußte Stumpf¬
heit gemacht wird. Wo gewisse zwei Augen wirklich eng verschränkt blicken
sollten, werden sie durch andere Augerd unterstützt, und es ist der beste Beweis
dafür, daß die Negierung Kurhesseus trotz alledem von einem bewußten Ge¬
danken durchdrungen ist, daß die persönlich unbeliebte Richtung der Vilmarianer
noch immer als Mittel zum Zwecke benutzt wird und auch selbst benutzt, indem
sie mit verschiedenen Zugeständnissen an der Hand behalten wird. Diese Richtung
aber sagte in dem Munde Scheffers — und das ist nun schon vor sechs Jahren
sattsam hervorgehoben worden — „die Noth ist gut und heilsam, damit die
Menschen den Herrn Jesum erkennen lernen," und in dem Munde Bickels: „es
ist recht gut, wenn es dem Menschen schlecht geht, denn das Wohlleben gebiert
die Sünde." Wir ergänzen in jener Herren Namen noch den Satz: Die größte
Sünde aber ist die Auflehnung wider die Obrigkeit, die die Gewalt hat von
Gott, und das ganze System ist gezeichnet cowinö it kaut, nach der Seite der
materiellen Landesinteressen wie nach der der gerechten Nechtsforoerungen hin.
Es sind nur einzelne politische Gedankenspähne aus den Köpfen jenes Systems
heraus gewesen, wenn von den Eisenbahnen als einem Teufelswerk die Rede
gewesen ist, deren Bau man hindern müsse, oder wenn gesagt worden ist, Kur-
Hessen brauche als ackerbautreibender Staat keine Industrie; im ackerbautreiben¬
den Staate gedachte man nämlich die Idylle eines der von Gott eingesetzten
Obrigkeit starr unterthänigen Volkslebens der späten Nachwelt zu erhalten.
Die jetzigen Minister, die Herren Ab6e, Pfeiffer, Rohde, v. Fehlt, Nothfelscr
unterscheiden sich nur dadurch von den Meistern des geschilderten Systems
Hassenpflug, Scheffer, Vilmar, daß sie die letzten Epigonen jener sind; die Hei¬
denzeit ist dagewesen und die Zeit der mehr geschäftlichen Ausbeutung des
Systems gekommen, wie auf das Nitterepos Homers das Epos des Tagewerkes
Hesiods gefolgt ist. Sonst ist die Sache ganz dieselbe, wie sie ehemals war.
Hassenpflug überwarf sich noch jedesmal, wenn er der Landesvertretung gegen¬
über Sieger geblieben, in seinem Uebermuthe mit dem Landesherrn. Vilmar
stürzte, als er den letzten Schritt auf den lutherischen Papststuhl Kurhesseus
thun wollte, von seiner Stellung in der unmittelbaren Nähe des Kurfürsten
herab. Scheffer ging mit der Ständeversammlung um wie ein Pascha mit den
Rajahs, wenn sie nicht stimmten, wie er wollte. Kurz und gut, alle hatten etwas
Dämonisches in ihrer Amtsführung, die jetzigen Minister haben aber etwas
Gutmüthiges; sie steifen sich in ganz anständigen Formen dem Andrängen der
Landesvertretung gegenüber auf die landesherrliche Verkündigungvom 21. Juni
1862, welche in dem Bestehenlassen der provisorischen Gesetzgebung von 1831
^n continuirlichen Rechtsbestand der Verfassung von 1831 aufhebt und den
gerechten Rechtsforderungen des Landes einen zur Zeit noch festen Damm ent¬
gegensetzt, und trösten sich in Betreff der gerügten Untätigkeit der Negierung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283886"/>
          <p xml:id="ID_1532" prev="#ID_1531" next="#ID_1533"> schätzt oder gar entschuldigt, aus einem bewußten Plane eine unbewußte Stumpf¬<lb/>
