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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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heitsausschuß ihre Autorität-, die Hoffnung, für ihre Interessen wirken zu können,
weckte den Eifer für die einzelnen Landtage, die Zuversicht einer liberalen
Lösung der Nvbotfragc begeisterte das Landvolk für den Reichstag, welcher
ohne diese Stütze in den ländlichen Kreisen schwerlich zusammengetreten wäre,
jedenfalls nur bis zur Lösung der Nobvtfragc Macht und Bedeutung behielt.
Als diese vollendet war, schwebte er in der Luft und stand den Angriffen der
Reaction wehrlos gegenüber." Das Bürgerthum machte der letzteren keine
Sorge. "Es halte sich in allen größeren Städten, namentlich in Wien, politisch
unreif, unselbständig und kraftlos gezeigt, es ließ sich jetzt von der radicalen
Partei terrorisiren, wie es früher die Vormundschaft der Polizei erduldet hatte,
und sah in der ganzen Revolution eigentlich nur einen Rausch, von angenehmer
Wirkung im ersten Augenblicke, aber von bittern Nachwehen begleitet."

Es klang sehr komisch, als Hans Kudlich. das jüngste Mitglied des Reichs¬
tags in der Debatte über die Baucrnentlastung eine pomphafte Rede hielt, in
welcher "die Lerche der Freiheit ihr Lied schmetterte, der Bauer, ein gefesselter
Prometheus, mit seinen Ketten klirrte, der Grundherr, ein adeliger Schnapphahn,
ein finstrer Tyrann, die Peitsche schwang", in welcher "dem Landmanne (jetzt,
im August) sein Weihnachtsgeschenk werden", "der Reichstag, indem er die Auf¬
hebung der Untertänigkeit aussprach, als souveränes Volk seine Thronrede halten"
sollte. Aber es stand eine große bedeutungsvolle Thatsache hinter diesen Phrasen.

Zum Schluß noch ein paar Porträts von den Bänken der Parteien im
Reichstage. Die rechte Seite nahmen die Czechen und die Ruthenen, letztere
als Drahtpuppen ihrer geistlichen Führer, ein. Den Haupteinfluß übten hier
Palazky und der prager Advocat Pinkas, den Hauptredner machte Ladislav
Rieger, "ein junger Mann von entschieden vratvrischcr Begabung, dessen
sonore Stimme man gern klingen hörte, auch wenn man seine Gedanken nicht
selten breitspurig fand".

Führer des Centrums, in dem sich die Tiroler und die "schwarzgelben"
aus den altöstreichischen Provinzen niedergelassen hatten, "jeder Einzelne ein
ehrenwerther, gebildeter Mann, im Ganzen aber ohne Ansehen und Bedeutung",
hätte vou Rechtswegen Graf Stadion sein müssen. Er saß aber "einsam,
beinahe wie ein Geächteter, auf einer der hintersten Bänke. Murren begrüßte
regelmäßig seine Reden, Zischen folgte, sobald er den Mund schloß. Man hielt
ihn für politisch todt." .

Als einen der Begabtesten im linken Centrum schildert der Verfasser Lud¬
wig Lohn er. "Seit den Märztagen der eifrigste Verfechter deutscher Interesse"'
ließ er hoffen, daß in seiner Person die deutsche liberale Partei ihren Sprecher
und Leiter finden werde. Obgleich Arzt, stand er doch dem platten politischen
Materialismus, welcher in den wiener medicinischen Kreisen herrschte, voll¬
kommen fern; obgleich Dichter, begriff er doch die positive Natur des Staates


heitsausschuß ihre Autorität-, die Hoffnung, für ihre Interessen wirken zu können,
weckte den Eifer für die einzelnen Landtage, die Zuversicht einer liberalen
Lösung der Nvbotfragc begeisterte das Landvolk für den Reichstag, welcher
ohne diese Stütze in den ländlichen Kreisen schwerlich zusammengetreten wäre,
jedenfalls nur bis zur Lösung der Nobvtfragc Macht und Bedeutung behielt.
Als diese vollendet war, schwebte er in der Luft und stand den Angriffen der
Reaction wehrlos gegenüber." Das Bürgerthum machte der letzteren keine
Sorge. „Es halte sich in allen größeren Städten, namentlich in Wien, politisch
unreif, unselbständig und kraftlos gezeigt, es ließ sich jetzt von der radicalen
Partei terrorisiren, wie es früher die Vormundschaft der Polizei erduldet hatte,
und sah in der ganzen Revolution eigentlich nur einen Rausch, von angenehmer
Wirkung im ersten Augenblicke, aber von bittern Nachwehen begleitet."

Es klang sehr komisch, als Hans Kudlich. das jüngste Mitglied des Reichs¬
tags in der Debatte über die Baucrnentlastung eine pomphafte Rede hielt, in
welcher „die Lerche der Freiheit ihr Lied schmetterte, der Bauer, ein gefesselter
Prometheus, mit seinen Ketten klirrte, der Grundherr, ein adeliger Schnapphahn,
ein finstrer Tyrann, die Peitsche schwang", in welcher „dem Landmanne (jetzt,
im August) sein Weihnachtsgeschenk werden", „der Reichstag, indem er die Auf¬
hebung der Untertänigkeit aussprach, als souveränes Volk seine Thronrede halten"
sollte. Aber es stand eine große bedeutungsvolle Thatsache hinter diesen Phrasen.

