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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Züchtigung der Feinde des Volks, an denen der Messias Rache üben soll, wie
einst David Israel an seinen Drängern blutig gerächt hatte.

Wir sehen, das nationale Moment war bei den Propheten noch sehr
mächtig. So zeigen sie denn dmchgchends einen glühenden Haß gegen die
feindlichen Völker, welche Israel an den Rand des Verderbens gebracht oder
ihm selbst seine Existenz als Volk genommen haben. Freilich wird auch hier
der blos nationale Eifer durch sittlich-religiöse Gedanken veredelt; in den Feinden
seines Volkes siebt der Prophet ja die Verehrer der Götzen, die Gegner der
strengen Sittlichkeit. Bei keinem Propheten tritt dies so klar hervor, wie bei
dem Verfasser von Ich. 40 --66. welcher wiederholt den Fall des verhaßten
Babels als die Niederlage des rohen Götzendienstes und der Sittenlosigkeit
auffaßt. Aber wenn auch manche Propheten über ihrer Zeit und über ihrem
Volk standen, ihre Anschauungen waren "doch durch ihre Zeit und ihren Ort
bedingt. Nur eine befangene Auffassung könnte ihnen aus dieser Beschränktheit
einen Vorwurf machen; wir werden uns vielmehr auch an ihrer patriotischen
Wärme erfreuen, die selbst bei denen hervortritt, die, wie Hosea und Jeremia,
Zunächst nur Unglück für Israel verkünden können.

So sehr die Gewalt des Gefühls und der Phantasie bei den Propheten
hervortritt, so ist doch die Reflexion durchaus nicht ausgeschlossen. Männer wie
Nathan und Jesaia besaßen gewiß große Welt- und Menschenkenntniß und
wußten diese wohl zu benutzen.

Was bei den Griechen die Volksführer im besten Sinn, das waren in
Israel die Propheten. Sie leiteten das Volk ohne alle öffentliche Autorität
durch die Gewalt ihrer Persönlichkeit und den Eindruck der heiligen Scheu,
den sie auf die Hörer machten. So waren sie die Sachwalter der Unterdrückten.
In Israel fehlte es so wenig, wie in irgendeinem andern Staat des Morgen-
landes. an Bedrückung durch weltliche und geistliche Machthaber, an Ungerech.
^keit und Käuflichkeit der Richter. Da war es nun für die untern Stände
hohem Grade wichtig, daß diese begeisterten Männer sich ihrer annahmen;
denn nicht eine äußerliche Gortesverehrung, sondern eine solche forderten diese
"ur mächtiger Stimme, welche sich im Leben durch strenge Gerechtigkeit und
Heiligkeit zeigt. Die gewaltigsten Strafreden der großen Propheten, namentlich
Jesaia. sind an die Vornehmen und Mächtigen gerichtet, welche das arme
^°ik mißhandeln und aussaugen; streng wird ihnen vorgehalten, daß es völlig
^el sei. solche Frevel durch Opfer und Festgcbrciuche sühnen zu wollen, statt
^res thätige Besserung.

Auch politisch werden die Propheten wichtig. Sie eifern für den Satz.
Israels Glück nur durch vollständigen Gehorsam gegen Gott zu erreichen
'se- daß der Ungehorsam sich am Volke schwer rächen muß. Dabei verwerfen
^ Von der Höhe der Idee aus alle Bündnisse mit fremden Völkern, alles


Züchtigung der Feinde des Volks, an denen der Messias Rache üben soll, wie
einst David Israel an seinen Drängern blutig gerächt hatte.

Wir sehen, das nationale Moment war bei den Propheten noch sehr
mächtig. So zeigen sie denn dmchgchends einen glühenden Haß gegen die
feindlichen Völker, welche Israel an den Rand des Verderbens gebracht oder
ihm selbst seine Existenz als Volk genommen haben. Freilich wird auch hier
der blos nationale Eifer durch sittlich-religiöse Gedanken veredelt; in den Feinden
seines Volkes siebt der Prophet ja die Verehrer der Götzen, die Gegner der
strengen Sittlichkeit. Bei keinem Propheten tritt dies so klar hervor, wie bei
dem Verfasser von Ich. 40 —66. welcher wiederholt den Fall des verhaßten
Babels als die Niederlage des rohen Götzendienstes und der Sittenlosigkeit
auffaßt. Aber wenn auch manche Propheten über ihrer Zeit und über ihrem
Volk standen, ihre Anschauungen waren «doch durch ihre Zeit und ihren Ort
bedingt. Nur eine befangene Auffassung könnte ihnen aus dieser Beschränktheit
einen Vorwurf machen; wir werden uns vielmehr auch an ihrer patriotischen
Wärme erfreuen, die selbst bei denen hervortritt, die, wie Hosea und Jeremia,
Zunächst nur Unglück für Israel verkünden können.

So sehr die Gewalt des Gefühls und der Phantasie bei den Propheten
hervortritt, so ist doch die Reflexion durchaus nicht ausgeschlossen. Männer wie
Nathan und Jesaia besaßen gewiß große Welt- und Menschenkenntniß und
wußten diese wohl zu benutzen.

