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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ihre große Verlegenheit nicht bemeistern. aber "die studentische Ehre war eng"'
girt", und so wurde fortgefahren und die Adresse festgestellt. Sie erzählte
dem Kaiser, daß "ein großes Ereigniß den allgemeinen Frieden in Frage ge¬
stellt"; sie versicherte die "Bereitwilligkeit der Studenten, das gemeinsame
Vaterland gegen jeglichen Feind zu schirmen, mag er drohen von Ost oder
West"; sie behauptete von der Freiheit, "daß sie zu großen Thaten befähige
und geneigt mache, schwere Prüfungen mit Ausdauer zu bestehen", und sprach
die "Meinung" der jungen Herren aus. daß "die Verwirklichung der Freiheit
in so kritischer Weltlage ein dringendes Bedürfniß sei". Aus diese Gründe
gestützt, forderten die Studenten: Preß>. Rede-. Lehr-. Lern- und Glaubens¬
freiheit, allgemeine Volksvertretung und schlössen mit einer unklaren Phrase
über deutsche Bundesreform. Gewicht hatten weder die Adresse noch die Bitt¬
steller; dennoch erschien jene der Negierung bedenklicher als alle andern poli¬
tischen Demonstrationen.

Dies setzt sich in der Folge fort und steigert sich. Nachdem das zweite
Buch gezeigt hat, wie die einzelnen Völkerstämme des Kaiscrstaats sich anschickten,
den Verband desselben zu lösen, wie die Czechen sich von den Deutschen, die
Magyaren sich von Wien, die Südslawen sich von den Magyaren zu trennen
strebten, die Romanen besondere Existenz zu gewinnen suchten, führt es uns in
dem Abschnitt über die Gründung und den Sturz der Verfassung vom 2S. April
und in dem Capitel über den prager Slawencongreß die Gipfelpunkte der beiden
großen Thorheiten vor, in welche die beiden an sich berechtigten Hauptbestrebungen
der östreichischen Völker ausgeartet waren, dort den Gipfel des demokratischen
Radikalismus, hier den Gipfel nationaler Maßlosigkeit noch neben jenem. Die
Darstellung des Slawencongresses gehört zu den Glanzpunkten des Buches,
und so heben wir im Folgenden die Charakteristik dieser wunderlichen Ver¬
sammlung auszugsweise heraus.

Die slawischen Stämme Oestreichs hatten sich in den ersten Monaten der
neuen Zeit nur negativ verhalten. Sie waren dem Streben der Deutschen
nach politischer Einigung und den liberalen Tendenzen der Magyaren entgegen¬
getreten. Sie waren aber keineswegs gesonnen, bei der bloßen Verneinung zu
beharren, sie wollten durchaus nicht die Fahne der alten politischen Tradition
emporhalten; sie wurden vielmehr von einem noch überschwänglicheren Radi¬
kalismus beherrscht als alle andern Stämme Oestreichs. Während die letzteren
nur das Nächstliegende zu ändern gedachten, phantasirten die Slawen von einer
vollständigen Umwälzung des bestehenden Staats- und Volksrechts, dachten an
die Gründung einer neuen romantischen Welt, wo die Milch und der Honig
der Brüderlichkeit und der Liebe fließt, und verstiegen sich zu der Hoffnung, die
Entwickelung der Weltgeschichte an einen neuen Träger zu bannen, an daS
Slawentum nämlich. Zu diesem Zweck mußten sie sich als weit zerstreut


ihre große Verlegenheit nicht bemeistern. aber „die studentische Ehre war eng«'
girt", und so wurde fortgefahren und die Adresse festgestellt. Sie erzählte
dem Kaiser, daß „ein großes Ereigniß den allgemeinen Frieden in Frage ge¬
stellt"; sie versicherte die „Bereitwilligkeit der Studenten, das gemeinsame
Vaterland gegen jeglichen Feind zu schirmen, mag er drohen von Ost oder
West"; sie behauptete von der Freiheit, „daß sie zu großen Thaten befähige
und geneigt mache, schwere Prüfungen mit Ausdauer zu bestehen", und sprach
die „Meinung" der jungen Herren aus. daß „die Verwirklichung der Freiheit
in so kritischer Weltlage ein dringendes Bedürfniß sei". Aus diese Gründe
gestützt, forderten die Studenten: Preß>. Rede-. Lehr-. Lern- und Glaubens¬
freiheit, allgemeine Volksvertretung und schlössen mit einer unklaren Phrase
über deutsche Bundesreform. Gewicht hatten weder die Adresse noch die Bitt¬
steller; dennoch erschien jene der Negierung bedenklicher als alle andern poli¬
tischen Demonstrationen.

