Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sie bisweilen auch miteinander in Verwicklungen geriethen. Da war jeder von
seiner Wahrheit überzeugt und der andere ein falscher Prophet. Allein die
großen Grundgedanken, welche allen gemeinschaftlich waren, ließen doch solche
Conflicte nicht häufig hervortreten, und wo die Rede von Pseudoprvpheten
'se, haben wir meist eine bloße Ausartung, eine Anwendung prophetischer Art
und Rede zu selbstsüchtigen Zwecken anzunehmen. So haben wir auch die
Propheten anzusehen, gegen deren unsittliches Leben Jesaia und andere eifern.
Die Äußerlichkeiten des Prophetenthums konnten sich auch Unberufene
leicht aneignen, ohne doch von seinem wahren Wesen etwas an sich zu
haben.

Auch Propheten der fremden Götter, besonders des Baal, werden im Alten
Testament erwähnt. So viel Achnlichkeit diese mit den hebräischen Propheten
haben mochten, so haben wir ihnen doch allen höheren Werth abzusprechen, da
den Religionen der Nachbarvölker Israels ethische Grundsätze fehlten. Die
Macht des sittlichen Ernstes, welche den hebräischen Propheten antrieb, selbst sein
Leben in die Schanze zu schlagen, wenn Gott, d. i. sein Gewissen, ihn rief,
konnte unmöglich ein Verehrer des Baal und der Astarte fühlen.

Die Lehr- und Wirkungsart der Propheten war jedenfalls sehr mannigfach.
Sie äußerten sich bald in schlichtem Vortrag, bald in erregter Rede. Wenn,
">le das Alte Testament es ausdrückt, die Hand Gottes über sie kam, der Geist
Lottes sie bedeckte, so mochten sie wohl oft selbst ihrer nicht mehr mächtig sein;
entschleierten Auge des Sehers zeigten sich im Moment der höchsten Er¬
legung die Gestalten der geheimsten Dinge leibhaftig. Wenn er so in der
süßem Begeisterung sprach, oder später seine in diesem Zustand gesehenen
Visionen schilderte, mögen die Zuhörer oft Mühe gehabt haben, sich den Sinn
Reden zurecht zu legen. Bei den uns erhaltenen Schilderungen der Visto-
ist aber nicht zu verkennen, daß diese nie blos das im Geist Geschaute
^"fach wiedergeben, sondern daß sie stets reflectirte poetische Ausmalungen sind,
^ Ma Theil geradezu auf Reflexion beruhen. So läuft schon bei einem der
^sten uns erhaltenen Propheten, bei Amos, eine Vision auf ein Wortspiel
h'naus (8, 1. 2.), und die seltsamen Gesichte des Ezechiel sind sämmtlich Pro-
"ete kalter Reflexion. Natürlich spiegeln diese Schilderungen aber einen Vor¬
zug wieder, der dem Geist der Propheten nicht fremd war. Doch unter allen
^ständen ist eine solche, immerhin unklare und nur subjectiv wahre Be¬
geisterung nicht das Höchste bei den Propheten; nicht durch sie sind sie die
^ger des religiösen Fortschritts in ihrem Volke geworden. Freilich mag bei
^ phantastischen Erregbarkeit >der Semiten und bei der Gewalt der religiösen
^danken auch der gewöhnliche Vortrag der Propheten etwas Leidenschaftliches,
"ruhiges an sich gehabt haben, aber von dieser Erregtheit bis zu jenem eigene-
'^n Enthusiasmus ist doch noch ein großer Schritt. Die öffentliche Rede der


sie bisweilen auch miteinander in Verwicklungen geriethen. Da war jeder von
seiner Wahrheit überzeugt und der andere ein falscher Prophet. Allein die
großen Grundgedanken, welche allen gemeinschaftlich waren, ließen doch solche
Conflicte nicht häufig hervortreten, und wo die Rede von Pseudoprvpheten
'se, haben wir meist eine bloße Ausartung, eine Anwendung prophetischer Art
und Rede zu selbstsüchtigen Zwecken anzunehmen. So haben wir auch die
Propheten anzusehen, gegen deren unsittliches Leben Jesaia und andere eifern.
Die Äußerlichkeiten des Prophetenthums konnten sich auch Unberufene
leicht aneignen, ohne doch von seinem wahren Wesen etwas an sich zu
haben.

Auch Propheten der fremden Götter, besonders des Baal, werden im Alten
Testament erwähnt. So viel Achnlichkeit diese mit den hebräischen Propheten
haben mochten, so haben wir ihnen doch allen höheren Werth abzusprechen, da
den Religionen der Nachbarvölker Israels ethische Grundsätze fehlten. Die
Macht des sittlichen Ernstes, welche den hebräischen Propheten antrieb, selbst sein
Leben in die Schanze zu schlagen, wenn Gott, d. i. sein Gewissen, ihn rief,
konnte unmöglich ein Verehrer des Baal und der Astarte fühlen.