Zum Schluß noch ein paar Porträts von den Bänken der Parteien im
Reichstage. Die rechte Seite nahmen die Czechen und die Ruthenen, letztere
als Drahtpuppen ihrer geistlichen Führer, ein. Den Haupteinfluß übten hier
Palazky und der prager Advocat Pinkas, den Hauptredner machte Ladislav
Rieger, „ein junger Mann von entschieden vratvrischcr Begabung, dessen
sonore Stimme man gern klingen hörte, auch wenn man seine Gedanken nicht
selten breitspurig fand".

Führer des Centrums, in dem sich die Tiroler und die „schwarzgelben"
aus den altöstreichischen Provinzen niedergelassen hatten, „jeder Einzelne ein
ehrenwerther, gebildeter Mann, im Ganzen aber ohne Ansehen und Bedeutung",
hätte vou Rechtswegen Graf Stadion sein müssen. Er saß aber „einsam,
beinahe wie ein Geächteter, auf einer der hintersten Bänke. Murren begrüßte
regelmäßig seine Reden, Zischen folgte, sobald er den Mund schloß. Man hielt
ihn für politisch todt." .

Als einen der Begabtesten im linken Centrum schildert der Verfasser Lud¬
wig Lohn er. „Seit den Märztagen der eifrigste Verfechter deutscher Interesse«'
ließ er hoffen, daß in seiner Person die deutsche liberale Partei ihren Sprecher
und Leiter finden werde. Obgleich Arzt, stand er doch dem platten politischen
Materialismus, welcher in den wiener medicinischen Kreisen herrschte, voll¬
kommen fern; obgleich Dichter, begriff er doch die positive Natur des Staates


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[0484] heitsausschuß ihre Autorität-, die Hoffnung, für ihre Interessen wirken zu können, weckte den Eifer für die einzelnen Landtage, die Zuversicht einer liberalen Lösung der Nvbotfragc begeisterte das Landvolk für den Reichstag, welcher ohne diese Stütze in den ländlichen Kreisen schwerlich zusammengetreten wäre, jedenfalls nur bis zur Lösung der Nobvtfragc Macht und Bedeutung behielt. Als diese vollendet war, schwebte er in der Luft und stand den Angriffen der Reaction wehrlos gegenüber." Das Bürgerthum machte der letzteren keine Sorge. „Es halte sich in allen größeren Städten, namentlich in Wien, politisch unreif, unselbständig und kraftlos gezeigt, es ließ sich jetzt von der radicalen Partei terrorisiren, wie es früher die Vormundschaft der Polizei erduldet hatte, und sah in der ganzen Revolution eigentlich nur einen Rausch, von angenehmer Wirkung im ersten Augenblicke, aber von bittern Nachwehen begleitet." Es klang sehr komisch, als Hans Kudlich. das jüngste Mitglied des Reichs¬ tags in der Debatte über die Baucrnentlastung eine pomphafte Rede hielt, in welcher „die Lerche der Freiheit ihr Lied schmetterte, der Bauer, ein gefesselter Prometheus, mit seinen Ketten klirrte, der Grundherr, ein adeliger Schnapphahn, ein finstrer Tyrann, die Peitsche schwang", in welcher „dem Landmanne (jetzt, im August) sein Weihnachtsgeschenk werden", „der Reichstag, indem er die Auf¬ hebung der Untertänigkeit aussprach, als souveränes Volk seine Thronrede halten" sollte. Aber es stand eine große bedeutungsvolle Thatsache hinter diesen Phrasen. Zum Schluß noch ein paar Porträts von den Bänken der Parteien im Reichstage. Die rechte Seite nahmen die Czechen und die Ruthenen, letztere als Drahtpuppen ihrer geistlichen Führer, ein. Den Haupteinfluß übten hier Palazky und der prager Advocat Pinkas, den Hauptredner machte Ladislav Rieger, „ein junger Mann von entschieden vratvrischcr Begabung, dessen sonore Stimme man gern klingen hörte, auch wenn man seine Gedanken nicht selten breitspurig fand". Führer des Centrums, in dem sich die Tiroler und die „schwarzgelben" aus den altöstreichischen Provinzen niedergelassen hatten, „jeder Einzelne ein ehrenwerther, gebildeter Mann, im Ganzen aber ohne Ansehen und Bedeutung", hätte vou Rechtswegen Graf Stadion sein müssen. Er saß aber „einsam, beinahe wie ein Geächteter, auf einer der hintersten Bänke. Murren begrüßte regelmäßig seine Reden, Zischen folgte, sobald er den Mund schloß. Man hielt ihn für politisch todt." . Als einen der Begabtesten im linken Centrum schildert der Verfasser Lud¬ wig Lohn er. „Seit den Märztagen der eifrigste Verfechter deutscher Interesse«' ließ er hoffen, daß in seiner Person die deutsche liberale Partei ihren Sprecher und Leiter finden werde. Obgleich Arzt, stand er doch dem platten politischen Materialismus, welcher in den wiener medicinischen Kreisen herrschte, voll¬ kommen fern; obgleich Dichter, begriff er doch die positive Natur des Staates

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/484>, abgerufen am 15.01.2025.