sollten also das ersehnte Heil noch entbehren. Wie lange haben aber freilich noch nach Ablauf dieser 70 Jahre die Frommen vergeblich nach dem Ende des Elends geschmachtet! ^
Eine Zeit der Erlösung vom Jammer der jetzigen Welt erwarten alle Propheten für Israel oder vielmehr für den wahren Kern Israels, die Frommen. Aber diese Erwartungen drücken sich sehr verschieden aus. Während einige Propheten nur ganz schlicht von einem Siege der Guten, einem ewigen Glück der Gerechten sprechen, malen andere diese Hoffnungen weiter aus und schildern uns ein dann erstehendes ideales Reich oder eine von allen Mängeln befreite Natur. Das Elend des kleinen Volkes, das so oft der Spielball mächtiger oder wenigstens energischer und kriegerischer Nachbaren war, erhält in diesen Schilderungen ein Gegenbild. Mit Begeisterung verweilt die Erinnerung auf der kurzen Zeit, in der das noch in sich einige Israel mächtig gewesen war und weithin die fremden Völker unterworfen hatte. Je weiter man sich von Davids Zeit entfernte, desto idealer wurde die Auffassung seines Reiches, und dieser Idealismus spiegelte sich in dem gehofften Zukunftsreiche wieder. Von selbst war damit die Idee eines neuen idealen Königs*), eines zweiten, aber vollkommneren David gegeben, der diesem Reiche der Seligkeit vorstehen sollte. Man knüpfte wohl auch unmittelbar an David und das von ihm gegründete, geweihte Herrschergeschlecht an, indem man jenen König aus diesem hervorgehen und aus seiner Stadt stammen ließ. Aber in dem Allen war kein System, wie es die Aengstlichkeit späterer Jahrhunderte aufgefaßt und selbst in das Leben des geschichtlichen Jesu von Nazareth übertragen hat. Bei demselben Propheten weichen die verschiedenen Schilderungen dieses Reiches von einander stark ab; einige Propheten erwähnen den einzelnen König gar nicht, bei andern tritt auch die Erwartung des neuen Reichs ganz zurück. Politisch sind diese Erwartungen entschieden, aber die Hauptsache ist doch das religiöse und sittliche Moment. Als Verehrer Gottes, die er erwählt hat, als Thäter seines Willens sollen die Gerechten Israels dieses Reiches theilhaftig werden, in welchem Gottes Gebote das alleinige Gesetz sein werden. Das Reich selbst soll eben ein Reich der Sittlichkeit und Religion werden; von einem solchen sind nach israelitischer Auffassung die Segnungen der Natur gar nicht getrennt zu denken. Man sieht auch hier überall die ethische Grundlage. Freilich erwarten alle Propheten das dereinstige Heil in irdischer Gestalt. Einige lassen auch die fremden Völker an den erwarteten Segnungen theilnehmen, nachdem sie bekehrt sind, aber wohl keiner hat sich die Errichtung des Reiches gedacht ohne vorhergehende scharfe
Später ward es gewöhnlich, diese" König den "Gesalbten". U-isvIiwI,, gracisirt Nos- "las, übersehe (An'istos, zu nennen; diese Benennung kommt im Alten Testament einigemal von einem irdischen, aber zufällig nie von diesem erwarteten idealen König vor.
sollten also das ersehnte Heil noch entbehren. Wie lange haben aber freilich noch nach Ablauf dieser 70 Jahre die Frommen vergeblich nach dem Ende des Elends geschmachtet! ^
Eine Zeit der Erlösung vom Jammer der jetzigen Welt erwarten alle Propheten für Israel oder vielmehr für den wahren Kern Israels, die Frommen. Aber diese Erwartungen drücken sich sehr verschieden aus. Während einige Propheten nur ganz schlicht von einem Siege der Guten, einem ewigen Glück der Gerechten sprechen, malen andere diese Hoffnungen weiter aus und schildern uns ein dann erstehendes ideales Reich oder eine von allen Mängeln befreite Natur. Das Elend des kleinen Volkes, das so oft der Spielball mächtiger oder wenigstens energischer und kriegerischer Nachbaren war, erhält in diesen Schilderungen ein Gegenbild. Mit Begeisterung verweilt die Erinnerung auf der kurzen Zeit, in der das noch in sich einige Israel mächtig gewesen war und weithin die fremden Völker unterworfen hatte. Je weiter man sich von Davids Zeit entfernte, desto idealer wurde die Auffassung seines Reiches, und dieser Idealismus spiegelte sich in dem gehofften Zukunftsreiche wieder. Von selbst war damit die Idee eines neuen idealen Königs*), eines zweiten, aber vollkommneren David gegeben, der diesem Reiche der Seligkeit vorstehen sollte. Man knüpfte wohl auch unmittelbar an David und das von ihm gegründete, geweihte Herrschergeschlecht an, indem man jenen König aus diesem hervorgehen und aus seiner Stadt stammen ließ. Aber in dem Allen war kein System, wie es die Aengstlichkeit späterer Jahrhunderte aufgefaßt und selbst in das