heit gemacht wird. Wo gewisse zwei Augen wirklich eng verschränkt blicken<lb/>
sollten, werden sie durch andere Augerd unterstützt, und es ist der beste Beweis<lb/>
dafür, daß die Negierung Kurhesseus trotz alledem von einem bewußten Ge¬<lb/>
danken durchdrungen ist, daß die persönlich unbeliebte Richtung der Vilmarianer<lb/>
noch immer als Mittel zum Zwecke benutzt wird und auch selbst benutzt, indem<lb/>
sie mit verschiedenen Zugeständnissen an der Hand behalten wird. Diese Richtung<lb/>
aber sagte in dem Munde Scheffers &#x2014; und das ist nun schon vor sechs Jahren<lb/>
sattsam hervorgehoben worden &#x2014; &#x201E;die Noth ist gut und heilsam, damit die<lb/>
Menschen den Herrn Jesum erkennen lernen," und in dem Munde Bickels: &#x201E;es<lb/>
ist recht gut, wenn es dem Menschen schlecht geht, denn das Wohlleben gebiert<lb/>
die Sünde." Wir ergänzen in jener Herren Namen noch den Satz: Die größte<lb/>
Sünde aber ist die Auflehnung wider die Obrigkeit, die die Gewalt hat von<lb/>
Gott, und das ganze System ist gezeichnet cowinö it kaut, nach der Seite der<lb/>
materiellen Landesinteressen wie nach der der gerechten Nechtsforoerungen hin.<lb/>
Es sind nur einzelne politische Gedankenspähne aus den Köpfen jenes Systems<lb/>
heraus gewesen, wenn von den Eisenbahnen als einem Teufelswerk die Rede<lb/>
gewesen ist, deren Bau man hindern müsse, oder wenn gesagt worden ist, Kur-<lb/>
Hessen brauche als ackerbautreibender Staat keine Industrie; im ackerbautreiben¬<lb/>
den Staate gedachte man nämlich die Idylle eines der von Gott eingesetzten<lb/>
Obrigkeit starr unterthänigen Volkslebens der späten Nachwelt zu erhalten.<lb/>
Die jetzigen Minister, die Herren Ab6e, Pfeiffer, Rohde, v. Fehlt, Nothfelscr<lb/>
unterscheiden sich nur dadurch von den Meistern des geschilderten Systems<lb/>
Hassenpflug, Scheffer, Vilmar, daß sie die letzten Epigonen jener sind; die Hei¬<lb/>
denzeit ist dagewesen und die Zeit der mehr geschäftlichen Ausbeutung des<lb/>
Systems gekommen, wie auf das Nitterepos Homers das Epos des Tagewerkes<lb/>
Hesiods gefolgt ist. Sonst ist die Sache ganz dieselbe, wie sie ehemals war.<lb/>
Hassenpflug überwarf sich noch jedesmal, wenn er der Landesvertretung gegen¬<lb/>
über Sieger geblieben, in seinem Uebermuthe mit dem Landesherrn. Vilmar<lb/>
stürzte, als er den letzten Schritt auf den lutherischen Papststuhl Kurhesseus<lb/>
thun wollte, von seiner Stellung in der unmittelbaren Nähe des Kurfürsten<lb/>
herab. Scheffer ging mit der Ständeversammlung um wie ein Pascha mit den<lb/>
Rajahs, wenn sie nicht stimmten, wie er wollte. Kurz und gut, alle hatten etwas<lb/>
Dämonisches in ihrer Amtsführung, die jetzigen Minister haben aber etwas<lb/>
Gutmüthiges; sie steifen sich in ganz anständigen Formen dem Andrängen der<lb/>
Landesvertretung gegenüber auf die landesherrliche Verkündigungvom 21. Juni<lb/>
1862, welche in dem Bestehenlassen der provisorischen Gesetzgebung von 1831<lb/>
^n continuirlichen Rechtsbestand der Verfassung von 1831 aufhebt und den<lb/>
gerechten Rechtsforderungen des Landes einen zur Zeit noch festen Damm ent¬<lb/>
