Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.dans zu combiniren und zu gestalten, die Meisterschaft, mit der er dem Gedanken dans zu combiniren und zu gestalten, die Meisterschaft, mit der er dem Gedanken <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283745"/> <p xml:id="ID_1128" prev="#ID_1127" next="#ID_1129"> dans zu combiniren und zu gestalten, die Meisterschaft, mit der er dem Gedanken<lb/> den klarsten und schärfsten Ausdruck zu geben wußte, alle diese Gaben dienen<lb/> dem politischen Gedanken, den er früh in seinen Umrissen erfaßt und den er<lb/> dann später nach allen Seiten hin zu immer größerer Klarheit durchgearbeitet<lb/> hat. So kommt es, daß wir denselben Mann bald wegen seiner großen Viel¬<lb/> seitigkeit bewundern, bald nicht umhin können, an gewissen einseitigen Auf¬<lb/> fassungen desselben Anstoß zu nehmen, wie denn eine kräftige Concentraiion<lb/> nach einer Richtung hin immer der Gefahr ausgesetzt ist, der Erörterung ge¬<lb/> wisser Punkte gern auszuweichen, zuweilen selbst gegen Berechtigtes sich ab¬<lb/> wehrend zu verhalten. Die Schranke im Tocquevilleschen Geist ist, wie auch<lb/> sein Biograph, wenngleich nicht im tadelnden Sinne, hervorhebt, die Abneigung<lb/> gegen die philosophische Spekulation. Man wird in seinen größeren Schriften<lb/> nicht leicht an diesem Mangel Anstoß nehmen. Die außerordentliche Klarheit<lb/> und Schärfe seines Anschauungsvermögcns, die Energie, mit der er die ge¬<lb/> wonnene Anschauung in schlagenden Gedanken niederlegt, die Genialität, mit<lb/> der er das Individuelle verallgemeinert, ersetzen bei ihm meist den Mangel der<lb/> eigentlichen Speculation, ja wir möchten fast behaupten, daß die eigenthüm¬<lb/> lichen Vorzüge seiner Darstellung zum Theil in dem angegebenen Mangel ihren<lb/> Grund haben. Ein Mangel bleibt es indessen immer. Wir wollen nicht all¬<lb/> zuviel Gewicht darauf legen, daß er an dem Studium des Aristoteles keinen<lb/> Geschmack findet. Wir sind zu wenig Griechen, schreibt er an Corcelle, um<lb/> großen Nutzen aus ihm zu ziehen. Das wird auch manchem so gehen, der<lb/> nicht offenherzig genug ist seine barbarische Ketzerei zu bekennen, wenn es auch<lb/> immerhin auffallend bleibt, daß ein Mann wie Tocqueville nicht im Stande<lb/> ist, die Bedeutung des Altmeisters der politischen Wissenschaft richtig zu wür¬<lb/> digen. Wichtiger ist, daß dieselbe Einseitigkeit, die ihn von dem Studium und<lb/> einer Würdigung des großen Griechen zurückschreckt, ihn auch gehindert hat, zu<lb/> einem Verständniß des deutschen Wesens zu gelangen. Bei der durchaus prak¬<lb/> tischen Richtung seines Geistes, war es natürlich, daß seine ganze Aufmerksam¬<lb/> keit sich auf die Länder richtete, in denen ein freies Gemeindewesen seine Wurzel<lb/> geschlagen hatte, auf England und Amerika, daß dagegen das Land der Phi"<lb/> losophen für ihn wenig Anziehendes hatte. Von Interesse ist für ihn eigentlich<lb/> nur Preußen, dessen Verwaltung ihm imponirt. Erst spät faßt er den Ent¬<lb/> schluß, Deutschland in den Bereich seiner Studien zu ziehen, nicht etwa no<lb/> die gegenwärtigen Verhältnisse kennen zu lernen, sondern um die Spuren aus"<lb/> zusuchen. die das ancien rvFime dort gelassen habe. Zu dem Zwecke erlernt<lb/> er in reiferen Alter die ihm bis dahin fremde deutsche Sprache mit großcw<lb/> Eifer und bereitet sich mit gewohnter Gründlichkeit für die übernommene Auf"<lb/> gäbe vor. Die Erfolge seiner deutschen Reise, die mit ihren sorgfältigen Vor¬<lb/> bereitungen eine bedeutende Rolle in dem Briefwechsel spielt, dürfen wir >U"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