Was bei den Griechen die Volksführer im besten Sinn, das waren in
Israel die Propheten. Sie leiteten das Volk ohne alle öffentliche Autorität
durch die Gewalt ihrer Persönlichkeit und den Eindruck der heiligen Scheu,
den sie auf die Hörer machten. So waren sie die Sachwalter der Unterdrückten.
In Israel fehlte es so wenig, wie in irgendeinem andern Staat des Morgen-
landes. an Bedrückung durch weltliche und geistliche Machthaber, an Ungerech.
^keit und Käuflichkeit der Richter. Da war es nun für die untern Stände
hohem Grade wichtig, daß diese begeisterten Männer sich ihrer annahmen;
denn nicht eine äußerliche Gortesverehrung, sondern eine solche forderten diese
"ur mächtiger Stimme, welche sich im Leben durch strenge Gerechtigkeit und
Heiligkeit zeigt. Die gewaltigsten Strafreden der großen Propheten, namentlich
Jesaia. sind an die Vornehmen und Mächtigen gerichtet, welche das arme
^°ik mißhandeln und aussaugen; streng wird ihnen vorgehalten, daß es völlig
^el sei. solche Frevel durch Opfer und Festgcbrciuche sühnen zu wollen, statt
^res thätige Besserung.

Auch politisch werden die Propheten wichtig. Sie eifern für den Satz.
Israels Glück nur durch vollständigen Gehorsam gegen Gott zu erreichen
'se- daß der Ungehorsam sich am Volke schwer rächen muß. Dabei verwerfen
^ Von der Höhe der Idee aus alle Bündnisse mit fremden Völkern, alles


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[0447] Züchtigung der Feinde des Volks, an denen der Messias Rache üben soll, wie einst David Israel an seinen Drängern blutig gerächt hatte. Wir sehen, das nationale Moment war bei den Propheten noch sehr mächtig. So zeigen sie denn dmchgchends einen glühenden Haß gegen die feindlichen Völker, welche Israel an den Rand des Verderbens gebracht oder ihm selbst seine Existenz als Volk genommen haben. Freilich wird auch hier der blos nationale Eifer durch sittlich-religiöse Gedanken veredelt; in den Feinden seines Volkes siebt der Prophet ja die Verehrer der Götzen, die Gegner der strengen Sittlichkeit. Bei keinem Propheten tritt dies so klar hervor, wie bei dem Verfasser von Ich. 40 —66. welcher wiederholt den Fall des verhaßten Babels als die Niederlage des rohen Götzendienstes und der Sittenlosigkeit auffaßt. Aber wenn auch manche Propheten über ihrer Zeit und über ihrem Volk standen, ihre Anschauungen waren «doch durch ihre Zeit und ihren Ort bedingt. Nur eine befangene Auffassung könnte ihnen aus dieser Beschränktheit einen Vorwurf machen; wir werden uns vielmehr auch an ihrer patriotischen Wärme erfreuen, die selbst bei denen hervortritt, die, wie Hosea und Jeremia, Zunächst nur Unglück für Israel verkünden können. So sehr die Gewalt des Gefühls und der Phantasie bei den Propheten hervortritt, so ist doch die Reflexion durchaus nicht ausgeschlossen. Männer wie Nathan und Jesaia besaßen gewiß große Welt- und Menschenkenntniß und wußten diese wohl zu benutzen. Was bei den Griechen die Volksführer im besten Sinn, das waren in Israel die Propheten. Sie leiteten das Volk ohne alle öffentliche Autorität durch die Gewalt ihrer Persönlichkeit und den Eindruck der heiligen Scheu, den sie auf die Hörer machten. So waren sie die Sachwalter der Unterdrückten. In Israel fehlte es so wenig, wie in irgendeinem andern Staat des Morgen- landes. an Bedrückung durch weltliche und geistliche Machthaber, an Ungerech. ^keit und Käuflichkeit der Richter. Da war es nun für die untern Stände hohem Grade wichtig, daß diese begeisterten Männer sich ihrer annahmen; denn nicht eine äußerliche Gortesverehrung, sondern eine solche forderten diese "ur mächtiger Stimme, welche sich im Leben durch strenge Gerechtigkeit und Heiligkeit zeigt. Die gewaltigsten Strafreden der großen Propheten, namentlich Jesaia. sind an die Vornehmen und Mächtigen gerichtet, welche das arme ^°ik mißhandeln und aussaugen; streng wird ihnen vorgehalten, daß es völlig ^el sei. solche Frevel durch Opfer und Festgcbrciuche sühnen zu wollen, statt ^res thätige Besserung. Auch politisch werden die Propheten wichtig. Sie eifern für den Satz. Israels Glück nur durch vollständigen Gehorsam gegen Gott zu erreichen 'se- daß der Ungehorsam sich am Volke schwer rächen muß. Dabei verwerfen ^ Von der Höhe der Idee aus alle Bündnisse mit fremden Völkern, alles

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/447>, abgerufen am 15.01.2025.