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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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pretation der Bundesbeschlüsse und verschärfter Ausdehnung derselben ergangenen
Verordnungen vom Jahre 1854 und Wiederinkraftsetzung lediglich der betreffen¬
den Gesetzgebung vom Jahre 1848. Die zu den Bundesbeschlüssen ergangenen
Verordnungen enthalten Bestimmungen, welche nur durch Gesetz Giltigkeit er¬
langen können.

Schließen wir hiermit das immer noch unvollständige Register der Stockungen
in der Entwickelung Kurhesseus; es wird auch in seiner UnVollständigkeit hin¬
reichend darthun, was es darthun soll, besonders wenn wir hinzusetzen, daß die
meisten der vorerwähnten Gesetze, von dem Ministerium als nothwendig an¬
erkannt, entweder im Entwurf fertig, aber ohne die landesherrliche Sanction
erhalten zu können daliegen. Das Ministerium macht aus ihrer raschen Er¬
ledigung keine Cabinetsfrage, und wenn einmal ein einzelner Minister die Ver¬
antwortung zu schwer trägt, so lassen ihn seine Collegen allein; denn sie wollen
den Parlamentarismus nicht selbst beim Ministerium beginnen.

Ohne diesen aber, das sieht jeder ein, ist es kein Wunder, wenn Landes¬
vertretung und Volk in Kurhessen der Lage gegenüber rathlos dastehen; wo
sollen sie die Hebel suchen, das Hinderniß zu beseitigen?

Die jetzigen Minister hätten' den Hebel in der Hand, wenn sie wollten;
hinter ihnen stehen keine andern Minister mehr, die sie ersetzen möchten; sie
brauchten nur hartnäckig auf ihrer Entlassung zu bestehen, und der Staatskarren
müßte weiter gehen, wenn nicht alles aufhören sollte.

Allein auch hier hapert es. wie schon erwähnt. Jüngst hat ein Abgeord¬
neter des kurhessischen Landtages, welcher dem Ministerium in aller Geschwin¬
digkeit 31 der schwersten Gravamina auftischte, sich sehr diplomatisch dahin
ausgedrückt: es scheine der Zweifel gewiß am Platze, ob nicht vielleicht ein
gewisser innerer Zusammenhang zwischen der Unzugänglichkeit der Regierung in
Bezug auf die gerechten Rechtsforderungen des Landes und der gleichzeitigen
Unthätigkeit derselben gegenüber den materiellen Landesinteressen bestehe, ob
nicht am Ende diese beiden Seiten des Verhaltens der Regierung nur als ver¬
schiedene Erscheinungsformen eines und desselben Krankheitszustandes im kur¬
hessischen Regierungsorganismus anzusehen seien. So diplomatisch sollte sich
unseres Erachtens ein kurhessischer Abgeordneter vom heutigen Schlage nicht
mehr ausdrücken; er hätte einfach sagen sollen: der Krankheitszustand im kur¬
hessischen Regierungsorganismus besteht darin, daß man die materiellen Landes¬
interessen zu fördern nicht liebt, weil man auch auf diesem Wege der Bevölkerung
die Kraft nicht geben will, die gerechten Rechtsforderungen des Landes zur
gehörigen Geltung zu bringen. Man spielt vielfach auf einen andern Krank¬
heitszustand an, der mehr in unbewußter Weise den Fortschritt der Regierung
hemme; aber man täuscht sich und lahmt die Kraft der Opposition, wenn man
jenem Krankheitszustand zu viel Gewicht beilegt, indem damit der Gegner unter-


pretation der Bundesbeschlüsse und verschärfter Ausdehnung derselben ergangenen
Verordnungen vom Jahre 1854 und Wiederinkraftsetzung lediglich der betreffen¬
den Gesetzgebung vom Jahre 1848. Die zu den Bundesbeschlüssen ergangenen
Verordnungen enthalten Bestimmungen, welche nur durch Gesetz Giltigkeit er¬
langen können.

Schließen wir hiermit das immer noch unvollständige Register der Stockungen
in der Entwickelung Kurhesseus; es wird auch in seiner UnVollständigkeit hin¬
reichend darthun, was es darthun soll, besonders wenn wir hinzusetzen, daß die
meisten der vorerwähnten Gesetze, von dem Ministerium als nothwendig an¬
erkannt, entweder im Entwurf fertig, aber ohne die landesherrliche Sanction
erhalten zu können daliegen. Das Ministerium macht aus ihrer raschen Er¬
ledigung keine Cabinetsfrage, und wenn einmal ein einzelner Minister die Ver¬
antwortung zu schwer trägt, so lassen ihn seine Collegen allein; denn sie wollen
den Parlamentarismus nicht selbst beim Ministerium beginnen.

Ohne diesen aber, das sieht jeder ein, ist es kein Wunder, wenn Landes¬
vertretung und Volk in Kurhessen der Lage gegenüber rathlos dastehen; wo
sollen sie die Hebel suchen, das Hinderniß zu beseitigen?

Die jetzigen Minister hätten' den Hebel in der Hand, wenn sie wollten;
hinter ihnen stehen keine andern Minister mehr, die sie ersetzen möchten; sie
brauchten nur hartnäckig auf ihrer Entlassung zu bestehen, und der Staatskarren
müßte weiter gehen, wenn nicht alles aufhören sollte.

Allein auch hier hapert es. wie schon erwähnt. Jüngst hat ein Abgeord¬
neter des kurhessischen Landtages, welcher dem Ministerium in aller Geschwin¬
digkeit 31 der schwersten Gravamina auftischte, sich sehr diplomatisch dahin
ausgedrückt: es scheine der Zweifel gewiß am Platze, ob nicht vielleicht ein
gewisser innerer Zusammenhang zwischen der Unzugänglichkeit der Regierung in
Bezug auf die gerechten Rechtsforderungen des Landes und der gleichzeitigen
Unthätigkeit derselben gegenüber den materiellen Landesinteressen bestehe, ob
nicht am Ende diese beiden Seiten des Verhaltens der Regierung nur als ver¬
schiedene Erscheinungsformen eines und desselben Krankheitszustandes im kur¬
hessischen Regierungsorganismus anzusehen seien. So diplomatisch sollte sich
unseres Erachtens ein kurhessischer Abgeordneter vom heutigen Schlage nicht
mehr ausdrücken; er hätte einfach sagen sollen: der Krankheitszustand im kur¬
hessischen Regierungsorganismus besteht darin, daß man die materiellen Landes¬
interessen zu fördern nicht liebt, weil man auch auf diesem Wege der Bevölkerung
die Kraft nicht geben will, die gerechten Rechtsforderungen des Landes zur
gehörigen Geltung zu bringen. Man spielt vielfach auf einen andern Krank¬
heitszustand an, der mehr in unbewußter Weise den Fortschritt der Regierung
hemme; aber man täuscht sich und lahmt die Kraft der Opposition, wenn man
jenem Krankheitszustand zu viel Gewicht beilegt, indem damit der Gegner unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/532>, abgerufen am 15.01.2025.