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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Form der hebräischen Poesie, die freie Gliederung der Rede in rhythmisch
Parallelen Reihen, deren Darstellung uns hier zu weit führen würde, bedient sich
aber hier noch größerer Freiheit, als die eigentliche Poesie, und verwendet durch-
gehends längere Redeglicder. Zuweilen, jedoch nicht sehr häusig, gruppiren sich
die Verse wieder zu Strophen. Der Bilderreichthum, der poetische Schwung
ist der prophetischen Rede bis in die spätere Zeit gewiß immer eigenthümlich
gewesen. Schon von dieser formellen Seite, selbst abgesehen vom Inhalt, sind
manche Prophetien, z. B. die des Joel und Jesaia, wahre Meisterwerke. Zu¬
weilen werden die Propheten ganz Geist, z. B. Habal'ut 3, und selbst Jeremia
hier und da, während anderseits in den poetischen Büchern, wie den Psalmen,
bisweilen Stücke hervortreten, welche sich der prophetischen Redeweise nähern.
Die poetische Form und der ganze Schwung der Rede tritt mit der Zeit mehr
und mehr zurück. Bei Ezechiel und selbst vel Jeremia ist manches ganz pro¬
saisch ausgedrückt; aus dem Ende des Exils haben wir noch einige prophetische
Stücke von großer Schönheit, aber dann hört die Kunstform ganz auf, da auch
der alte Geist erloschen ist.

Die ältern Propheten drücken sich im Ganzen kürzer, gedrungener, schwerer
aus. als die spätern, welche, auch wo sie der poetischen Redeweise treu bleiben,
doch leichter, gedehnter und flüssiger schreiben. Dieselbe Entwicklung des Stils
^igt sich im Ganzen auch in der eigentlichen Poesie der Hebräer. Im Ganzen
überragen die Propheten der ältern Zeit die der spätern an Kunst der Rede
bedeutend, doch gilt das nicht durchgängig, wie man z. B. nicht verkennen kann,
daß der alte Prophet Hosea kein gewandter Stilist ist und Mühe hat, seinen
Gedanken einen zweckmäßigen Ausdruck zu geben.

Wie der Begriff des literarischen Eigenthums den Hebräern überhaupt ziem-
^es fremd war, so benutzen auch die Propheten häusig die Reden ihrer Bor¬
gänger mehr oder weniger wörtlich. Ganze Stellen werden citirt (z. B. Ich.
16 und 16 eine lange von ihm schon als alt bezeichnete Prophetie über Moab),
°der ohne weiteres den eignen Reden einverleibt, als wären sie eignes Gut.
Namentlich bei Reden über fremde Völker geschah dies häufig. So sehen wir
eine ältere Prophetenrede über die Edomiter einerseits bei Jer. 49, anderseits
bei Obadja benutzt. Schon Amos (1, 21) eröffnet sein Buch mit einem Spruch'
Joel (4, 16), und Jesaia beginnt eine Rede mit einer Stelle aus einem
"leer Propheten, welche außer ihm auch Micha benutzt (Ich. 22 ff. Micha
4' 1 ff-).

Die Propheten haben es zum Theil nicht verschmäht, den Sinn ihrer
Reden durch historische Zusätze zu erläutern, welche die Veranlassung jener oder
^ Erzählung von Ereignissen enthalten, welche sich begaben, als sie dieselben
zuerst mündlich vortrugen. Solche Zusätze finden wir bei Amos, Jesaia und
^sonders bei Jeremia. Davon sind natürlich streng zu unterscheiden die ge-


Grenzvoten III. 18os. 69

Form der hebräischen Poesie, die freie Gliederung der Rede in rhythmisch
Parallelen Reihen, deren Darstellung uns hier zu weit führen würde, bedient sich
aber hier noch größerer Freiheit, als die eigentliche Poesie, und verwendet durch-
gehends längere Redeglicder. Zuweilen, jedoch nicht sehr häusig, gruppiren sich
die Verse wieder zu Strophen. Der Bilderreichthum, der poetische Schwung
ist der prophetischen Rede bis in die spätere Zeit gewiß immer eigenthümlich
gewesen. Schon von dieser formellen Seite, selbst abgesehen vom Inhalt, sind
manche Prophetien, z. B. die des Joel und Jesaia, wahre Meisterwerke. Zu¬
weilen werden die Propheten ganz Geist, z. B. Habal'ut 3, und selbst Jeremia
hier und da, während anderseits in den poetischen Büchern, wie den Psalmen,
bisweilen Stücke hervortreten, welche sich der prophetischen Redeweise nähern.
Die poetische Form und der ganze Schwung der Rede tritt mit der Zeit mehr
und mehr zurück. Bei Ezechiel und selbst vel Jeremia ist manches ganz pro¬
saisch ausgedrückt; aus dem Ende des Exils haben wir noch einige prophetische
Stücke von großer Schönheit, aber dann hört die Kunstform ganz auf, da auch
der alte Geist erloschen ist.

Die ältern Propheten drücken sich im Ganzen kürzer, gedrungener, schwerer
aus. als die spätern, welche, auch wo sie der poetischen Redeweise treu bleiben,
doch leichter, gedehnter und flüssiger schreiben. Dieselbe Entwicklung des Stils
^igt sich im Ganzen auch in der eigentlichen Poesie der Hebräer. Im Ganzen
überragen die Propheten der ältern Zeit die der spätern an Kunst der Rede
bedeutend, doch gilt das nicht durchgängig, wie man z. B. nicht verkennen kann,
daß der alte Prophet Hosea kein gewandter Stilist ist und Mühe hat, seinen
Gedanken einen zweckmäßigen Ausdruck zu geben.