Dies setzt sich in der Folge fort und steigert sich. Nachdem das zweite
Buch gezeigt hat, wie die einzelnen Völkerstämme des Kaiscrstaats sich anschickten,
den Verband desselben zu lösen, wie die Czechen sich von den Deutschen, die
Magyaren sich von Wien, die Südslawen sich von den Magyaren zu trennen
strebten, die Romanen besondere Existenz zu gewinnen suchten, führt es uns in
dem Abschnitt über die Gründung und den Sturz der Verfassung vom 2S. April
und in dem Capitel über den prager Slawencongreß die Gipfelpunkte der beiden
großen Thorheiten vor, in welche die beiden an sich berechtigten Hauptbestrebungen
der östreichischen Völker ausgeartet waren, dort den Gipfel des demokratischen
Radikalismus, hier den Gipfel nationaler Maßlosigkeit noch neben jenem. Die
Darstellung des Slawencongresses gehört zu den Glanzpunkten des Buches,
und so heben wir im Folgenden die Charakteristik dieser wunderlichen Ver¬
sammlung auszugsweise heraus.

Die slawischen Stämme Oestreichs hatten sich in den ersten Monaten der
neuen Zeit nur negativ verhalten. Sie waren dem Streben der Deutschen
nach politischer Einigung und den liberalen Tendenzen der Magyaren entgegen¬
getreten. Sie waren aber keineswegs gesonnen, bei der bloßen Verneinung zu
beharren, sie wollten durchaus nicht die Fahne der alten politischen Tradition
emporhalten; sie wurden vielmehr von einem noch überschwänglicheren Radi¬
kalismus beherrscht als alle andern Stämme Oestreichs. Während die letzteren
nur das Nächstliegende zu ändern gedachten, phantasirten die Slawen von einer
vollständigen Umwälzung des bestehenden Staats- und Volksrechts, dachten an
die Gründung einer neuen romantischen Welt, wo die Milch und der Honig
der Brüderlichkeit und der Liebe fließt, und verstiegen sich zu der Hoffnung, die
Entwickelung der Weltgeschichte an einen neuen Träger zu bannen, an daS
Slawentum nämlich. Zu diesem Zweck mußten sie sich als weit zerstreut


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[0472] ihre große Verlegenheit nicht bemeistern. aber „die studentische Ehre war eng«' girt", und so wurde fortgefahren und die Adresse festgestellt. Sie erzählte dem Kaiser, daß „ein großes Ereigniß den allgemeinen Frieden in Frage ge¬ stellt"; sie versicherte die „Bereitwilligkeit der Studenten, das gemeinsame Vaterland gegen jeglichen Feind zu schirmen, mag er drohen von Ost oder West"; sie behauptete von der Freiheit, „daß sie zu großen Thaten befähige und geneigt mache, schwere Prüfungen mit Ausdauer zu bestehen", und sprach die „Meinung" der jungen Herren aus. daß „die Verwirklichung der Freiheit in so kritischer Weltlage ein dringendes Bedürfniß sei". Aus diese Gründe gestützt, forderten die Studenten: Preß>. Rede-. Lehr-. Lern- und Glaubens¬ freiheit, allgemeine Volksvertretung und schlössen mit einer unklaren Phrase über deutsche Bundesreform. Gewicht hatten weder die Adresse noch die Bitt¬ steller; dennoch erschien jene der Negierung bedenklicher als alle andern poli¬ tischen Demonstrationen. Dies setzt sich in der Folge fort und steigert sich. Nachdem das zweite Buch gezeigt hat, wie die einzelnen Völkerstämme des Kaiscrstaats sich anschickten, den Verband desselben zu lösen, wie die Czechen sich von den Deutschen, die Magyaren sich von Wien, die Südslawen sich von den Magyaren zu trennen strebten, die Romanen besondere Existenz zu gewinnen suchten, führt es uns in dem Abschnitt über die Gründung und den Sturz der Verfassung vom 2S. April und in dem Capitel über den prager Slawencongreß die Gipfelpunkte der beiden großen Thorheiten vor, in welche die beiden an sich berechtigten Hauptbestrebungen der östreichischen Völker ausgeartet waren, dort den Gipfel des demokratischen Radikalismus, hier den Gipfel nationaler Maßlosigkeit noch neben jenem. Die Darstellung des Slawencongresses gehört zu den Glanzpunkten des Buches, und so heben wir im Folgenden die Charakteristik dieser wunderlichen Ver¬ sammlung auszugsweise heraus. Die slawischen Stämme Oestreichs hatten sich in den ersten Monaten der neuen Zeit nur negativ verhalten. Sie waren dem Streben der Deutschen nach politischer Einigung und den liberalen Tendenzen der Magyaren entgegen¬ getreten. Sie waren aber keineswegs gesonnen, bei der bloßen Verneinung zu beharren, sie wollten durchaus nicht die Fahne der alten politischen Tradition emporhalten; sie wurden vielmehr von einem noch überschwänglicheren Radi¬ kalismus beherrscht als alle andern Stämme Oestreichs. Während die letzteren nur das Nächstliegende zu ändern gedachten, phantasirten die Slawen von einer vollständigen Umwälzung des bestehenden Staats- und Volksrechts, dachten an die Gründung einer neuen romantischen Welt, wo die Milch und der Honig der Brüderlichkeit und der Liebe fließt, und verstiegen sich zu der Hoffnung, die Entwickelung der Weltgeschichte an einen neuen Träger zu bannen, an daS Slawentum nämlich. Zu diesem Zweck mußten sie sich als weit zerstreut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/472>, abgerufen am 15.01.2025.