Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.nicht berührte, die für die Beschlüsse Pillersdorffs allein maßgebend waren. Am 2. Juni wurde endlich der Slawencongreß eröffnet. Aus Höflichkeit nicht berührte, die für die Beschlüsse Pillersdorffs allein maßgebend waren. Am 2. Juni wurde endlich der Slawencongreß eröffnet. Aus Höflichkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283827"/> <p xml:id="ID_1363" prev="#ID_1362"> nicht berührte, die für die Beschlüsse Pillersdorffs allein maßgebend waren.<lb/> Nicht so das ungarische, welches zwar überzeugt war, daß der angestrebte allge¬<lb/> meine Slawenbund ein leeres Project bleiben werde, aber zu fürchten hatte,<lb/> daß der Widerstand der Kroaten hier einen gewissen Halt und Schutz gewinnen<lb/> könnte. Es rieth in Wien, die Polen durch Zugeständnisse von der Betheiligung<lb/> an der Sache abzuziehen. Vergebens, und so erfüllte sich, was die Magyaren<lb/> befürchtet hatten. Die Polen schlossen sich den Uebrigen an, die in den letzten<lb/> Maitagen aus den böhmischen Landsiädien, aus Mähren und Schlesien, aus<lb/> der Slowakei, aus Kroatien und dem Banat herbeikamen. Auch Posen und<lb/> das Fürstenthum Serbien stellte ein Contingent, Rußland war wenigstens durch<lb/> einen Mann, den Flüchtling Bakunin, vertreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1364" next="#ID_1365"> Am 2. Juni wurde endlich der Slawencongreß eröffnet. Aus Höflichkeit<lb/> gegen die Czechen hatte man Prag zum Versammlungsorte gewählt. Am Tage<lb/> der Eröffnung merkte man erst, wie wenig diese halb deutsche Stadt dazu paßte.<lb/> „Als der lange, seltsam costümirte Zug sich durch die Straßen bewegte, voran<lb/> ein Sängerchor, zu dessen Liedern Bewaffnete mit den Schwertern den Tact<lb/> schlugen, dann paarweise die Mitglieder des Congresses, vielfach in Tracht und<lb/> Körperbildung an den Orient erinnernd, ertönte aus den Reihen der dicht'<lb/> gedrängten neugierigen Zuschauer auch nicht ein freundlicher Zuruf, wurde keine<lb/> sympathische Begeisterung laut. Die czechischen Studenten, welche das Ehren¬<lb/> geleit bildeten, mußten ihr Lärmen verdoppeln, um die unheimliche Stille nicht<lb/> allzu bemerkbar werden zu lassen. Auch das konnte als bedenkliches Zeichen<lb/> gelten, daß im letzten Augenblicke der Präsident des provisorischen Comites,<lb/> Graf Joseph M. Thun, zurücktrat. Der mehr eitle als ehrgeizige Mann schien<lb/> zu ahnen, daß der Slawencongreß den Schein östreichischer Loyalität nicht<lb/> lange wahren, die Theilnahme an demselben keineswegs eine bequeme Stufe,<lb/> um zur Negierungsmacht zu gelangen, bilden werde. In dem Versammlung^<lb/> locale wurden nach den einleitenden Worten des definitiven Präsidenten PalatzkY<lb/> noch sieben lange Reden in den verschiedensten slawischen Sprachen und Dia'<lb/> ketten gehalten. Boshafte Zungen behaupteten, um sich gegenseitig verständlich<lb/> zu machen, hätte man sich der Vermittelung der deutschen Sprache bediene»<lb/> müssen. Das ist erlogen. Kein deutscher Laut wurde, so lange der Slawen'<lb/> congreß dauerte, vernommen. Ob aber die 340 Theilnehmer an demselben,<lb/> namentlich die 237 Mitglieder der czechischen Section — unter diesen, um den<lb/> Charakter des Jahres 1848 festzuhalten, auch zahlreiche Studentendeputirte<lb/> aller slawischen Sprachen gleichmäßig mächtig waren, muß man freilich be¬<lb/> zweifeln. Doch hemmte dies die Wirksamkeit des Congresses nicht, welcher den<lb/> Hauptnachdruck auf die privaten Ausschußsitzungen legte, die Generalver-<lb/> sammlungen als bloße Prunksache betrachtete. In die Hand einiger wenige«<lb/> Vertrauensmänner war nach der klug ausgearbeiteten Geschäftsordnung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
nicht berührte, die für die Beschlüsse Pillersdorffs allein maßgebend waren.