Wie der Begriff des literarischen Eigenthums den Hebräern überhaupt ziem-
^es fremd war, so benutzen auch die Propheten häusig die Reden ihrer Bor¬
gänger mehr oder weniger wörtlich. Ganze Stellen werden citirt (z. B. Ich.
16 und 16 eine lange von ihm schon als alt bezeichnete Prophetie über Moab),
°der ohne weiteres den eignen Reden einverleibt, als wären sie eignes Gut.
Namentlich bei Reden über fremde Völker geschah dies häufig. So sehen wir
eine ältere Prophetenrede über die Edomiter einerseits bei Jer. 49, anderseits
bei Obadja benutzt. Schon Amos (1, 21) eröffnet sein Buch mit einem Spruch'
Joel (4, 16), und Jesaia beginnt eine Rede mit einer Stelle aus einem
"leer Propheten, welche außer ihm auch Micha benutzt (Ich. 22 ff. Micha
4' 1 ff-).

Die Propheten haben es zum Theil nicht verschmäht, den Sinn ihrer
Reden durch historische Zusätze zu erläutern, welche die Veranlassung jener oder
^ Erzählung von Ereignissen enthalten, welche sich begaben, als sie dieselben
zuerst mündlich vortrugen. Solche Zusätze finden wir bei Amos, Jesaia und
^sonders bei Jeremia. Davon sind natürlich streng zu unterscheiden die ge-


Grenzvoten III. 18os. 69
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[0451] Form der hebräischen Poesie, die freie Gliederung der Rede in rhythmisch Parallelen Reihen, deren Darstellung uns hier zu weit führen würde, bedient sich aber hier noch größerer Freiheit, als die eigentliche Poesie, und verwendet durch- gehends längere Redeglicder. Zuweilen, jedoch nicht sehr häusig, gruppiren sich die Verse wieder zu Strophen. Der Bilderreichthum, der poetische Schwung ist der prophetischen Rede bis in die spätere Zeit gewiß immer eigenthümlich gewesen. Schon von dieser formellen Seite, selbst abgesehen vom Inhalt, sind manche Prophetien, z. B. die des Joel und Jesaia, wahre Meisterwerke. Zu¬ weilen werden die Propheten ganz Geist, z. B. Habal'ut 3, und selbst Jeremia hier und da, während anderseits in den poetischen Büchern, wie den Psalmen, bisweilen Stücke hervortreten, welche sich der prophetischen Redeweise nähern. Die poetische Form und der ganze Schwung der Rede tritt mit der Zeit mehr und mehr zurück. Bei Ezechiel und selbst vel Jeremia ist manches ganz pro¬ saisch ausgedrückt; aus dem Ende des Exils haben wir noch einige prophetische Stücke von großer Schönheit, aber dann hört die Kunstform ganz auf, da auch der alte Geist erloschen ist. Die ältern Propheten drücken sich im Ganzen kürzer, gedrungener, schwerer aus. als die spätern, welche, auch wo sie der poetischen Redeweise treu bleiben, doch leichter, gedehnter und flüssiger schreiben. Dieselbe Entwicklung des Stils ^igt sich im Ganzen auch in der eigentlichen Poesie der Hebräer. Im Ganzen überragen die Propheten der ältern Zeit die der spätern an Kunst der Rede bedeutend, doch gilt das nicht durchgängig, wie man z. B. nicht verkennen kann, daß der alte Prophet Hosea kein gewandter Stilist ist und Mühe hat, seinen Gedanken einen zweckmäßigen Ausdruck zu geben. Wie der Begriff des literarischen Eigenthums den Hebräern überhaupt ziem- ^es fremd war, so benutzen auch die Propheten häusig die Reden ihrer Bor¬ gänger mehr oder weniger wörtlich. Ganze Stellen werden citirt (z. B. Ich. 16 und 16 eine lange von ihm schon als alt bezeichnete Prophetie über Moab), °der ohne weiteres den eignen Reden einverleibt, als wären sie eignes Gut. Namentlich bei Reden über fremde Völker geschah dies häufig. So sehen wir eine ältere Prophetenrede über die Edomiter einerseits bei Jer. 49, anderseits bei Obadja benutzt. Schon Amos (1, 21) eröffnet sein Buch mit einem Spruch' Joel (4, 16), und Jesaia beginnt eine Rede mit einer Stelle aus einem "leer Propheten, welche außer ihm auch Micha benutzt (Ich. 22 ff. Micha 4' 1 ff-). Die Propheten haben es zum Theil nicht verschmäht, den Sinn ihrer Reden durch historische Zusätze zu erläutern, welche die Veranlassung jener oder ^ Erzählung von Ereignissen enthalten, welche sich begaben, als sie dieselben zuerst mündlich vortrugen. Solche Zusätze finden wir bei Amos, Jesaia und ^sonders bei Jeremia. Davon sind natürlich streng zu unterscheiden die ge- Grenzvoten III. 18os. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/451>, abgerufen am 15.01.2025.