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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Kroaten in der Sprachcnfrage, die vielfachen Kämpfe zwischen Opposition und
Regierung, Conservativen und Reformern u. a. in. bis zu dem Tage, wo Kossuth
erklärte, von nun an gebe es keinen Frieden mehr auf dem Reichstage, es solle
ein Kampf bis zum letzten Athemzuge herrschen. Wir beobachten endlich, wie
die Niederlagen der mettcrnichschen Politik im Streit mit Sardinien, in Rom
und in der Schweiz auf das östreichische Volk wirken und ihm den Glauben
an einen baldigen Umschwung der Dinge zu Gunsten des Liberalismus stärken,
wie sich in Obcntalien das allgemeine Mißvergnügen zu Demonstrationen steigert,
wie die Reformbewegung in Deutschland ihre Wellen über die Grenzen des
Kaiserstaats wirft, wie dessen Regierung sich täglich unbehaglicher fühlt, fort¬
während haltloser und rathloser wird, während zugleich ein Staatsbankerott
Vor der Thür steht. Die Februarrevolution wirft ihre Funken in diese Ver-
Haltnisse, erst sehr schüchtern, dann kecker wagt die öffentliche Meinung in Prag
und Wien ihren Willen der Regierung entgegenzustellen, es kommt zum Conflict
'n Wien. Metternich fällt, ein neues Ministerium wird gebildet, in Pesth und
Mailand bricht die Revolution ebenfalls aus. Das alte Oestreich stürzt zu¬
sammen, und Viele zweifeln, ob überhaupt irgendein Oestreich fortbestehen werde.

Das alles ist mit gründlichem Eingehen in die Details, lebendig und
wohlgeordnet erzählt. Sehr gut sind die böhmischen und kroatischen Agitatoren,
dann Kossuth, der Palatin und Apponyi sowie andere Größen der ungarischen
Parteien und die Bestrebungen der letzteren charakterisirt; von besonderem Werth
ist die Schilderung der wiener Märztage und der dabei vorzüglich hervortreten-
den Persönlichkeiten, Körperschaften und Gesellschaftsclassen. Manche Phrase
und mancher Nimbus freilich wird dabei zerstört, mehr als eine Parteigröße
beträchtlich verkleinert, manche That, welche in den damaligen Zeitungsberichten
als ganze oder halbe Heldenleistung glänzte, rückt der Gewöhnlichkeit um ein
paar Stufen näher; aber wir haben die Empfindung, daß der Referent, indem
er diese Reduction vornahm, ungemein gut unterrichtet war, und daß er die
Dinge, die ihm vorlagen, als Historiker, mit bloßen gesunden Augen, nicht
durch die oder jene Brille ansah.

Besonders wenig Ursache, sich bei dem Verfasser zu bedanken, daß er die
Dinge so giebt, wie sie waren, haben die Wiener. Es liefen in diesen Tagen
allenthalben ziemlich viele Karicaturen auf den gesunden Menschenverstand
umher, hier aber herrscht doch gradezu die verkehrte Welt. Studenten und ver¬
bummelte Existenzen geben den Ton an. und mit der Phrase wird ein Luxus
getrieben, der komisch sein würde, wenn er nicht schändlich wäre. Je unge-
wöhnlicher und abgeschmackter etwas ist, auf desto unbedingtere Billigung hat
es zu rechnen und nicht blos bei der Masse. Ein ergötzliches Beispiel ist die
Studentenadresse der Märztage. In einer Kneipe der Alservorstadt wurde sie
angeregt. Als es zur Abfassung kommen sollte, konnten die Vernünftigeren


Kroaten in der Sprachcnfrage, die vielfachen Kämpfe zwischen Opposition und
Regierung, Conservativen und Reformern u. a. in. bis zu dem Tage, wo Kossuth
erklärte, von nun an gebe es keinen Frieden mehr auf dem Reichstage, es solle
ein Kampf bis zum letzten Athemzuge herrschen. Wir beobachten endlich, wie
die Niederlagen der mettcrnichschen Politik im Streit mit Sardinien, in Rom
und in der Schweiz auf das östreichische Volk wirken und ihm den Glauben
an einen baldigen Umschwung der Dinge zu Gunsten des Liberalismus stärken,
wie sich in Obcntalien das allgemeine Mißvergnügen zu Demonstrationen steigert,
wie die Reformbewegung in Deutschland ihre Wellen über die Grenzen des
Kaiserstaats wirft, wie dessen Regierung sich täglich unbehaglicher fühlt, fort¬
während haltloser und rathloser wird, während zugleich ein Staatsbankerott
Vor der Thür steht. Die Februarrevolution wirft ihre Funken in diese Ver-
Haltnisse, erst sehr schüchtern, dann kecker wagt die öffentliche Meinung in Prag
und Wien ihren Willen der Regierung entgegenzustellen, es kommt zum Conflict
'n Wien. Metternich fällt, ein neues Ministerium wird gebildet, in Pesth und
Mailand bricht die Revolution ebenfalls aus. Das alte Oestreich stürzt zu¬
sammen, und Viele zweifeln, ob überhaupt irgendein Oestreich fortbestehen werde.

