Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Aeußere und innere Eigenschaften befähigten ihn zur Durchführung der Daß ihm die politische Doctrin als solche wenig galt, hängt aufs engste Aeußere und innere Eigenschaften befähigten ihn zur Durchführung der Daß ihm die politische Doctrin als solche wenig galt, hängt aufs engste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283744"/> <p xml:id="ID_1126"> Aeußere und innere Eigenschaften befähigten ihn zur Durchführung der<lb/> selbstgewählten Aufgabe. AIs jüngster Sproß eines alten Adelsgescblechtes<lb/> im Jahre 1808 geboren, stand er der großen Revolution zeitlich zu fern, um<lb/> von den Leidenschaften, die sich nach verschiedenen Richtungen in den Gemüthern<lb/> der Zeitgenossen entzündet hatten, noch unmittelbar berührt zu werden. Daß<lb/> n den Haß gegen den Adel nicht theilte, war natürlich, weisen ihn doch alle<lb/> Familientraditionen auf das alte Regime zurück; aber auch von einer wirklichen<lb/> Anhänglichkeit an die alte Dynastie finden wir keine Spur. Er hätte den<lb/> Sturz der älteren Linie nicht gewünscht, weil er von einer Revolution keine<lb/> dauernden Früchte für die Freiheit hoffte. Er bedauerte daher die Thorheit<lb/> und Verblendung Karls des Zehnten aufrichtig, weil er deren verhängniß-<lb/> volle Folgen mit einem für seine Jugend bemerkenswerthen Scharfblick voraus¬<lb/> sah. Nach der Julirevolution schloß er sich ohne Bedenken der neuen Regie¬<lb/> rung an. ohne Begeisterung, ohne irgendwelche persönliche Zuneigung für die<lb/> Orleans, aber mit vollster Aufrichtigkeit, weil seine klare Einsicht ihm dies Ver¬<lb/> halten gebot. Er stand so sehr außer den Parteien, daß er den Versuch wagen<lb/> konnte, sich in gewissem Sinne über sie zu stellen, sie seiner Kritik zu unter¬<lb/> werfen. Seine Kritik war aber — und darin liegt seine Größe — nicht negativ,<lb/> nicht mäkelnd und bemängelnd, sie war durchaus positiv; sie führte ihn nicht<lb/> in ein hochmüthiges, beschauliches, tadelsüchtigcs Stillleben, sie warf ihn viel¬<lb/> mehr mitten in die Stürme und Wogen des politischen Lebens hinein; sie be¬<lb/> stand eben nur darin, daß er der alten Routine seine neuen schöpferischen Ideen<lb/> entgegenstellte, allerdings nicht in der Gestalt eines fertigen Systems; denn so<lb/> positiv er auch war, politischer Doctrinär ist er niemals gewesen. Frei von<lb/> a»en Leidenschaften und Vorurtheilen der Parteien, besaß er, wie er es selbst<lb/> ausspricht, nur die Leidenschaft für die Freiheit, die ihm recht eigentlich die<lb/> Substanz des politischen Daseins, nicht blos eine angenehme Aufregung war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1127" next="#ID_1128"> Daß ihm die politische Doctrin als solche wenig galt, hängt aufs engste<lb/> Susannen mit der durchaus praktischen Richtung seiner ganzen Natur. Die<lb/> ästige Thätigkeit um ihrer selbst willen, der Forschergeist, der aus innerem,<lb/> unwiderstehlichem Triebe sich selbst einsetzt, um ein dunkles Räthsel des Welt¬<lb/> rufs zu enthüllen, dem die Wahrheit selbst ohne besondere Rücksicht auf ihre<lb/> Verwerthung für das sociale und politische Wohlergehen der Menschheit das<lb/> höchste erstrebenswertheste Ziel ist. dieser Geist der Einkehr in sich selbst lag<lb/> ihm fern. Alle seine Studien, so umfassend und eindringend sie waren, der<lb/> ganze Schatz von Bildung, den er mit unermüdlichem Eifer theils in der ein-<lb/> sanren Arbeit des Studirzimmers, theils im ausgebreitetsten lebendigsten Um¬<lb/> gange und brieflichem Verkehr mit hervorragenden Personen der verschiedensten<lb/> Richtungen bis zum Ende seines Lebens vermehrte, die Leichtigkeit, mit der er.<lb/> durch ein außerordentliches Gedächtniß unterstützt, die Masse des buntesten De-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
