Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.von der siegreichen Militärbehörde gewaltsam Vertrieben. Zahlreiche Urkunden Ungemein reich- an interessantem Detail und wohlgelungenen Charakter¬ Das Ministerium Pillersdorff hatte vom ersten Tage seines Bestehens an von der siegreichen Militärbehörde gewaltsam Vertrieben. Zahlreiche Urkunden Ungemein reich- an interessantem Detail und wohlgelungenen Charakter¬ Das Ministerium Pillersdorff hatte vom ersten Tage seines Bestehens an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283833"/> <p xml:id="ID_1379" prev="#ID_1378"> von der siegreichen Militärbehörde gewaltsam Vertrieben. Zahlreiche Urkunden<lb/> wurden vernichtet oder confiscire und der Oeffentlichkeit wohl für immer ent¬<lb/> zogen. Die unmittelbare Aufeinanderfolge des Kongresses und des Aufstandes<lb/> machte einen inneren Zusammenhang derselben glaubwürdig und ließ in den<lb/> Augen Vieler die Barrikaden als die Frucht, ja als das Ziel der slawischen<lb/> Versammlungen erscheinen. Die Czechen widersprachen dem beharrlich und nicht<lb/> mit Unrecht; denn sie konnten auf den großen Schaden hinweisen, den grade<lb/> ihre Bestrebungen durch den Aufruhr erlitten. Wurde doch der Slawencongreß<lb/> in dem Augenblicke gesprengt, wo er im besten Zuge gewesen war, die Welt<lb/> von allen Vorurtheilen zu bekehren und seine großartige segensreiche Wirksam¬<lb/> keit zu offenbaren. Nur die Feinde der Slawen besaßen ein Interesse, dies zu<lb/> hindern, nur von ihnen konnte der Aufstand angezettelt sein. Und so war es<lb/> in der That. Ein junger schmucker Slowak, Marcell Turanski, der durch seine<lb/> schneeweiße Tracht und seinen üppigen Bart die allgemeine Aufmerksamkeit auf<lb/> sich gelenkt und sogar die Würde eines Fahnenträgers empfangen hatte, war<lb/> ein Späher und Verräther, abgesandt von dem ungarischen Ministerium, den<lb/> Congreß um jeden Preis zu compromittiren. Er reizte zum Angriff auf das<lb/> Militär, forderte zum Barrikadenbau aus. ließ sich dann fangen und denuncirte<lb/> die Slawen als Verschwörer. So die Czechen, und das Ergebniß der officiellen<lb/> Untersuchung scheint damit übereinzustimmen. Gewiß ist, der Slawencongreß<lb/> hat den Straßenkampf nicht absichtlich hervorgerufen. Ebenso gewiß aber auch,<lb/> daß ohne ihn, ohne die durch ihn unwillkürlich bewirkte Aufregung und Spannung<lb/> der Gemüther, Prag das traurige Schauspiel einer rohen, ohne klares Ziel,<lb/> ohne zureichende Mittel unternommenen Empörung erspart geblieben wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1380"> Ungemein reich- an interessantem Detail und wohlgelungenen Charakter¬<lb/> bildern ist ferner das dritte Buch in allen seinen Abschnitten, vorzüglich aber<lb/> in dem über den wiener Reichstag, dem über den agramer Landtag und dem<lb/> über die Parlamentarischen Kämpfe in Pesth. Gleichfalls sehr gehaltvoll ist das<lb/> Capitel über die wiener Octoberrevvlution sowie das über die Verhandlungen<lb/> des Reichstags in Kremsier, und auch die Abschnitte über die Kämpfe in Ungarn<lb/> enthalten eine beträchtliche Anzahl neuer und werthvoller Aufschlüsse. Besonders<lb/> gelungen ist hier vor allem die Charakteristik Görgeis. Wir entnehmen dieser<lb/> letzten Hälfte des Buchs noch einige Porträts aus dem Ministerium Dvblhoff<lb/> und dem wiener Reichstage.</p><lb/> <p xml:id="ID_1381" next="#ID_1382"> Das Ministerium Pillersdorff hatte vom ersten Tage seines Bestehens an<lb/> den in Wien herrschenden Radicalen als ein bloßes Uebergangsministcrium<lb/> gegolten, welches man bis zu besserer Gelegenheit dulden müsse. Das Cabinet<lb/> Doblhoff dagegen, bei dessen Bildung der Sicherheitsausschuß und der demo¬<lb/> kratische Verein thätig mitgewirkt, durfte auf den Namen einer revolutionären<lb/> demokratischen Regierung vollen Anspruch erheben. Die Ministerliste befriedigte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
