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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Dies geschah in der zweiten Sitzung des Ausschusses, 19. Januar, insofern
als Bernstorff hier den Entwurf eines Vortrags an das Plenum verbunden
mit einigen "Sätzen" vorlegte und Marschalls obenerwähnte Denkschrift ver-
lesen wurde. Bernstorffs Entwurf entwickelte die Lage der Sache und die
Schwierigkeiten, auf Grundsätze wie die Nebeniusschen einzugehen; die Sätze
beschränkten sich darauf, die Angelegenheit an die Bundesversammlung zu ver¬
weisen, welche durch einen Ausschuß, der Sachkundige zuziehen könne, den Ge¬
genstand zu bearbeiten, allenfalls Verträge benachbarter Staaten zu vermitteln
und vor allem die früher angeregte Verhandlung über die Freiheit des Ver¬
kehrs mit Lebensmitteln wieder aufzunehmen habe. Auf Marschalls Denkschrift
erklärte Bernstorff, daß er es für unmöglich halte, auf diese mit der Autonomie
deutscher Staaten unvereinbarer Anträge einzugehen. Im Uebrigen benahm
er sich möglichst entgegenkommend und war überall bestrebt, die Geneigtheit
seines Königs, "allen billigen, ausführbaren und mit der Selbständigkeit der
preußischen Gesetzgebung verträglichen Vorschlägen entgegenzukommen, aus un¬
zweideutige Weise zu beurkunden." Aber der Feldzug gegen die preußische
Zollreform dauerte offen und versteckt fort; es blieb das fest ins Auge gefaßte
Ziel derer, welche unter dem Banner des Artikels 19 der Bundesacte die
deutsche Handelsfreiheit verfochten, vor allen Dingen die preußische Handels¬
politik zu Falle zu bringen, und Verfielt und Marschall blieben die Führer
dieser Partei in Wien.

Sehr lehrreich ist die leidenschaftslose Betrachtung der damaligen Partei¬
nahme für und wider: wer für Deutschland ist, der ist wider Preußen, wer
den großen deutschen Zollverein will, der muß gegen die "unglückselige" preu¬
ßische Zollgesetzgebung sein. Aber stand denn der Verwirklichung jenes deutschen
Ideals Preußen allein im Wege? Wer dem Gange der wiener Verhandlungen
folgt und namentlich Marschalls und Berstetts Verhältniß zu Metternich ins
Auge faßt, der kann geneigt sein, zu glauben, Oestreich begünstige jene Pläne
Badens und Nassaus oder sehe sie mindestens als willkommene Handhaben
einer Politik an, durch welche die Stellung Preußens zu den übrigen deutschen
Staaten immer mehr für die Nothwendigkeit einer östreichischen Vermittelung
zugerichtet würde. Aber aus einer Aeußerung v. Stahls, des Präsidenten
der k. k. Commerz-Hofcommission, geht, wenn man das nicht aus andern Gründen
schon mit Bestimmtheit wüßte, ziemlich deutlich hervor, daß man die Sache in
Wien als unlösbares Problem ansah, und daß Oestreich das Haupthinderniß
gewesen sein würde, wenn nicht Preußen schon das Odium übernommen gehabt,
dieses Hinderniß zu sein. Doch da Preußen das Odium trug, mochte Oestreich
die Miene annehmen, als stünde es auf Seiten der "Patrioten". Es hatte
von deren Bestrebungen, die ja Preußen vereitelte, nichts für sein Prohibitiv-
systeni zu fürchten, und ihm erwuchs daraus von selbst der reine Gewinn, daß


Dies geschah in der zweiten Sitzung des Ausschusses, 19. Januar, insofern
als Bernstorff hier den Entwurf eines Vortrags an das Plenum verbunden
mit einigen „Sätzen" vorlegte und Marschalls obenerwähnte Denkschrift ver-
lesen wurde. Bernstorffs Entwurf entwickelte die Lage der Sache und die
Schwierigkeiten, auf Grundsätze wie die Nebeniusschen einzugehen; die Sätze
beschränkten sich darauf, die Angelegenheit an die Bundesversammlung zu ver¬
weisen, welche durch einen Ausschuß, der Sachkundige zuziehen könne, den Ge¬
genstand zu bearbeiten, allenfalls Verträge benachbarter Staaten zu vermitteln
und vor allem die früher angeregte Verhandlung über die Freiheit des Ver¬
kehrs mit Lebensmitteln wieder aufzunehmen habe. Auf Marschalls Denkschrift
erklärte Bernstorff, daß er es für unmöglich halte, auf diese mit der Autonomie
deutscher Staaten unvereinbarer Anträge einzugehen. Im Uebrigen benahm
er sich möglichst entgegenkommend und war überall bestrebt, die Geneigtheit
seines Königs, „allen billigen, ausführbaren und mit der Selbständigkeit der
preußischen Gesetzgebung verträglichen Vorschlägen entgegenzukommen, aus un¬
zweideutige Weise zu beurkunden." Aber der Feldzug gegen die preußische
Zollreform dauerte offen und versteckt fort; es blieb das fest ins Auge gefaßte
Ziel derer, welche unter dem Banner des Artikels 19 der Bundesacte die
deutsche Handelsfreiheit verfochten, vor allen Dingen die preußische Handels¬
politik zu Falle zu bringen, und Verfielt und Marschall blieben die Führer
dieser Partei in Wien.

Sehr lehrreich ist die leidenschaftslose Betrachtung der damaligen Partei¬
nahme für und wider: wer für Deutschland ist, der ist wider Preußen, wer
den großen deutschen Zollverein will, der muß gegen die „unglückselige" preu¬
ßische Zollgesetzgebung sein. Aber stand denn der Verwirklichung jenes deutschen
Ideals Preußen allein im Wege? Wer dem Gange der wiener Verhandlungen
folgt und namentlich Marschalls und Berstetts Verhältniß zu Metternich ins
Auge faßt, der kann geneigt sein, zu glauben, Oestreich begünstige jene Pläne
Badens und Nassaus oder sehe sie mindestens als willkommene Handhaben
einer Politik an, durch welche die Stellung Preußens zu den übrigen deutschen
Staaten immer mehr für die Nothwendigkeit einer östreichischen Vermittelung
zugerichtet würde. Aber aus einer Aeußerung v. Stahls, des Präsidenten
der k. k. Commerz-Hofcommission, geht, wenn man das nicht aus andern Gründen
schon mit Bestimmtheit wüßte, ziemlich deutlich hervor, daß man die Sache in
Wien als unlösbares Problem ansah, und daß Oestreich das Haupthinderniß
gewesen sein würde, wenn nicht Preußen schon das Odium übernommen gehabt,
dieses Hinderniß zu sein. Doch da Preußen das Odium trug, mochte Oestreich
die Miene annehmen, als stünde es auf Seiten der „Patrioten". Es hatte
von deren Bestrebungen, die ja Preußen vereitelte, nichts für sein Prohibitiv-
systeni zu fürchten, und ihm erwuchs daraus von selbst der reine Gewinn, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/520>, abgerufen am 15.01.2025.