Nicht so das ungarische, welches zwar überzeugt war, daß der angestrebte allge¬
meine Slawenbund ein leeres Project bleiben werde, aber zu fürchten hatte,
daß der Widerstand der Kroaten hier einen gewissen Halt und Schutz gewinnen
könnte. Es rieth in Wien, die Polen durch Zugeständnisse von der Betheiligung
an der Sache abzuziehen. Vergebens, und so erfüllte sich, was die Magyaren
befürchtet hatten. Die Polen schlossen sich den Uebrigen an, die in den letzten
Maitagen aus den böhmischen Landsiädien, aus Mähren und Schlesien, aus
der Slowakei, aus Kroatien und dem Banat herbeikamen. Auch Posen und
das Fürstenthum Serbien stellte ein Contingent, Rußland war wenigstens durch
einen Mann, den Flüchtling Bakunin, vertreten.
Am 2. Juni wurde endlich der Slawencongreß eröffnet. Aus Höflichkeit
gegen die Czechen hatte man Prag zum Versammlungsorte gewählt. Am Tage
der Eröffnung merkte man erst, wie wenig diese halb deutsche Stadt dazu paßte.
„Als der lange, seltsam costümirte Zug sich durch die Straßen bewegte, voran
ein Sängerchor, zu dessen Liedern Bewaffnete mit den Schwertern den Tact
schlugen, dann paarweise die Mitglieder des Congresses, vielfach in Tracht und
Körperbildung an den Orient erinnernd, ertönte aus den Reihen der dicht'
gedrängten neugierigen Zuschauer auch nicht ein freundlicher Zuruf, wurde keine
sympathische Begeisterung laut. Die czechischen Studenten, welche das Ehren¬
geleit bildeten, mußten ihr Lärmen verdoppeln, um die unheimliche Stille nicht
allzu bemerkbar werden zu lassen. Auch das konnte als bedenkliches Zeichen
gelten, daß im letzten Augenblicke der Präsident des provisorischen Comites,
Graf Joseph M. Thun, zurücktrat. Der mehr eitle als ehrgeizige Mann schien
zu ahnen, daß der Slawencongreß den Schein östreichischer Loyalität nicht
lange wahren, die Theilnahme an demselben keineswegs eine bequeme Stufe,
um zur Negierungsmacht zu gelangen, bilden werde. In dem Versammlung^
locale wurden nach den einleitenden Worten des definitiven Präsidenten PalatzkY
noch sieben lange Reden in den verschiedensten slawischen Sprachen und Dia'
ketten gehalten. Boshafte Zungen behaupteten, um sich gegenseitig verständlich
zu machen, hätte man sich der Vermittelung der deutschen Sprache bediene»
müssen. Das ist erlogen. Kein deutscher Laut wurde, so lange der Slawen'
congreß dauerte, vernommen. Ob aber die 340 Theilnehmer an demselben,
namentlich die 237 Mitglieder der czechischen Section — unter diesen, um den
Charakter des Jahres 1848 festzuhalten, auch zahlreiche Studentendeputirte
aller slawischen Sprachen gleichmäßig mächtig waren, muß man freilich be¬
zweifeln. Doch hemmte dies die Wirksamkeit des Congresses nicht, welcher den
Hauptnachdruck auf die privaten Ausschußsitzungen legte, die Generalver-
sammlungen als bloße Prunksache betrachtete. In die Hand einiger wenige«
Vertrauensmänner war nach der klug ausgearbeiteten Geschäftsordnung
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