Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

seiner Wünsche und Mühen angelangt, und nun dennoch nichts liefern und
verdienen können! Ungerechter Himmel? Böser alter Fritz!

Indeß noch einmal lächelte dem Zerbster das Glück. Es gelang dem
Obersten Nauschenplatt, den zusammengeschmolzenen Bestand seines Regiments
in Jever und Nachbarschaft wieder auf 625 Mann, einschließlich der Offiziere
zu bringen, und Faucitt nahm nun keinen Anstand mehr, die Leute in den
englischen Dienst einzumustern. Am 22. April wurden sie in Stade eingeschifft.
Erst nachdem dies geschehen, schloß jener den Vertrag mit den Bevollmächtigten
Friedrich Augusts ab, die sich selbstredend jede von dem englischen Commissär
beliebte Bedingung gefallen ließen.

Wie stolz und hehr steht diesen elenden kleinen Fürsten der große König
von Preußen gegenüber! Fast nur er, der seine persönliche Verantwortlichkeit
vor der Welt fühlt, hat auch persönliche Würde, nur bei ihm kannte man eine
selbständige Politik noch in Deutschland, die meisten kleinen Staaten fristeten
ihre Existenz lediglich durch geschmeidiges Anklammern an fremde Interessen.
Deshalb ist der souveräne Hohn und die kalte Verachtung, welche Friedrich
England und seinen Menschcnlieferautcn überall fühlen läßt, doppelt wohlthuend.

Doch darf man sich die Motive, die den König bei seinem Verfahren gegen
den Soldatenhandcl leiteten, nicht zu ideal vorstellen. Das erste und wichtigste
war, daß dieser Handel ihm bei dem damals auch in Preußen herrschenden
Werbesystem die Mittel zur Füllung der eignen Regimenter zu entziehen drohte.
Ein zweites war, daß er jetzt die Gelegenheit gekommen sah, sich bei England
für das schlechte Verhalten, welches der londoner Hof ihm gegenüber rücksichtlich
DanzigS beobachtet hatte, abzufinden. Principielle Sympathien für die ameri¬
kanischen Rebellen lagen ihm fern, und als sentimentaler Lyriker für die Sache
verkaufter Unterthanen aufzutreten paßte ebenso wenig zu seinem Charakter.
Daß ihm die Gemeinheit der kleinen Vetternschaft bei dem Handel Ekel erregte,
ist dagegen mit Sicherheit anzunehmen. Die von Schlosser mit gesperrter
Schrift erzählte Anekdote, daß die hessischen Soldaten auf Befehl des Königs
bei Minden hätten den Viehzoll entrichten müssen, ist erfunden, Friedrich be¬
steuerte nur ihr Gepäck. Dagegen findet sich in einem am 18. Juni 1776 an
Voltaire geschriebnen Briefe des Königs, in welchem er die Ehre ablehnt, der
Lehrer des Landgrafen von Hessen gewesen zu sein, der damals unverschämter¬
weise einen Katechismus für Fürsten verfaßt und ihn Voltaire geschickt hatte,
die Aeußerung: "Wäre der Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, so
würde er den Engländern seine Unterthanen nicht verkauft haben, wie man
Vieh verkauft, um eS auf die Schlachtbank schleppen zu lassen." Allerdings
ferner nahm Friedrich aus Haß gegen England unbedingt Partei für die Amerikaner
und gefiel sich fogar darin, dem englischen Gesandten gegenüber die Erfolge
derselben zu übertreiben. Ihr Recht zum Aufstand aber hat er gewiß niemals


seiner Wünsche und Mühen angelangt, und nun dennoch nichts liefern und
verdienen können! Ungerechter Himmel? Böser alter Fritz!

Indeß noch einmal lächelte dem Zerbster das Glück. Es gelang dem
Obersten Nauschenplatt, den zusammengeschmolzenen Bestand seines Regiments
in Jever und Nachbarschaft wieder auf 625 Mann, einschließlich der Offiziere
zu bringen, und Faucitt nahm nun keinen Anstand mehr, die Leute in den
englischen Dienst einzumustern. Am 22. April wurden sie in Stade eingeschifft.
Erst nachdem dies geschehen, schloß jener den Vertrag mit den Bevollmächtigten
Friedrich Augusts ab, die sich selbstredend jede von dem englischen Commissär
beliebte Bedingung gefallen ließen.

Wie stolz und hehr steht diesen elenden kleinen Fürsten der große König
von Preußen gegenüber! Fast nur er, der seine persönliche Verantwortlichkeit
vor der Welt fühlt, hat auch persönliche Würde, nur bei ihm kannte man eine
selbständige Politik noch in Deutschland, die meisten kleinen Staaten fristeten
ihre Existenz lediglich durch geschmeidiges Anklammern an fremde Interessen.
Deshalb ist der souveräne Hohn und die kalte Verachtung, welche Friedrich
England und seinen Menschcnlieferautcn überall fühlen läßt, doppelt wohlthuend.

