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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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tung, daß "Oestreichs Großmacht insbesondere auf der freien Entwickelung der
slawischen Nationalitäten beruhe", ging dieselbe auf die Forderungen der ein¬
zelnen Stämme in Oestreich ein. Die Czechen erklärten sich durch das Patent
vom 8. April befriedigt und wollten nur noch Unterordnung Mährens unter
die böhmischen Centnilbehörden und einen gemeinschaftlichen Landtag für
Böhmen und Mähren. Den Slawen Nordungarns sollte das Recht, einen
Nativnalcongreß zu bestellen und die Pflege ihrer Volksthümlichkeit in den
Schulen eingeräumt werden. Für die Slawen in Kärnthen, Krain und dem
Küstenlande wurde die Errichtung eines Königreichs Slowenien mit der Haupt¬
stadt Laibach erbeten. In Bezug auf die Serben und Kroaten forderte man
Bestätigung der carlowitzer Beschlüsse und der von Jellachich getroffenen An¬
ordnungen. Am schwersten einigte sich der Congreß über das künftige Schicksal
Galiziens. Man predigte der ganzen weiten Welt Gleichheit und Brüderlichkeit
Und konnte hier nicht einmal den Zwist in der eignen Familie lösen. Man.
sprach den Slawen die Freiheitsliebe als Naturgabe zu, und siehe da, hier
sagten die Ruthenen über grausamste Bedrückung durch die polnische Aristo¬
kratie, und hier schimpften andrerseits die Polen auf die knechtisch gesinnten
Ruthenen, deren Anhänglichkeit an die Regierung nicht einmal die Märzstürme
"schüttern gekonnt. Wäre es nach dem Herzenswünsche der Polen, die vor
allem Revolutionäre, dann erst Slawen waren, gegangen, so hätten die An¬
sprüche der Ruthenen keine Berücksichtigung erfahren. Theils das Drängen der
Czechen. theils die Erwägung, daß es sich zunächst darum handeln mußte, der
östreichischen Regierung alle Machtquellcn zu verstopfen, bewog die Polen zur
Nachgiebigkeit. Sie willigten ein. mit den Ruthenen einen wechselseitigen Ver-
^ag zur Sicherung ihrer Nationalitäten einzugehen. Die Gleichberechtigung
^r Polnischen und ruthenischen Sprache in Schule und Amt wurde anerkannt,
d'e Entscheidung, welche von beiden gelten sollte, in jedem einzelnen Bezirk von
^r Sprache der Mehrheit abhängig gemacht. Durch diese Zugeständnisse be-
whigt. willigten die ruthenischen Abgeordneten ihrerseits in einen gemeinsamen
Landtag und verzichteten auf die administrative Theilung Galiziens in eine
panische und eine ruthenische Hälfte. Der Vertrag sollte dem Kaiser zur Be¬
stätigung übergeben und daran die Bitte geknüpft werden, Galizien eine ähn-
Uche Verfassung zu verleihen, wie sie Böhmen dnrch das Patent vom 8. April
^saß, und die gegenwärtigen Beamten durch andere, welche "das allgemeine
vertrauen aller Volksclassen genießen", zu ersetzen.

Die Vertrauensmänner des Slawencongresscö waren noch und der Redaction
^eher Schriftstücke für die letzte Generalversammlung beschäftigt, als am 12. Zum
der bekannte Aufstand in den Straßen von Prag ausbrach, welcher den Ver-
^ndlungen der Herren Abgesandten ein vorzeitiges Ende bereitete. Dieselben
achteten eilig vom Schauplatz des Aufruhrs oder sahen sich, me die Polen,


tung, daß „Oestreichs Großmacht insbesondere auf der freien Entwickelung der
slawischen Nationalitäten beruhe", ging dieselbe auf die Forderungen der ein¬
zelnen Stämme in Oestreich ein. Die Czechen erklärten sich durch das Patent
vom 8. April befriedigt und wollten nur noch Unterordnung Mährens unter
die böhmischen Centnilbehörden und einen gemeinschaftlichen Landtag für
Böhmen und Mähren. Den Slawen Nordungarns sollte das Recht, einen
Nativnalcongreß zu bestellen und die Pflege ihrer Volksthümlichkeit in den
Schulen eingeräumt werden. Für die Slawen in Kärnthen, Krain und dem
Küstenlande wurde die Errichtung eines Königreichs Slowenien mit der Haupt¬
stadt Laibach erbeten. In Bezug auf die Serben und Kroaten forderte man
Bestätigung der carlowitzer Beschlüsse und der von Jellachich getroffenen An¬
ordnungen. Am schwersten einigte sich der Congreß über das künftige Schicksal
Galiziens. Man predigte der ganzen weiten Welt Gleichheit und Brüderlichkeit
Und konnte hier nicht einmal den Zwist in der eignen Familie lösen. Man.
sprach den Slawen die Freiheitsliebe als Naturgabe zu, und siehe da, hier
sagten die Ruthenen über grausamste Bedrückung durch die polnische Aristo¬
kratie, und hier schimpften andrerseits die Polen auf die knechtisch gesinnten
Ruthenen, deren Anhänglichkeit an die Regierung nicht einmal die Märzstürme
«schüttern gekonnt. Wäre es nach dem Herzenswünsche der Polen, die vor
allem Revolutionäre, dann erst Slawen waren, gegangen, so hätten die An¬
sprüche der Ruthenen keine Berücksichtigung erfahren. Theils das Drängen der
Czechen. theils die Erwägung, daß es sich zunächst darum handeln mußte, der
östreichischen Regierung alle Machtquellcn zu verstopfen, bewog die Polen zur
Nachgiebigkeit. Sie willigten ein. mit den Ruthenen einen wechselseitigen Ver-
^ag zur Sicherung ihrer Nationalitäten einzugehen. Die Gleichberechtigung
^r Polnischen und ruthenischen Sprache in Schule und Amt wurde anerkannt,
d'e Entscheidung, welche von beiden gelten sollte, in jedem einzelnen Bezirk von
^r Sprache der Mehrheit abhängig gemacht. Durch diese Zugeständnisse be-
whigt. willigten die ruthenischen Abgeordneten ihrerseits in einen gemeinsamen
Landtag und verzichteten auf die administrative Theilung Galiziens in eine
panische und eine ruthenische Hälfte. Der Vertrag sollte dem Kaiser zur Be¬
stätigung übergeben und daran die Bitte geknüpft werden, Galizien eine ähn-
Uche Verfassung zu verleihen, wie sie Böhmen dnrch das Patent vom 8. April
^saß, und die gegenwärtigen Beamten durch andere, welche „das allgemeine
vertrauen aller Volksclassen genießen", zu ersetzen.

Die Vertrauensmänner des Slawencongresscö waren noch und der Redaction
^eher Schriftstücke für die letzte Generalversammlung beschäftigt, als am 12. Zum
der bekannte Aufstand in den Straßen von Prag ausbrach, welcher den Ver-
^ndlungen der Herren Abgesandten ein vorzeitiges Ende bereitete. Dieselben
achteten eilig vom Schauplatz des Aufruhrs oder sahen sich, me die Polen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/479>, abgerufen am 15.01.2025.