Aeußere und innere Eigenschaften befähigten ihn zur Durchführung der
selbstgewählten Aufgabe. AIs jüngster Sproß eines alten Adelsgescblechtes
im Jahre 1808 geboren, stand er der großen Revolution zeitlich zu fern, um
von den Leidenschaften, die sich nach verschiedenen Richtungen in den Gemüthern
der Zeitgenossen entzündet hatten, noch unmittelbar berührt zu werden. Daß
n den Haß gegen den Adel nicht theilte, war natürlich, weisen ihn doch alle
Familientraditionen auf das alte Regime zurück; aber auch von einer wirklichen
Anhänglichkeit an die alte Dynastie finden wir keine Spur. Er hätte den
Sturz der älteren Linie nicht gewünscht, weil er von einer Revolution keine
dauernden Früchte für die Freiheit hoffte. Er bedauerte daher die Thorheit
und Verblendung Karls des Zehnten aufrichtig, weil er deren verhängniß-
volle Folgen mit einem für seine Jugend bemerkenswerthen Scharfblick voraus¬
sah. Nach der Julirevolution schloß er sich ohne Bedenken der neuen Regie¬
rung an. ohne Begeisterung, ohne irgendwelche persönliche Zuneigung für die
Orleans, aber mit vollster Aufrichtigkeit, weil seine klare Einsicht ihm dies Ver¬
halten gebot. Er stand so sehr außer den Parteien, daß er den Versuch wagen
konnte, sich in gewissem Sinne über sie zu stellen, sie seiner Kritik zu unter¬
werfen. Seine Kritik war aber — und darin liegt seine Größe — nicht negativ,
nicht mäkelnd und bemängelnd, sie war durchaus positiv; sie führte ihn nicht
in ein hochmüthiges, beschauliches, tadelsüchtigcs Stillleben, sie warf ihn viel¬
mehr mitten in die Stürme und Wogen des politischen Lebens hinein; sie be¬
stand eben nur darin, daß er der alten Routine seine neuen schöpferischen Ideen
entgegenstellte, allerdings nicht in der Gestalt eines fertigen Systems; denn so
positiv er auch war, politischer Doctrinär ist er niemals gewesen. Frei von
a»en Leidenschaften und Vorurtheilen der Parteien, besaß er, wie er es selbst
ausspricht, nur die Leidenschaft für die Freiheit, die ihm recht eigentlich die
Substanz des politischen Daseins, nicht blos eine angenehme Aufregung war.
Daß ihm die politische Doctrin als solche wenig galt, hängt aufs engste
Susannen mit der durchaus praktischen Richtung seiner ganzen Natur. Die
ästige Thätigkeit um ihrer selbst willen, der Forschergeist, der aus innerem,
unwiderstehlichem Triebe sich selbst einsetzt, um ein dunkles Räthsel des Welt¬
rufs zu enthüllen, dem die Wahrheit selbst ohne besondere Rücksicht auf ihre
Verwerthung für das sociale und politische Wohlergehen der Menschheit das
höchste erstrebenswertheste Ziel ist. dieser Geist der Einkehr in sich selbst lag
ihm fern. Alle seine Studien, so umfassend und eindringend sie waren, der
ganze Schatz von Bildung, den er mit unermüdlichem Eifer theils in der ein-
sanren Arbeit des Studirzimmers, theils im ausgebreitetsten lebendigsten Um¬
gange und brieflichem Verkehr mit hervorragenden Personen der verschiedensten
Richtungen bis zum Ende seines Lebens vermehrte, die Leichtigkeit, mit der er.
durch ein außerordentliches Gedächtniß unterstützt, die Masse des buntesten De-
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