gegensetzt, und trösten sich in Betreff der gerügten Untätigkeit der Negierung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0533] schätzt oder gar entschuldigt, aus einem bewußten Plane eine unbewußte Stumpf¬ heit gemacht wird. Wo gewisse zwei Augen wirklich eng verschränkt blicken sollten, werden sie durch andere Augerd unterstützt, und es ist der beste Beweis dafür, daß die Negierung Kurhesseus trotz alledem von einem bewußten Ge¬ danken durchdrungen ist, daß die persönlich unbeliebte Richtung der Vilmarianer noch immer als Mittel zum Zwecke benutzt wird und auch selbst benutzt, indem sie mit verschiedenen Zugeständnissen an der Hand behalten wird. Diese Richtung aber sagte in dem Munde Scheffers — und das ist nun schon vor sechs Jahren sattsam hervorgehoben worden — „die Noth ist gut und heilsam, damit die Menschen den Herrn Jesum erkennen lernen," und in dem Munde Bickels: „es ist recht gut, wenn es dem Menschen schlecht geht, denn das Wohlleben gebiert die Sünde." Wir ergänzen in jener Herren Namen noch den Satz: Die größte Sünde aber ist die Auflehnung wider die Obrigkeit, die die Gewalt hat von Gott, und das ganze System ist gezeichnet cowinö it kaut, nach der Seite der materiellen Landesinteressen wie nach der der gerechten Nechtsforoerungen hin. Es sind nur einzelne politische Gedankenspähne aus den Köpfen jenes Systems heraus gewesen, wenn von den Eisenbahnen als einem Teufelswerk die Rede gewesen ist, deren Bau man hindern müsse, oder wenn gesagt worden ist, Kur- Hessen brauche als ackerbautreibender Staat keine Industrie; im ackerbautreiben¬ den Staate gedachte man nämlich die Idylle eines der von Gott eingesetzten Obrigkeit starr unterthänigen Volkslebens der späten Nachwelt zu erhalten. Die jetzigen Minister, die Herren Ab6e, Pfeiffer, Rohde, v. Fehlt, Nothfelscr unterscheiden sich nur dadurch von den Meistern des geschilderten Systems Hassenpflug, Scheffer, Vilmar, daß sie die letzten Epigonen jener sind; die Hei¬ denzeit ist dagewesen und die Zeit der mehr geschäftlichen Ausbeutung des Systems gekommen, wie auf das Nitterepos Homers das Epos des Tagewerkes Hesiods gefolgt ist. Sonst ist die Sache ganz dieselbe, wie sie ehemals war. Hassenpflug überwarf sich noch jedesmal, wenn er der Landesvertretung gegen¬ über Sieger geblieben, in seinem Uebermuthe mit dem Landesherrn. Vilmar stürzte, als er den letzten Schritt auf den lutherischen Papststuhl Kurhesseus thun wollte, von seiner Stellung in der unmittelbaren Nähe des Kurfürsten herab. Scheffer ging mit der Ständeversammlung um wie ein Pascha mit den Rajahs, wenn sie nicht stimmten, wie er wollte. Kurz und gut, alle hatten etwas Dämonisches in ihrer Amtsführung, die jetzigen Minister haben aber etwas Gutmüthiges; sie steifen sich in ganz anständigen Formen dem Andrängen der Landesvertretung gegenüber auf die landesherrliche Verkündigungvom 21. Juni 1862, welche in dem Bestehenlassen der provisorischen Gesetzgebung von 1831 ^n continuirlichen Rechtsbestand der Verfassung von 1831 aufhebt und den gerechten Rechtsforderungen des Landes einen zur Zeit noch festen Damm ent¬ gegensetzt, und trösten sich in Betreff der gerügten Untätigkeit der Negierung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/533
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/533>, abgerufen am 15.01.2025.