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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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war diese geringe Zahl von eifrigen Gläubigen hinreichend, dem Islam die
Siegeslaufbahn zu eröffnen. Sie kämpften mit den benachbarten Stämmen,
und wenn diese Widerstand leisteten, so geschah es lediglich aus Liebe zur Un¬
abhängigkeit, nicht aus Anhänglichkeit an die Religion der Väter. Alle Reli¬
gionskriege, welche Mohammad führte, zusammengerechnet, waren unter seinen
Gegnern keine zwanzig Menschen, welche den Märtyrertod gestorben sind, aus¬
genommen einige Christen und die allerdings große Anzahl von Juden, die,
zwischen den Tod und Abfall vom Gesetz gestellt, den erstern wählten. Die
meisten Andern verhielten sich zur Religion gleichgiltig; wo sich aber unter den
Arabern eine Ueberzeugung äußerte, war sie immer zu Gunsten des Islam;
denn diejenigen, weiche überhaupt ein Interesse für religiöse Dinge empfanden,
waren mit Mohammads Lehre befriedigt. Erst nach seinem Hingang, als die
Nation durch die Kriege gegen das Ausland in ein neues Stadrum eingeführt
wurde, nahm die Gährung überHand, und fast jedes Individuum wurde von
Glaubenseifer erfüllt; der Islam erlrtt aber jetzt auch eine bedeutende und
zeitgemäße Umgestaltung.

Uebersehen wir, sagt der Verfasser weiter, die religiöse Bewegung vor,
während und nach Mohammads Zeit, so überzeugen wir uns, daß er seinen
pathologischen Zuständen, d. h. seiner Hysterie und den damit verbundenen
geistigen Störungen seine welthistorische Bedeutung verdankt. Weder der Ascet
Zayd. der Johannes Baptist" des Islam, noch der Dichter Omayya Ben Avy
Salt waren die rechten Männer für ihre Zeit, obschon jener Mohammad an
Sittenreinheit, dieser ihn an Genie übertraf. Die Araber bedurften eines
Propheten, und die hysterischen Anlagen Mohammads erfüllten ihn selbst und
jenen Kern seiner Gemeinde mit dem zuversichtlichen Glauben, daß er ein solcher
Gottgesandter sei.

"Ohne seine Verdienste läugnen zu wollen", fährt Sprenger fort, "halte
ich es doch für einen groben Irrthum, die Gründung des Islam seinem Genie
zuschreiben zu wollen. Das oberflächlichste Studium der Entwickelung seiner
Lehre zeigt, daß er sich unverzeihlicher Mißgriffe schuldig gemacht hat, welche
uns, wenn nicht an seiner Aufrichtigkeit, so doch an seiner Kühnheit zweifeln
lassen, und welche seine Aufgabe sehr erschwerten. Den Götzendienst wagte er
anfangs gar nicht offen anzugreifen, und noch im Jahre 616 erklärte er, daß
die Götzen Fürsprecher bei Gott seien, wodurch er viele seiner aufrichtigen An¬
hänger zum Wanken brachte, ohne seine Gegner zu gewinnen. Der Gedanke,
der seine ganze Seele erfüllte, war die Vergeltung nach dem Tode. Das Ber'
nünftigste wäre gewesen, an den heidnischen Glauben, nach welchem die Seelen
der Frommen in den Körpern grüner Vögel fortlebten, anzuknüpfen und die
Unsterblichkeit in einer reineren Gestalt zu lehren. Statt dessen hielt er die
in den Augen seiner Mitbürger höchst lächerliche Auferstehungstheorie fest'


war diese geringe Zahl von eifrigen Gläubigen hinreichend, dem Islam die
Siegeslaufbahn zu eröffnen. Sie kämpften mit den benachbarten Stämmen,
und wenn diese Widerstand leisteten, so geschah es lediglich aus Liebe zur Un¬
abhängigkeit, nicht aus Anhänglichkeit an die Religion der Väter. Alle Reli¬
gionskriege, welche Mohammad führte, zusammengerechnet, waren unter seinen
Gegnern keine zwanzig Menschen, welche den Märtyrertod gestorben sind, aus¬
genommen einige Christen und die allerdings große Anzahl von Juden, die,
zwischen den Tod und Abfall vom Gesetz gestellt, den erstern wählten. Die
meisten Andern verhielten sich zur Religion gleichgiltig; wo sich aber unter den
Arabern eine Ueberzeugung äußerte, war sie immer zu Gunsten des Islam;
denn diejenigen, weiche überhaupt ein Interesse für religiöse Dinge empfanden,
waren mit Mohammads Lehre befriedigt. Erst nach seinem Hingang, als die
Nation durch die Kriege gegen das Ausland in ein neues Stadrum eingeführt
wurde, nahm die Gährung überHand, und fast jedes Individuum wurde von
Glaubenseifer erfüllt; der Islam erlrtt aber jetzt auch eine bedeutende und
zeitgemäße Umgestaltung.

Uebersehen wir, sagt der Verfasser weiter, die religiöse Bewegung vor,
während und nach Mohammads Zeit, so überzeugen wir uns, daß er seinen
pathologischen Zuständen, d. h. seiner Hysterie und den damit verbundenen
geistigen Störungen seine welthistorische Bedeutung verdankt. Weder der Ascet
Zayd. der Johannes Baptist» des Islam, noch der Dichter Omayya Ben Avy
Salt waren die rechten Männer für ihre Zeit, obschon jener Mohammad an
Sittenreinheit, dieser ihn an Genie übertraf. Die Araber bedurften eines
Propheten, und die hysterischen Anlagen Mohammads erfüllten ihn selbst und
jenen Kern seiner Gemeinde mit dem zuversichtlichen Glauben, daß er ein solcher
Gottgesandter sei.

„Ohne seine Verdienste läugnen zu wollen", fährt Sprenger fort, „halte
ich es doch für einen groben Irrthum, die Gründung des Islam seinem Genie
zuschreiben zu wollen. Das oberflächlichste Studium der Entwickelung seiner
Lehre zeigt, daß er sich unverzeihlicher Mißgriffe schuldig gemacht hat, welche
uns, wenn nicht an seiner Aufrichtigkeit, so doch an seiner Kühnheit zweifeln
lassen, und welche seine Aufgabe sehr erschwerten. Den Götzendienst wagte er
anfangs gar nicht offen anzugreifen, und noch im Jahre 616 erklärte er, daß
die Götzen Fürsprecher bei Gott seien, wodurch er viele seiner aufrichtigen An¬
hänger zum Wanken brachte, ohne seine Gegner zu gewinnen. Der Gedanke,
der seine ganze Seele erfüllte, war die Vergeltung nach dem Tode. Das Ber'
nünftigste wäre gewesen, an den heidnischen Glauben, nach welchem die Seelen
der Frommen in den Körpern grüner Vögel fortlebten, anzuknüpfen und die
Unsterblichkeit in einer reineren Gestalt zu lehren. Statt dessen hielt er die
in den Augen seiner Mitbürger höchst lächerliche Auferstehungstheorie fest'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/494>, abgerufen am 15.01.2025.