Doch darf man sich die Motive, die den König bei seinem Verfahren gegen
den Soldatenhandcl leiteten, nicht zu ideal vorstellen. Das erste und wichtigste
war, daß dieser Handel ihm bei dem damals auch in Preußen herrschenden
Werbesystem die Mittel zur Füllung der eignen Regimenter zu entziehen drohte.
Ein zweites war, daß er jetzt die Gelegenheit gekommen sah, sich bei England
für das schlechte Verhalten, welches der londoner Hof ihm gegenüber rücksichtlich
DanzigS beobachtet hatte, abzufinden. Principielle Sympathien für die ameri¬
kanischen Rebellen lagen ihm fern, und als sentimentaler Lyriker für die Sache
verkaufter Unterthanen aufzutreten paßte ebenso wenig zu seinem Charakter.
Daß ihm die Gemeinheit der kleinen Vetternschaft bei dem Handel Ekel erregte,
ist dagegen mit Sicherheit anzunehmen. Die von Schlosser mit gesperrter
Schrift erzählte Anekdote, daß die hessischen Soldaten auf Befehl des Königs
bei Minden hätten den Viehzoll entrichten müssen, ist erfunden, Friedrich be¬
steuerte nur ihr Gepäck. Dagegen findet sich in einem am 18. Juni 1776 an
Voltaire geschriebnen Briefe des Königs, in welchem er die Ehre ablehnt, der
Lehrer des Landgrafen von Hessen gewesen zu sein, der damals unverschämter¬
weise einen Katechismus für Fürsten verfaßt und ihn Voltaire geschickt hatte,
die Aeußerung: „Wäre der Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, so
würde er den Engländern seine Unterthanen nicht verkauft haben, wie man
Vieh verkauft, um eS auf die Schlachtbank schleppen zu lassen." Allerdings
ferner nahm Friedrich aus Haß gegen England unbedingt Partei für die Amerikaner
und gefiel sich fogar darin, dem englischen Gesandten gegenüber die Erfolge
derselben zu übertreiben. Ihr Recht zum Aufstand aber hat er gewiß niemals