Leben des geschichtlichen Jesu von Nazareth übertragen hat. Bei demselben Propheten weichen die verschiedenen Schilderungen dieses Reiches von einander stark ab; einige Propheten erwähnen den einzelnen König gar nicht, bei andern tritt auch die Erwartung des neuen Reichs ganz zurück. Politisch sind diese Erwartungen entschieden, aber die Hauptsache ist doch das religiöse und sittliche Moment. Als Verehrer Gottes, die er erwählt hat, als Thäter seines Willens sollen die Gerechten Israels dieses Reiches theilhaftig werden, in welchem Gottes Gebote das alleinige Gesetz sein werden. Das Reich selbst soll eben ein Reich der Sittlichkeit und Religion werden; von einem solchen sind nach israelitischer Auffassung die Segnungen der Natur gar nicht getrennt zu denken. Man sieht auch hier überall die ethische Grundlage. Freilich erwarten alle Propheten das dereinstige Heil in irdischer Gestalt. Einige lassen auch die fremden Völker an den erwarteten Segnungen theilnehmen, nachdem sie bekehrt sind, aber wohl keiner hat sich die Errichtung des Reiches gedacht ohne vorhergehende scharfe
Später ward es gewöhnlich, diese» König den „Gesalbten". U-isvIiwI,, gracisirt Nos- »las, übersehe (An'istos, zu nennen; diese Benennung kommt im Alten Testament einigemal von einem irdischen, aber zufällig nie von diesem erwarteten idealen König vor.
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[0446]
sollten also das ersehnte Heil noch entbehren. Wie lange haben aber freilich
noch nach Ablauf dieser 70 Jahre die Frommen vergeblich nach dem Ende des
Elends geschmachtet! ^
Eine Zeit der Erlösung vom Jammer der jetzigen Welt erwarten alle
Propheten für Israel oder vielmehr für den wahren Kern Israels, die Frommen.
Aber diese Erwartungen drücken sich sehr verschieden aus. Während einige
Propheten nur ganz schlicht von einem Siege der Guten, einem ewigen Glück
der Gerechten sprechen, malen andere diese Hoffnungen weiter aus und schildern
uns ein dann erstehendes ideales Reich oder eine von allen Mängeln befreite
Natur. Das Elend des kleinen Volkes, das so oft der Spielball mächtiger
oder wenigstens energischer und kriegerischer Nachbaren war, erhält in diesen
Schilderungen ein Gegenbild. Mit Begeisterung verweilt die Erinnerung auf
der kurzen Zeit, in der das noch in sich einige Israel mächtig gewesen war
und weithin die fremden Völker unterworfen hatte. Je weiter man sich von
Davids Zeit entfernte, desto idealer wurde die Auffassung seines Reiches, und
dieser Idealismus spiegelte sich in dem gehofften Zukunftsreiche wieder. Von
selbst war damit die Idee eines neuen idealen Königs*), eines zweiten, aber
vollkommneren David gegeben, der diesem Reiche der Seligkeit vorstehen sollte.
Man knüpfte wohl auch unmittelbar an David und das von ihm gegründete,
geweihte Herrschergeschlecht an, indem man jenen König aus diesem hervorgehen
und aus seiner Stadt stammen ließ. Aber in dem Allen war kein System,
wie es die Aengstlichkeit späterer Jahrhunderte aufgefaßt und selbst in das
Leben des geschichtlichen Jesu von Nazareth übertragen hat. Bei demselben
Propheten weichen die verschiedenen Schilderungen dieses Reiches von einander
stark ab; einige Propheten erwähnen den einzelnen König gar nicht, bei andern
tritt auch die Erwartung des neuen Reichs ganz zurück. Politisch sind diese
Erwartungen entschieden, aber die Hauptsache ist doch das religiöse und sittliche
Moment. Als Verehrer Gottes, die er erwählt hat, als Thäter seines Willens
sollen die Gerechten Israels dieses Reiches theilhaftig werden, in welchem Gottes
Gebote das alleinige Gesetz sein werden. Das Reich selbst soll eben ein Reich
der Sittlichkeit und Religion werden; von einem solchen sind nach israelitischer
Auffassung die Segnungen der Natur gar nicht getrennt zu denken. Man sieht
auch hier überall die ethische Grundlage. Freilich erwarten alle Propheten das
dereinstige Heil in irdischer Gestalt. Einige lassen auch die fremden Völker an
den erwarteten Segnungen theilnehmen, nachdem sie bekehrt sind, aber wohl
keiner hat sich die Errichtung des Reiches gedacht ohne vorhergehende scharfe
Später ward es gewöhnlich, diese» König den „Gesalbten". U-isvIiwI,, gracisirt Nos-
»las, übersehe (An'istos, zu nennen; diese Benennung kommt im Alten Testament einigemal
von einem irdischen, aber zufällig nie von diesem erwarteten idealen König vor.
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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/446>, abgerufen am 25.01.2025.
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