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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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fast gar nicht werben konnte und für seine Leute beinahe ausschließlich auf das
deutsche Ausland und in der Methode bei dem damals sehr fühlbar gewordnen
Mangel an tauglichen Subjecten vorzüglich auf Ueberlistung oder gewaltsame
Wegschleppung angewiesen war. Konnte Serenissimus sein auf solche Art zu¬
sammengeraubtes Regiment unter gehöriger Bewachung direct bis aus Meer
schaffen lassen, so erlitt er verhältnißmäßig geringe Verluste; ein langes Müßig¬
liegen in offnen Garnisonsorten dagegen oder ein Umweg durch fremdherrliche
Gebiete drohte mit massenhaftem Ausreißen der gewordenen Bursche. Noch vor
Weihnachten brach denn auch unter den Soldaten Meuterei aus. Ein paar
Dutzend zerbster Dragoner sollten Jnfanteristen werden, um das nach Amerika
bestimmte Regiment zu verstärken, nahmen das aber als Beleidigung auf und
hieben auf die Offiziere ein, die sich ihnen entgegenstellten; dann flohen die
meisten nach Kursachsen, wo natürlich niemand ihnen etwas anhatte. Bald
nachher machte sich sogar ein Leutnant mit seinem ganzen Commando von
fünfzig Mann davon und retirirte ebenfalls ins Sächsische.

Endlich war der Winter überstanden, und das Regiment trat, 841 Mann
stark, am 21. Februar 1778 seinen Marsch, wie die preußischen Minister höh¬
nisch gerathen, durch Thüringen, den Harz und Hannover nach Stade an. Als
es am nächsten Tage die Elbe erreicht, ließ der Oberst, ein Herr v. Nauschen-
p!alt, halten, die Zimmerleute mußten ihre Aexte in das Brückengeländer hauen,
und es wurde ein Kreis gebildet, in welchem der Commandeur die Kriegsartikel
"och einmal verlesen und dann beschwören ließ, worauf er eine geharnischte
^ete hielt, die jedem über Desertionsabsichten Ertappten die Kugel androhte.
Trotzdem suchten noch an demselben Tage der Negimentstambour, ein Feld¬
webel, ein Korporal und mehre Soldaten das Weite. Um das Betreten preu¬
ßischen Territoriums zu vermeiden, ging die Marschroute über Dessau, Merse-
°Arg, Weichlingen (Kursachsen). Greußcn (Sondershausen), Mühlhausen (damals
f>ele Reichsstadt). Duderstadt (Kurmainz), Einbeck (Hannover) und von da durch
^Unschweigisches Gebiet und wieder durch hannöversches nach Stade. Trotz
Engster Ueberwachung kamen noch tagtäglich Desertionen vor, da die Bauern
^" Entweichenden nach Kräften halfen und Gelegenheit sich zu salviren schafften,
und so mußte v. Rauschenplatt dem damals in Hannover weilenden Faucitt
°le betrübende Meldung machen, daß er in den ersten zehn Tagen durch De-
^lion nicht weniger als 334 Mann verloren habe, und am 21. März waren
^gar nur noch 494 Mann bei der Fahne.

Faucitt schrieb darüber an Suffolk und fragte, was da zu thun sei. Die
Antwort lautete, Faucitt solle die Reste der Zerbster sammt und sovderS wieder
^es Hause schicken, falls er nicht wenigstens ein Bataillon aus ihnen formiren
"Ule. Sogar die für sie bestimmten Transportschiffe wurden abbestellt. Es
traurig: per tot äiLN'unius, reruw schien der unglückliche Fürst am Ziel


fast gar nicht werben konnte und für seine Leute beinahe ausschließlich auf das
deutsche Ausland und in der Methode bei dem damals sehr fühlbar gewordnen
Mangel an tauglichen Subjecten vorzüglich auf Ueberlistung oder gewaltsame
Wegschleppung angewiesen war. Konnte Serenissimus sein auf solche Art zu¬
sammengeraubtes Regiment unter gehöriger Bewachung direct bis aus Meer
schaffen lassen, so erlitt er verhältnißmäßig geringe Verluste; ein langes Müßig¬
liegen in offnen Garnisonsorten dagegen oder ein Umweg durch fremdherrliche
Gebiete drohte mit massenhaftem Ausreißen der gewordenen Bursche. Noch vor
Weihnachten brach denn auch unter den Soldaten Meuterei aus. Ein paar
Dutzend zerbster Dragoner sollten Jnfanteristen werden, um das nach Amerika
bestimmte Regiment zu verstärken, nahmen das aber als Beleidigung auf und
hieben auf die Offiziere ein, die sich ihnen entgegenstellten; dann flohen die
meisten nach Kursachsen, wo natürlich niemand ihnen etwas anhatte. Bald
nachher machte sich sogar ein Leutnant mit seinem ganzen Commando von
fünfzig Mann davon und retirirte ebenfalls ins Sächsische.

Endlich war der Winter überstanden, und das Regiment trat, 841 Mann
stark, am 21. Februar 1778 seinen Marsch, wie die preußischen Minister höh¬
nisch gerathen, durch Thüringen, den Harz und Hannover nach Stade an. Als
es am nächsten Tage die Elbe erreicht, ließ der Oberst, ein Herr v. Nauschen-
p!alt, halten, die Zimmerleute mußten ihre Aexte in das Brückengeländer hauen,
und es wurde ein Kreis gebildet, in welchem der Commandeur die Kriegsartikel
"och einmal verlesen und dann beschwören ließ, worauf er eine geharnischte
^ete hielt, die jedem über Desertionsabsichten Ertappten die Kugel androhte.
Trotzdem suchten noch an demselben Tage der Negimentstambour, ein Feld¬
webel, ein Korporal und mehre Soldaten das Weite. Um das Betreten preu¬
ßischen Territoriums zu vermeiden, ging die Marschroute über Dessau, Merse-
°Arg, Weichlingen (Kursachsen). Greußcn (Sondershausen), Mühlhausen (damals
f>ele Reichsstadt). Duderstadt (Kurmainz), Einbeck (Hannover) und von da durch
^Unschweigisches Gebiet und wieder durch hannöversches nach Stade. Trotz
Engster Ueberwachung kamen noch tagtäglich Desertionen vor, da die Bauern
^» Entweichenden nach Kräften halfen und Gelegenheit sich zu salviren schafften,
und so mußte v. Rauschenplatt dem damals in Hannover weilenden Faucitt
°le betrübende Meldung machen, daß er in den ersten zehn Tagen durch De-
^lion nicht weniger als 334 Mann verloren habe, und am 21. März waren
^gar nur noch 494 Mann bei der Fahne.

Faucitt schrieb darüber an Suffolk und fragte, was da zu thun sei. Die
Antwort lautete, Faucitt solle die Reste der Zerbster sammt und sovderS wieder
^es Hause schicken, falls er nicht wenigstens ein Bataillon aus ihnen formiren
"Ule. Sogar die für sie bestimmten Transportschiffe wurden abbestellt. Es
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/439>, abgerufen am 15.01.2025.