Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Propheten war so wenig an eine bestimmte Kunstform gebunden, daß sie sogar Natürlich mußte bei einem wahren Propheten das ganze Leben mit seinen Der mündliche Vortrag ist bei den Propheten natürlich das Ursprüngliche, Oft mag der Prophet allerdings seine Reden sofort aufgeschrieben oder Die Kunstform, welche fast von allen Propheten mehr oder weniger be¬ Propheten war so wenig an eine bestimmte Kunstform gebunden, daß sie sogar Natürlich mußte bei einem wahren Propheten das ganze Leben mit seinen Der mündliche Vortrag ist bei den Propheten natürlich das Ursprüngliche, Oft mag der Prophet allerdings seine Reden sofort aufgeschrieben oder Die Kunstform, welche fast von allen Propheten mehr oder weniger be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283803"/> <p xml:id="ID_1288" prev="#ID_1287"> Propheten war so wenig an eine bestimmte Kunstform gebunden, daß sie sogar<lb/> auf erhobene Einwände unmittelbar antworteten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1289"> Natürlich mußte bei einem wahren Propheten das ganze Leben mit seinen<lb/> Gedanken und Lehren im Einklang stehen. Selbst in Äußerlichkeiten drücken<lb/> sie aus, was sie beseelt. Jesaia giebt seinen Kindern Namen, welche seine<lb/> Grundgedanken aussprechen, und oft geben sie ihren Ankündigungen durch be¬<lb/> gleitende ausdrucksvolle Handlungen mehr Nachdruck. Dies sind die symbolischen<lb/> Handlungen, deren Schilderung in unserer jetzigen prophetischen Literatur aller¬<lb/> dings zuweilen blos eine schriftstellerische Einkleidung ist (z. B. Jer. 13).</p><lb/> <p xml:id="ID_1290"> Der mündliche Vortrag ist bei den Propheten natürlich das Ursprüngliche,<lb/> aber schon sehr früh singen sie an, diesem durch schriftliche Aufzeichnung weitere<lb/> Verbreitung und Wirksamkeit zu verschaffen. Die ältesten Propheten, von<lb/> denen wir vollständige Stücke haben, leben ums Jahr 800 vor Chr. Geb., und<lb/> in den geschichtlichen Büchern sind uns einzelne prophetische Aussprüche in<lb/> ziemlich authentischer Weise aus noch früherer Zeit erhalten (z. B. 1 Kön. 22,<lb/> 19 ff.). Natürlich sind die Auszeichnungen der prophetischen Reden nicht steno¬<lb/> graphische Berichte, sondern mehr oder weniger freie Reproductionen des früher<lb/> Gesprochenen. Wenn Jeremia nach seiner eigenen Angabe seine prophetischen<lb/> Reden im fünften Jahre des Königs Jojakim wiederherstellt, nachdem dieser die<lb/> kurz vorher (lange Jahre nach dem ersten Auftreten des Propheten) veranstaltete<lb/> erste Sammlung hatte verbrennen lassen (Jer. 36), so ist an eine wörtliche<lb/> Wiederherstellung nicht zu denken. So erklärt es sich, daß zuweilen in den<lb/> uns vorliegenden prophetischen Reden auf Dinge Rücksicht genommen ist. die<lb/> zur Zeit, wo sie gehalten wurden, noch nicht bekannt sein konnten; die schrift¬<lb/> liche Aufzeichnung hat hier nachträglich die spätern Umstände mit berücksichtigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1291"> Oft mag der Prophet allerdings seine Reden sofort aufgeschrieben oder<lb/> dictirt haben, aber oft vergingen Jahre zwischen dem Halten und dem Nieder¬<lb/> schreiben. secundär ist es, die Reden gar nicht zu halten, sondern blos nieder¬<lb/> zuschreiben, obgleich dies schon in alter Zeit einzeln vorgekommen sein wird.<lb/> Namentlich bei prophetischen Aussprüchen über fremde Völker, an die man sich<lb/> doch nicht unmittelbar mit der Rede wenden konnte, scheint die blos schriftliche<lb/> Abfassung Regel gewesen zu sein, aber auch sonst möchte ich selbst bei Jesaia<lb/> manche Reden als rein schriftstellerische Producte ansehen, während sich bei andern<lb/> wieder deutlich ersehen läßt, daß und unter welchen Umständen sie vorher ge¬<lb/> halten sind. Einige spätere Propheten sind ganz Schriftsteller, wie z. B. Ezechiel,<lb/> während sich wiederum bei den spätesten Propheten deutliche Spuren einer lebe^<lb/> tigem Wirksamkeit durch mündliche Rede nachweisen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1292" next="#ID_1293"> Die Kunstform, welche fast von allen Propheten mehr oder weniger be¬<lb/> obachtet wird, ist gewiß bei der mündlichen Rede nicht so stark hervorgetreten,<lb/> wie bei der schriftlichen Aufzeichnung. Sie lehnt sich an die eigenthümliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
Propheten war so wenig an eine bestimmte Kunstform gebunden, daß sie sogar
auf erhobene Einwände unmittelbar antworteten.