Die Lehr- und Wirkungsart der Propheten war jedenfalls sehr mannigfach.
Sie äußerten sich bald in schlichtem Vortrag, bald in erregter Rede. Wenn,
">le das Alte Testament es ausdrückt, die Hand Gottes über sie kam, der Geist
Lottes sie bedeckte, so mochten sie wohl oft selbst ihrer nicht mehr mächtig sein;
entschleierten Auge des Sehers zeigten sich im Moment der höchsten Er¬
legung die Gestalten der geheimsten Dinge leibhaftig. Wenn er so in der
süßem Begeisterung sprach, oder später seine in diesem Zustand gesehenen
Visionen schilderte, mögen die Zuhörer oft Mühe gehabt haben, sich den Sinn
Reden zurecht zu legen. Bei den uns erhaltenen Schilderungen der Visto-
ist aber nicht zu verkennen, daß diese nie blos das im Geist Geschaute
^"fach wiedergeben, sondern daß sie stets reflectirte poetische Ausmalungen sind,
^ Ma Theil geradezu auf Reflexion beruhen. So läuft schon bei einem der
^sten uns erhaltenen Propheten, bei Amos, eine Vision auf ein Wortspiel
h'naus (8, 1. 2.), und die seltsamen Gesichte des Ezechiel sind sämmtlich Pro-
"ete kalter Reflexion. Natürlich spiegeln diese Schilderungen aber einen Vor¬
zug wieder, der dem Geist der Propheten nicht fremd war. Doch unter allen
^ständen ist eine solche, immerhin unklare und nur subjectiv wahre Be¬
geisterung nicht das Höchste bei den Propheten; nicht durch sie sind sie die
^ger des religiösen Fortschritts in ihrem Volke geworden. Freilich mag bei
^ phantastischen Erregbarkeit >der Semiten und bei der Gewalt der religiösen
^danken auch der gewöhnliche Vortrag der Propheten etwas Leidenschaftliches,
"ruhiges an sich gehabt haben, aber von dieser Erregtheit bis zu jenem eigene-
'^n Enthusiasmus ist doch noch ein großer Schritt. Die öffentliche Rede der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0449" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283802"/>
          <p xml:id="ID_1285" prev="#ID_1284"> sie bisweilen auch miteinander in Verwicklungen geriethen. Da war jeder von<lb/>
seiner Wahrheit überzeugt und der andere ein falscher Prophet. Allein die<lb/>
großen Grundgedanken, welche allen gemeinschaftlich waren, ließen doch solche<lb/>
Conflicte nicht häufig hervortreten, und wo die Rede von Pseudoprvpheten<lb/>
'se, haben wir meist eine bloße Ausartung, eine Anwendung prophetischer Art<lb/>
und Rede zu selbstsüchtigen Zwecken anzunehmen. So haben wir auch die<lb/>
Propheten anzusehen, gegen deren unsittliches Leben Jesaia und andere eifern.<lb/>
Die Äußerlichkeiten des Prophetenthums konnten sich auch Unberufene<lb/>
leicht aneignen, ohne doch von seinem wahren Wesen etwas an sich zu<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1286"> Auch Propheten der fremden Götter, besonders des Baal, werden im Alten<lb/>
Testament erwähnt. So viel Achnlichkeit diese mit den hebräischen Propheten<lb/>
haben mochten, so haben wir ihnen doch allen höheren Werth abzusprechen, da<lb/>
den Religionen der Nachbarvölker Israels ethische Grundsätze fehlten. Die<lb/>
Macht des sittlichen Ernstes, welche den hebräischen Propheten antrieb, selbst sein<lb/>
Leben in die Schanze zu schlagen, wenn Gott, d. i. sein Gewissen, ihn rief,<lb/>
konnte unmöglich ein Verehrer des Baal und der Astarte fühlen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1287" next="#ID_1288"> Die Lehr- und Wirkungsart der Propheten war jedenfalls sehr mannigfach.<lb/>
Sie äußerten sich bald in schlichtem Vortrag, bald in erregter Rede. Wenn,<lb/>
"&gt;le das Alte Testament es ausdrückt, die Hand Gottes über sie kam, der Geist<lb/>
Lottes sie bedeckte, so mochten sie wohl oft selbst ihrer nicht mehr mächtig sein;<lb/>
entschleierten Auge des Sehers zeigten sich im Moment der höchsten Er¬<lb/>
legung die Gestalten der geheimsten Dinge leibhaftig. Wenn er so in der<lb/>
süßem Begeisterung sprach, oder später seine in diesem Zustand gesehenen<lb/>
Visionen schilderte, mögen die Zuhörer oft Mühe gehabt haben, sich den Sinn<lb/>
Reden zurecht zu legen. Bei den uns erhaltenen Schilderungen der Visto-<lb/>
ist aber nicht zu verkennen, daß diese nie blos das im Geist Geschaute<lb/>
^"fach wiedergeben, sondern daß sie stets reflectirte poetische Ausmalungen sind,<lb/>
