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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Ministerium, über dessen Dauer er sich keiner Täuschong hingab. Seine Zurück¬
haltung ging aber nicht so weit, daß sie ihn in ven Verdacht politischer Gleich-
giltigkeit brachte; er protestirte nicht, wenn sein Name unter den Vertrauens¬
männern für den Fünszigerausschuß. unter den Candidaten für das deutsche
Parlament genannt wurde, nur zu einem bindenden Glaubensbekenntniß mochte
n sich nicht verstehen. Gab er politische Meinungen kund, so geschah es in
nner Weise, daß er keine Partei verletzte, von jeder zu ihren Anhängern gezählt
werden konnte. Er hielt z. B. in dem Gemeinderäthe am 10. Juni dem
26- Mai eine Lobrede, sprach von "leserlicher Barrikadenschrift", fand aber
die Bedeutung des Tages darin, daß sich "Wien für den unbedingten Anschluß
an Deutschland ausgesprochen habe". Durch diese unschuldige Interpretation
entwaffnete er die Konservativen. So kam es, daß ihm diese ihr Vertrauen
nicht völlig entzogen und auch die Demokraten Bach vollständig gewonnen zu
haben sich rühmten".

Während man sich in Wien mit dem Sturz und der Wiederaufrichtung
Von Cabinetten beschäftigte, vollzogen die Provinzen die Wahlen für den Reichs¬
tag- Galizien wurde damit zuerst fertig, und bereits in den ersten Julitagen
"sahen die erstaunten Residenzbewohner Männer in ihrer Mitte wandeln, deren
Aeuhercs eine bedenkliche Gleichgiltigkeit gegen die Seife verrieth, welche Kasernen
sür Hotels ansahen, in jedem Corporal einen einflußreichen Würdenträger des
Staates begrüßten, ihre Lebensbedürfnisse in eigner Person auf dem Markte
einkauften und durch vollständige Unkenntniß der deutschen Sprache, der bür¬
gerlichen Sitte, der modernen Bildung glänzten". Es waren die 36 Bauern,
durch welche sich das souveräne Landvolk von Galizien vertreten ließ. Auch
^ den meisten andern Provinzen (nur das Küstenland, Tirol. Böhmen und
Mähren ausgenommen) trat das bäuerliche Element stark in den Vordergrund
^ "beinahe der vierte Theil des Reichstags wußte mit der Pflugschaar aus
^gner Erfahrung Bescheid". Es galt, gegen die Bedrückung durch die Guts¬
herrn zu .protestiren und die von der Vergangenheit dem Bauernstand auf¬
legten Lasten loszuwerden. Die Befreiung der Bauern wurde die erste Auf-
we. die erste große That des Reichstags, und die erste sollte auch die letzte
bleiben.

"Die Revolution blieb nur so lange mächtig, als unter dem Landvolk der
Glaube bestand, jene könne und werde seine Zustände bessern, ihm die Frechett
^schaffen. Die Reaction durste erst dann offen austreten, als die Bauern-
°"'-mcipation durchgeführt, das Landvolk von der politischen Bewegung los-
gelöst war." "So bildete der Bauernstand den eigentlichen Träger der Re-
""ludion. die Nobotfrage den Angelpunkt der politischen Bestrebungen. Der
"Ulm Meinung der Bauern, hier eifrige Advocaten ihrer Rechte zu finden, ver-
dcwkten der böhmische Nationalausschuß und theilweise auch der wiener Scher-


Ministerium, über dessen Dauer er sich keiner Täuschong hingab. Seine Zurück¬
haltung ging aber nicht so weit, daß sie ihn in ven Verdacht politischer Gleich-
giltigkeit brachte; er protestirte nicht, wenn sein Name unter den Vertrauens¬
männern für den Fünszigerausschuß. unter den Candidaten für das deutsche
Parlament genannt wurde, nur zu einem bindenden Glaubensbekenntniß mochte
n sich nicht verstehen. Gab er politische Meinungen kund, so geschah es in
nner Weise, daß er keine Partei verletzte, von jeder zu ihren Anhängern gezählt
werden konnte. Er hielt z. B. in dem Gemeinderäthe am 10. Juni dem
26- Mai eine Lobrede, sprach von „leserlicher Barrikadenschrift", fand aber
die Bedeutung des Tages darin, daß sich „Wien für den unbedingten Anschluß
an Deutschland ausgesprochen habe". Durch diese unschuldige Interpretation
entwaffnete er die Konservativen. So kam es, daß ihm diese ihr Vertrauen
nicht völlig entzogen und auch die Demokraten Bach vollständig gewonnen zu
haben sich rühmten".