Natürlich mußte bei einem wahren Propheten das ganze Leben mit seinen
Gedanken und Lehren im Einklang stehen. Selbst in Äußerlichkeiten drücken
sie aus, was sie beseelt. Jesaia giebt seinen Kindern Namen, welche seine
Grundgedanken aussprechen, und oft geben sie ihren Ankündigungen durch be¬
gleitende ausdrucksvolle Handlungen mehr Nachdruck. Dies sind die symbolischen
Handlungen, deren Schilderung in unserer jetzigen prophetischen Literatur aller¬
dings zuweilen blos eine schriftstellerische Einkleidung ist (z. B. Jer. 13).
Der mündliche Vortrag ist bei den Propheten natürlich das Ursprüngliche,
aber schon sehr früh singen sie an, diesem durch schriftliche Aufzeichnung weitere
Verbreitung und Wirksamkeit zu verschaffen. Die ältesten Propheten, von
denen wir vollständige Stücke haben, leben ums Jahr 800 vor Chr. Geb., und
in den geschichtlichen Büchern sind uns einzelne prophetische Aussprüche in
ziemlich authentischer Weise aus noch früherer Zeit erhalten (z. B. 1 Kön. 22,
19 ff.). Natürlich sind die Auszeichnungen der prophetischen Reden nicht steno¬
graphische Berichte, sondern mehr oder weniger freie Reproductionen des früher
Gesprochenen. Wenn Jeremia nach seiner eigenen Angabe seine prophetischen
Reden im fünften Jahre des Königs Jojakim wiederherstellt, nachdem dieser die
kurz vorher (lange Jahre nach dem ersten Auftreten des Propheten) veranstaltete
erste Sammlung hatte verbrennen lassen (Jer. 36), so ist an eine wörtliche
Wiederherstellung nicht zu denken. So erklärt es sich, daß zuweilen in den
uns vorliegenden prophetischen Reden auf Dinge Rücksicht genommen ist. die
zur Zeit, wo sie gehalten wurden, noch nicht bekannt sein konnten; die schrift¬
liche Aufzeichnung hat hier nachträglich die spätern Umstände mit berücksichtigt.
Oft mag der Prophet allerdings seine Reden sofort aufgeschrieben oder
dictirt haben, aber oft vergingen Jahre zwischen dem Halten und dem Nieder¬
schreiben. secundär ist es, die Reden gar nicht zu halten, sondern blos nieder¬
zuschreiben, obgleich dies schon in alter Zeit einzeln vorgekommen sein wird.
Namentlich bei prophetischen Aussprüchen über fremde Völker, an die man sich
doch nicht unmittelbar mit der Rede wenden konnte, scheint die blos schriftliche
Abfassung Regel gewesen zu sein, aber auch sonst möchte ich selbst bei Jesaia
manche Reden als rein schriftstellerische Producte ansehen, während sich bei andern
wieder deutlich ersehen läßt, daß und unter welchen Umständen sie vorher ge¬
halten sind. Einige spätere Propheten sind ganz Schriftsteller, wie z. B. Ezechiel,
während sich wiederum bei den spätesten Propheten deutliche Spuren einer lebe^
tigem Wirksamkeit durch mündliche Rede nachweisen lassen.
Die Kunstform, welche fast von allen Propheten mehr oder weniger be¬
obachtet wird, ist gewiß bei der mündlichen Rede nicht so stark hervorgetreten,
wie bei der schriftlichen Aufzeichnung. Sie lehnt sich an die eigenthümliche
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