von der siegreichen Militärbehörde gewaltsam Vertrieben. Zahlreiche Urkunden
wurden vernichtet oder confiscire und der Oeffentlichkeit wohl für immer ent¬
zogen. Die unmittelbare Aufeinanderfolge des Kongresses und des Aufstandes
machte einen inneren Zusammenhang derselben glaubwürdig und ließ in den
Augen Vieler die Barrikaden als die Frucht, ja als das Ziel der slawischen
Versammlungen erscheinen. Die Czechen widersprachen dem beharrlich und nicht
mit Unrecht; denn sie konnten auf den großen Schaden hinweisen, den grade
ihre Bestrebungen durch den Aufruhr erlitten. Wurde doch der Slawencongreß
in dem Augenblicke gesprengt, wo er im besten Zuge gewesen war, die Welt
von allen Vorurtheilen zu bekehren und seine großartige segensreiche Wirksam¬
keit zu offenbaren. Nur die Feinde der Slawen besaßen ein Interesse, dies zu
hindern, nur von ihnen konnte der Aufstand angezettelt sein. Und so war es
in der That. Ein junger schmucker Slowak, Marcell Turanski, der durch seine
schneeweiße Tracht und seinen üppigen Bart die allgemeine Aufmerksamkeit auf
sich gelenkt und sogar die Würde eines Fahnenträgers empfangen hatte, war
ein Späher und Verräther, abgesandt von dem ungarischen Ministerium, den
Congreß um jeden Preis zu compromittiren. Er reizte zum Angriff auf das
Militär, forderte zum Barrikadenbau aus. ließ sich dann fangen und denuncirte
die Slawen als Verschwörer. So die Czechen, und das Ergebniß der officiellen
Untersuchung scheint damit übereinzustimmen. Gewiß ist, der Slawencongreß
hat den Straßenkampf nicht absichtlich hervorgerufen. Ebenso gewiß aber auch,
daß ohne ihn, ohne die durch ihn unwillkürlich bewirkte Aufregung und Spannung
der Gemüther, Prag das traurige Schauspiel einer rohen, ohne klares Ziel,
ohne zureichende Mittel unternommenen Empörung erspart geblieben wäre.
Ungemein reich- an interessantem Detail und wohlgelungenen Charakter¬
bildern ist ferner das dritte Buch in allen seinen Abschnitten, vorzüglich aber
in dem über den wiener Reichstag, dem über den agramer Landtag und dem
über die Parlamentarischen Kämpfe in Pesth. Gleichfalls sehr gehaltvoll ist das
Capitel über die wiener Octoberrevvlution sowie das über die Verhandlungen
des Reichstags in Kremsier, und auch die Abschnitte über die Kämpfe in Ungarn
enthalten eine beträchtliche Anzahl neuer und werthvoller Aufschlüsse. Besonders
gelungen ist hier vor allem die Charakteristik Görgeis. Wir entnehmen dieser
letzten Hälfte des Buchs noch einige Porträts aus dem Ministerium Dvblhoff
und dem wiener Reichstage.
Das Ministerium Pillersdorff hatte vom ersten Tage seines Bestehens an
den in Wien herrschenden Radicalen als ein bloßes Uebergangsministcrium
gegolten, welches man bis zu besserer Gelegenheit dulden müsse. Das Cabinet
Doblhoff dagegen, bei dessen Bildung der Sicherheitsausschuß und der demo¬
kratische Verein thätig mitgewirkt, durfte auf den Namen einer revolutionären
demokratischen Regierung vollen Anspruch erheben. Die Ministerliste befriedigte
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