dans zu combiniren und zu gestalten, die Meisterschaft, mit der er dem Gedanken
den klarsten und schärfsten Ausdruck zu geben wußte, alle diese Gaben dienen
dem politischen Gedanken, den er früh in seinen Umrissen erfaßt und den er
dann später nach allen Seiten hin zu immer größerer Klarheit durchgearbeitet
hat. So kommt es, daß wir denselben Mann bald wegen seiner großen Viel¬
seitigkeit bewundern, bald nicht umhin können, an gewissen einseitigen Auf¬
fassungen desselben Anstoß zu nehmen, wie denn eine kräftige Concentraiion
nach einer Richtung hin immer der Gefahr ausgesetzt ist, der Erörterung ge¬
wisser Punkte gern auszuweichen, zuweilen selbst gegen Berechtigtes sich ab¬
wehrend zu verhalten. Die Schranke im Tocquevilleschen Geist ist, wie auch
sein Biograph, wenngleich nicht im tadelnden Sinne, hervorhebt, die Abneigung
gegen die philosophische Spekulation. Man wird in seinen größeren Schriften
nicht leicht an diesem Mangel Anstoß nehmen. Die außerordentliche Klarheit
und Schärfe seines Anschauungsvermögcns, die Energie, mit der er die ge¬
wonnene Anschauung in schlagenden Gedanken niederlegt, die Genialität, mit
der er das Individuelle verallgemeinert, ersetzen bei ihm meist den Mangel der
eigentlichen Speculation, ja wir möchten fast behaupten, daß die eigenthüm¬
lichen Vorzüge seiner Darstellung zum Theil in dem angegebenen Mangel ihren
Grund haben. Ein Mangel bleibt es indessen immer. Wir wollen nicht all¬
zuviel Gewicht darauf legen, daß er an dem Studium des Aristoteles keinen
Geschmack findet. Wir sind zu wenig Griechen, schreibt er an Corcelle, um
großen Nutzen aus ihm zu ziehen. Das wird auch manchem so gehen, der
nicht offenherzig genug ist seine barbarische Ketzerei zu bekennen, wenn es auch
immerhin auffallend bleibt, daß ein Mann wie Tocqueville nicht im Stande
ist, die Bedeutung des Altmeisters der politischen Wissenschaft richtig zu wür¬
digen. Wichtiger ist, daß dieselbe Einseitigkeit, die ihn von dem Studium und
einer Würdigung des großen Griechen zurückschreckt, ihn auch gehindert hat, zu
einem Verständniß des deutschen Wesens zu gelangen. Bei der durchaus prak¬
tischen Richtung seines Geistes, war es natürlich, daß seine ganze Aufmerksam¬
keit sich auf die Länder richtete, in denen ein freies Gemeindewesen seine Wurzel
geschlagen hatte, auf England und Amerika, daß dagegen das Land der Phi"
losophen für ihn wenig Anziehendes hatte. Von Interesse ist für ihn eigentlich
nur Preußen, dessen Verwaltung ihm imponirt. Erst spät faßt er den Ent¬
schluß, Deutschland in den Bereich seiner Studien zu ziehen, nicht etwa no
die gegenwärtigen Verhältnisse kennen zu lernen, sondern um die Spuren aus"
zusuchen. die das ancien rvFime dort gelassen habe. Zu dem Zwecke erlernt
er in reiferen Alter die ihm bis dahin fremde deutsche Sprache mit großcw
Eifer und bereitet sich mit gewohnter Gründlichkeit für die übernommene Auf"
gäbe vor. Die Erfolge seiner deutschen Reise, die mit ihren sorgfältigen Vor¬
bereitungen eine bedeutende Rolle in dem Briefwechsel spielt, dürfen wir >U"
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