Während man sich in Wien mit dem Sturz und der Wiederaufrichtung
Von Cabinetten beschäftigte, vollzogen die Provinzen die Wahlen für den Reichs¬
tag- Galizien wurde damit zuerst fertig, und bereits in den ersten Julitagen
»sahen die erstaunten Residenzbewohner Männer in ihrer Mitte wandeln, deren
Aeuhercs eine bedenkliche Gleichgiltigkeit gegen die Seife verrieth, welche Kasernen
sür Hotels ansahen, in jedem Corporal einen einflußreichen Würdenträger des
Staates begrüßten, ihre Lebensbedürfnisse in eigner Person auf dem Markte
einkauften und durch vollständige Unkenntniß der deutschen Sprache, der bür¬
gerlichen Sitte, der modernen Bildung glänzten". Es waren die 36 Bauern,
durch welche sich das souveräne Landvolk von Galizien vertreten ließ. Auch
^ den meisten andern Provinzen (nur das Küstenland, Tirol. Böhmen und
Mähren ausgenommen) trat das bäuerliche Element stark in den Vordergrund
^ »beinahe der vierte Theil des Reichstags wußte mit der Pflugschaar aus
^gner Erfahrung Bescheid". Es galt, gegen die Bedrückung durch die Guts¬
herrn zu .protestiren und die von der Vergangenheit dem Bauernstand auf¬
legten Lasten loszuwerden. Die Befreiung der Bauern wurde die erste Auf-
we. die erste große That des Reichstags, und die erste sollte auch die letzte
bleiben.

»Die Revolution blieb nur so lange mächtig, als unter dem Landvolk der
Glaube bestand, jene könne und werde seine Zustände bessern, ihm die Frechett
^schaffen. Die Reaction durste erst dann offen austreten, als die Bauern-
°"'-mcipation durchgeführt, das Landvolk von der politischen Bewegung los-
gelöst war." „So bildete der Bauernstand den eigentlichen Träger der Re-
""ludion. die Nobotfrage den Angelpunkt der politischen Bestrebungen. Der
«Ulm Meinung der Bauern, hier eifrige Advocaten ihrer Rechte zu finden, ver-
dcwkten der böhmische Nationalausschuß und theilweise auch der wiener Scher-


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[0483] Ministerium, über dessen Dauer er sich keiner Täuschong hingab. Seine Zurück¬ haltung ging aber nicht so weit, daß sie ihn in ven Verdacht politischer Gleich- giltigkeit brachte; er protestirte nicht, wenn sein Name unter den Vertrauens¬ männern für den Fünszigerausschuß. unter den Candidaten für das deutsche Parlament genannt wurde, nur zu einem bindenden Glaubensbekenntniß mochte n sich nicht verstehen. Gab er politische Meinungen kund, so geschah es in nner Weise, daß er keine Partei verletzte, von jeder zu ihren Anhängern gezählt werden konnte. Er hielt z. B. in dem Gemeinderäthe am 10. Juni dem 26- Mai eine Lobrede, sprach von „leserlicher Barrikadenschrift", fand aber die Bedeutung des Tages darin, daß sich „Wien für den unbedingten Anschluß an Deutschland ausgesprochen habe". Durch diese unschuldige Interpretation entwaffnete er die Konservativen. So kam es, daß ihm diese ihr Vertrauen nicht völlig entzogen und auch die Demokraten Bach vollständig gewonnen zu haben sich rühmten". Während man sich in Wien mit dem Sturz und der Wiederaufrichtung Von Cabinetten beschäftigte, vollzogen die Provinzen die Wahlen für den Reichs¬ tag- Galizien wurde damit zuerst fertig, und bereits in den ersten Julitagen »sahen die erstaunten Residenzbewohner Männer in ihrer Mitte wandeln, deren Aeuhercs eine bedenkliche Gleichgiltigkeit gegen die Seife verrieth, welche Kasernen sür Hotels ansahen, in jedem Corporal einen einflußreichen Würdenträger des Staates begrüßten, ihre Lebensbedürfnisse in eigner Person auf dem Markte einkauften und durch vollständige Unkenntniß der deutschen Sprache, der bür¬ gerlichen Sitte, der modernen Bildung glänzten". Es waren die 36 Bauern, durch welche sich das souveräne Landvolk von Galizien vertreten ließ. Auch ^ den meisten andern Provinzen (nur das Küstenland, Tirol. Böhmen und Mähren ausgenommen) trat das bäuerliche Element stark in den Vordergrund ^ »beinahe der vierte Theil des Reichstags wußte mit der Pflugschaar aus ^gner Erfahrung Bescheid". Es galt, gegen die Bedrückung durch die Guts¬ herrn zu .protestiren und die von der Vergangenheit dem Bauernstand auf¬ legten Lasten loszuwerden. Die Befreiung der Bauern wurde die erste Auf- we. die erste große That des Reichstags, und die erste sollte auch die letzte bleiben. »Die Revolution blieb nur so lange mächtig, als unter dem Landvolk der Glaube bestand, jene könne und werde seine Zustände bessern, ihm die Frechett ^schaffen. Die Reaction durste erst dann offen austreten, als die Bauern- °"'-mcipation durchgeführt, das Landvolk von der politischen Bewegung los- gelöst war." „So bildete der Bauernstand den eigentlichen Träger der Re- ""ludion. die Nobotfrage den Angelpunkt der politischen Bestrebungen. Der «Ulm Meinung der Bauern, hier eifrige Advocaten ihrer Rechte zu finden, ver- dcwkten der böhmische Nationalausschuß und theilweise auch der wiener Scher-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/483>, abgerufen am 15.01.2025.