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283793"/>
          <p xml:id="ID_1249" prev="#ID_1248"> seiner Wünsche und Mühen angelangt, und nun dennoch nichts liefern und<lb/>
verdienen können! Ungerechter Himmel? Böser alter Fritz!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1250"> Indeß noch einmal lächelte dem Zerbster das Glück. Es gelang dem<lb/>
Obersten Nauschenplatt, den zusammengeschmolzenen Bestand seines Regiments<lb/>
in Jever und Nachbarschaft wieder auf 625 Mann, einschließlich der Offiziere<lb/>
zu bringen, und Faucitt nahm nun keinen Anstand mehr, die Leute in den<lb/>
englischen Dienst einzumustern. Am 22. April wurden sie in Stade eingeschifft.<lb/>
Erst nachdem dies geschehen, schloß jener den Vertrag mit den Bevollmächtigten<lb/>
Friedrich Augusts ab, die sich selbstredend jede von dem englischen Commissär<lb/>
beliebte Bedingung gefallen ließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1251"> Wie stolz und hehr steht diesen elenden kleinen Fürsten der große König<lb/>
von Preußen gegenüber! Fast nur er, der seine persönliche Verantwortlichkeit<lb/>
vor der Welt fühlt, hat auch persönliche Würde, nur bei ihm kannte man eine<lb/>
selbständige Politik noch in Deutschland, die meisten kleinen Staaten fristeten<lb/>
ihre Existenz lediglich durch geschmeidiges Anklammern an fremde Interessen.<lb/>
Deshalb ist der souveräne Hohn und die kalte Verachtung, welche Friedrich<lb/>
England und seinen Menschcnlieferautcn überall fühlen läßt, doppelt wohlthuend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> Doch darf man sich die Motive, die den König bei seinem Verfahren gegen<lb/>
den Soldatenhandcl leiteten, nicht zu ideal vorstellen. Das erste und wichtigste<lb/>
war, daß dieser Handel ihm bei dem damals auch in Preußen herrschenden<lb/>
Werbesystem die Mittel zur Füllung der eignen Regimenter zu entziehen drohte.<lb/>
Ein zweites war, daß er jetzt die Gelegenheit gekommen sah, sich bei England<lb/>
für das schlechte Verhalten, welches der londoner Hof ihm gegenüber rücksichtlich<lb/>
DanzigS beobachtet hatte, abzufinden. Principielle Sympathien für die ameri¬<lb/>
kanischen Rebellen lagen ihm fern, und als sentimentaler Lyriker für die Sache<lb/>
verkaufter Unterthanen aufzutreten paßte ebenso wenig zu seinem Charakter.<lb/>
Daß ihm die Gemeinheit der kleinen Vetternschaft bei dem Handel Ekel erregte,<lb/>
ist dagegen mit Sicherheit anzunehmen. Die von Schlosser mit gesperrter<lb/>
Schrift erzählte Anekdote, daß die hessischen Soldaten auf Befehl des Königs<lb/>
bei Minden hätten den Viehzoll entrichten müssen, ist erfunden, Friedrich be¬<lb/>
steuerte nur ihr Gepäck. Dagegen findet sich in einem am 18. Juni 1776 an<lb/>
Voltaire geschriebnen Briefe des Königs, in welchem er die Ehre ablehnt, der<lb/>
Lehrer des Landgrafen von Hessen gewesen zu sein, der damals unverschämter¬<lb/>
weise einen Katechismus für Fürsten verfaßt und ihn Voltaire geschickt hatte,<lb/>
die Aeußerung: &#x201E;Wäre der Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, so<lb/>
würde er den Engländern seine Unterthanen nicht verkauft haben, wie man<lb/>
Vieh verkauft, um eS auf die Schlachtbank schleppen zu lassen." Allerdings<lb/>
ferner nahm Friedrich aus Haß gegen England unbedingt Partei für die Amerikaner<lb/>
und gefiel sich fogar darin, dem englischen Gesandten gegenüber die Erfolge<lb/>
derselben zu übertreiben. Ihr Recht zum Aufstand aber hat er gewiß niemals</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] seiner Wünsche und Mühen angelangt, und nun dennoch nichts liefern und verdienen können! Ungerechter Himmel? Böser alter Fritz! Indeß noch einmal lächelte dem Zerbster das Glück. Es gelang dem Obersten Nauschenplatt, den zusammengeschmolzenen Bestand seines Regiments in Jever und Nachbarschaft wieder auf 625 Mann, einschließlich der Offiziere zu bringen, und Faucitt nahm nun keinen Anstand mehr, die Leute in den englischen Dienst einzumustern. Am 22. April wurden sie in Stade eingeschifft. Erst nachdem dies geschehen, schloß jener den Vertrag mit den Bevollmächtigten Friedrich Augusts ab, die sich selbstredend jede von dem englischen Commissär beliebte Bedingung gefallen ließen. Wie stolz und hehr steht diesen elenden kleinen Fürsten der große König von Preußen gegenüber! Fast nur er, der seine persönliche Verantwortlichkeit vor der Welt fühlt, hat auch persönliche Würde, nur bei ihm kannte man eine selbständige Politik noch in Deutschland, die meisten kleinen Staaten fristeten ihre Existenz lediglich durch geschmeidiges Anklammern an fremde Interessen. Deshalb ist der souveräne Hohn und die kalte Verachtung, welche Friedrich England und seinen Menschcnlieferautcn überall fühlen läßt, doppelt wohlthuend. Doch darf man sich die Motive, die den König bei seinem Verfahren gegen den Soldatenhandcl leiteten, nicht zu ideal vorstellen. Das erste und wichtigste war, daß dieser Handel ihm bei dem damals auch in Preußen herrschenden Werbesystem die Mittel zur Füllung der eignen Regimenter zu entziehen drohte. Ein zweites war, daß er jetzt die Gelegenheit gekommen sah, sich bei England für das schlechte Verhalten, welches der londoner Hof ihm gegenüber rücksichtlich DanzigS beobachtet hatte, abzufinden. Principielle Sympathien für die ameri¬ kanischen Rebellen lagen ihm fern, und als sentimentaler Lyriker für die Sache verkaufter Unterthanen aufzutreten paßte ebenso wenig zu seinem Charakter. Daß ihm die Gemeinheit der kleinen Vetternschaft bei dem Handel Ekel erregte, ist dagegen mit Sicherheit anzunehmen. Die von Schlosser mit gesperrter Schrift erzählte Anekdote, daß die hessischen Soldaten auf Befehl des Königs bei Minden hätten den Viehzoll entrichten müssen, ist erfunden, Friedrich be¬ steuerte nur ihr Gepäck. Dagegen findet sich in einem am 18. Juni 1776 an Voltaire geschriebnen Briefe des Königs, in welchem er die Ehre ablehnt, der Lehrer des Landgrafen von Hessen gewesen zu sein, der damals unverschämter¬ weise einen Katechismus für Fürsten verfaßt und ihn Voltaire geschickt hatte, die Aeußerung: „Wäre der Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, so würde er den Engländern seine Unterthanen nicht verkauft haben, wie man Vieh verkauft, um eS auf die Schlachtbank schleppen zu lassen." Allerdings ferner nahm Friedrich aus Haß gegen England unbedingt Partei für die Amerikaner und gefiel sich fogar darin, dem englischen Gesandten gegenüber die Erfolge derselben zu übertreiben. Ihr Recht zum Aufstand aber hat er gewiß niemals

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/440>, abgerufen am 15.01.2025.