Das alles ist mit gründlichem Eingehen in die Details, lebendig und
wohlgeordnet erzählt. Sehr gut sind die böhmischen und kroatischen Agitatoren,
dann Kossuth, der Palatin und Apponyi sowie andere Größen der ungarischen
Parteien und die Bestrebungen der letzteren charakterisirt; von besonderem Werth
ist die Schilderung der wiener Märztage und der dabei vorzüglich hervortreten-
den Persönlichkeiten, Körperschaften und Gesellschaftsclassen. Manche Phrase
und mancher Nimbus freilich wird dabei zerstört, mehr als eine Parteigröße
beträchtlich verkleinert, manche That, welche in den damaligen Zeitungsberichten
als ganze oder halbe Heldenleistung glänzte, rückt der Gewöhnlichkeit um ein
paar Stufen näher; aber wir haben die Empfindung, daß der Referent, indem
er diese Reduction vornahm, ungemein gut unterrichtet war, und daß er die
Dinge, die ihm vorlagen, als Historiker, mit bloßen gesunden Augen, nicht
durch die oder jene Brille ansah.

Besonders wenig Ursache, sich bei dem Verfasser zu bedanken, daß er die
Dinge so giebt, wie sie waren, haben die Wiener. Es liefen in diesen Tagen
allenthalben ziemlich viele Karicaturen auf den gesunden Menschenverstand
umher, hier aber herrscht doch gradezu die verkehrte Welt. Studenten und ver¬
bummelte Existenzen geben den Ton an. und mit der Phrase wird ein Luxus
getrieben, der komisch sein würde, wenn er nicht schändlich wäre. Je unge-
wöhnlicher und abgeschmackter etwas ist, auf desto unbedingtere Billigung hat
es zu rechnen und nicht blos bei der Masse. Ein ergötzliches Beispiel ist die
Studentenadresse der Märztage. In einer Kneipe der Alservorstadt wurde sie
angeregt. Als es zur Abfassung kommen sollte, konnten die Vernünftigeren


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[0471] Kroaten in der Sprachcnfrage, die vielfachen Kämpfe zwischen Opposition und Regierung, Conservativen und Reformern u. a. in. bis zu dem Tage, wo Kossuth erklärte, von nun an gebe es keinen Frieden mehr auf dem Reichstage, es solle ein Kampf bis zum letzten Athemzuge herrschen. Wir beobachten endlich, wie die Niederlagen der mettcrnichschen Politik im Streit mit Sardinien, in Rom und in der Schweiz auf das östreichische Volk wirken und ihm den Glauben an einen baldigen Umschwung der Dinge zu Gunsten des Liberalismus stärken, wie sich in Obcntalien das allgemeine Mißvergnügen zu Demonstrationen steigert, wie die Reformbewegung in Deutschland ihre Wellen über die Grenzen des Kaiserstaats wirft, wie dessen Regierung sich täglich unbehaglicher fühlt, fort¬ während haltloser und rathloser wird, während zugleich ein Staatsbankerott Vor der Thür steht. Die Februarrevolution wirft ihre Funken in diese Ver- Haltnisse, erst sehr schüchtern, dann kecker wagt die öffentliche Meinung in Prag und Wien ihren Willen der Regierung entgegenzustellen, es kommt zum Conflict 'n Wien. Metternich fällt, ein neues Ministerium wird gebildet, in Pesth und Mailand bricht die Revolution ebenfalls aus. Das alte Oestreich stürzt zu¬ sammen, und Viele zweifeln, ob überhaupt irgendein Oestreich fortbestehen werde. Das alles ist mit gründlichem Eingehen in die Details, lebendig und wohlgeordnet erzählt. Sehr gut sind die böhmischen und kroatischen Agitatoren, dann Kossuth, der Palatin und Apponyi sowie andere Größen der ungarischen Parteien und die Bestrebungen der letzteren charakterisirt; von besonderem Werth ist die Schilderung der wiener Märztage und der dabei vorzüglich hervortreten- den Persönlichkeiten, Körperschaften und Gesellschaftsclassen. Manche Phrase und mancher Nimbus freilich wird dabei zerstört, mehr als eine Parteigröße beträchtlich verkleinert, manche That, welche in den damaligen Zeitungsberichten als ganze oder halbe Heldenleistung glänzte, rückt der Gewöhnlichkeit um ein paar Stufen näher; aber wir haben die Empfindung, daß der Referent, indem er diese Reduction vornahm, ungemein gut unterrichtet war, und daß er die Dinge, die ihm vorlagen, als Historiker, mit bloßen gesunden Augen, nicht durch die oder jene Brille ansah. Besonders wenig Ursache, sich bei dem Verfasser zu bedanken, daß er die Dinge so giebt, wie sie waren, haben die Wiener. Es liefen in diesen Tagen allenthalben ziemlich viele Karicaturen auf den gesunden Menschenverstand umher, hier aber herrscht doch gradezu die verkehrte Welt. Studenten und ver¬ bummelte Existenzen geben den Ton an. und mit der Phrase wird ein Luxus getrieben, der komisch sein würde, wenn er nicht schändlich wäre. Je unge- wöhnlicher und abgeschmackter etwas ist, auf desto unbedingtere Billigung hat es zu rechnen und nicht blos bei der Masse. Ein ergötzliches Beispiel ist die Studentenadresse der Märztage. In einer Kneipe der Alservorstadt wurde sie angeregt. Als es zur Abfassung kommen sollte, konnten die Vernünftigeren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/471>, abgerufen am 15.01.2025.