^ Ma Theil geradezu auf Reflexion beruhen. So läuft schon bei einem der<lb/>
^sten uns erhaltenen Propheten, bei Amos, eine Vision auf ein Wortspiel<lb/>
h'naus (8, 1. 2.), und die seltsamen Gesichte des Ezechiel sind sämmtlich Pro-<lb/>
"ete kalter Reflexion. Natürlich spiegeln diese Schilderungen aber einen Vor¬<lb/>
zug wieder, der dem Geist der Propheten nicht fremd war. Doch unter allen<lb/>
^ständen ist eine solche, immerhin unklare und nur subjectiv wahre Be¬<lb/>
geisterung nicht das Höchste bei den Propheten; nicht durch sie sind sie die<lb/>
^ger des religiösen Fortschritts in ihrem Volke geworden. Freilich mag bei<lb/>
^ phantastischen Erregbarkeit &gt;der Semiten und bei der Gewalt der religiösen<lb/>
^danken auch der gewöhnliche Vortrag der Propheten etwas Leidenschaftliches,<lb/>
"ruhiges an sich gehabt haben, aber von dieser Erregtheit bis zu jenem eigene-<lb/>
'^n Enthusiasmus ist doch noch ein großer Schritt. Die öffentliche Rede der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0449] sie bisweilen auch miteinander in Verwicklungen geriethen. Da war jeder von seiner Wahrheit überzeugt und der andere ein falscher Prophet. Allein die großen Grundgedanken, welche allen gemeinschaftlich waren, ließen doch solche Conflicte nicht häufig hervortreten, und wo die Rede von Pseudoprvpheten 'se, haben wir meist eine bloße Ausartung, eine Anwendung prophetischer Art und Rede zu selbstsüchtigen Zwecken anzunehmen. So haben wir auch die Propheten anzusehen, gegen deren unsittliches Leben Jesaia und andere eifern. Die Äußerlichkeiten des Prophetenthums konnten sich auch Unberufene leicht aneignen, ohne doch von seinem wahren Wesen etwas an sich zu haben. Auch Propheten der fremden Götter, besonders des Baal, werden im Alten Testament erwähnt. So viel Achnlichkeit diese mit den hebräischen Propheten haben mochten, so haben wir ihnen doch allen höheren Werth abzusprechen, da den Religionen der Nachbarvölker Israels ethische Grundsätze fehlten. Die Macht des sittlichen Ernstes, welche den hebräischen Propheten antrieb, selbst sein Leben in die Schanze zu schlagen, wenn Gott, d. i. sein Gewissen, ihn rief, konnte unmöglich ein Verehrer des Baal und der Astarte fühlen. Die Lehr- und Wirkungsart der Propheten war jedenfalls sehr mannigfach. Sie äußerten sich bald in schlichtem Vortrag, bald in erregter Rede. Wenn, ">le das Alte Testament es ausdrückt, die Hand Gottes über sie kam, der Geist Lottes sie bedeckte, so mochten sie wohl oft selbst ihrer nicht mehr mächtig sein; entschleierten Auge des Sehers zeigten sich im Moment der höchsten Er¬ legung die Gestalten der geheimsten Dinge leibhaftig. Wenn er so in der süßem Begeisterung sprach, oder später seine in diesem Zustand gesehenen Visionen schilderte, mögen die Zuhörer oft Mühe gehabt haben, sich den Sinn Reden zurecht zu legen. Bei den uns erhaltenen Schilderungen der Visto- ist aber nicht zu verkennen, daß diese nie blos das im Geist Geschaute ^"fach wiedergeben, sondern daß sie stets reflectirte poetische Ausmalungen sind, ^ Ma Theil geradezu auf Reflexion beruhen. So läuft schon bei einem der ^sten uns erhaltenen Propheten, bei Amos, eine Vision auf ein Wortspiel h'naus (8, 1. 2.), und die seltsamen Gesichte des Ezechiel sind sämmtlich Pro- "ete kalter Reflexion. Natürlich spiegeln diese Schilderungen aber einen Vor¬ zug wieder, der dem Geist der Propheten nicht fremd war. Doch unter allen ^ständen ist eine solche, immerhin unklare und nur subjectiv wahre Be¬ geisterung nicht das Höchste bei den Propheten; nicht durch sie sind sie die ^ger des religiösen Fortschritts in ihrem Volke geworden. Freilich mag bei ^ phantastischen Erregbarkeit >der Semiten und bei der Gewalt der religiösen ^danken auch der gewöhnliche Vortrag der Propheten etwas Leidenschaftliches, "ruhiges an sich gehabt haben, aber von dieser Erregtheit bis zu jenem eigene- '^n Enthusiasmus ist doch noch ein großer Schritt. Die öffentliche Rede der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/449
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/449>, abgerufen am 15.01.2025.