Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.bis zur lebhaftesten Spannung steigert. Es sind in den ausgelassenen Stellen Es ist verhältnißmäßig nicht schwer, den einheitlichen Punkt in dem Leben bis zur lebhaftesten Spannung steigert. Es sind in den ausgelassenen Stellen Es ist verhältnißmäßig nicht schwer, den einheitlichen Punkt in dem Leben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0390" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283743"/> <p xml:id="ID_1124" prev="#ID_1123"> bis zur lebhaftesten Spannung steigert. Es sind in den ausgelassenen Stellen<lb/> der mitgetheilten Briefe, wie der Zusammenhang ergiebt, oft Urtheile über<lb/> bedeutende Personen und Ereignisse ausgefallen, die ohne Zweifel scharf, aber<lb/> ganz gewiß von großer historischer Wichtigkeit sind. Wie weit die Selbstcensur<lb/> durch freiwillig auferlegte Rücksichtnahme, wie weit sie durch den Druck der<lb/> gegenwärtigen Preßzustände Frankreichs veranlaßt ist, vermögen wir nicht zu<lb/> ermessen. Eine wenn auch nur als Möglichkeit, für eine entfernte Zukunft in<lb/> Aussicht gestellte FortseMng der Veröffentlichung wird wahrscheinlich dem<lb/> Historiker eine noch größere Ausbeute gewähren als die vorliegende Sammlung,<lb/> die weniger für das Studium der Zeitgeschichte, als für die Charakteristik des<lb/> Verfassers wichtig ist; sie ist ein biographisches Denkmal, in dem neben dem<lb/> großen Schriftsteller und edlen Staatsmann auch der Mensch in allen Bezie¬<lb/> hungen des privaten Lebens zu Worte kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1125"> Es ist verhältnißmäßig nicht schwer, den einheitlichen Punkt in dem Leben<lb/> Tocquevilles zu erfassen. Denn schon an der Grenze der Jugend und des<lb/> Mannesalters schwebte dem Frühgereisten ein ganz bestimmtes Lebensziel vor.<lb/> Dies Ziel war weder ausschließlich theoretisch, noch ausschließlich praktisch. Es<lb/> galt zunächst eine Erkenntniß zu gewinnen, deren Bedeutung für Tocqueville<lb/> jedoch vorzugsweise in ihrer praktischen Verwerthung für Staat und Gesellschaft<lb/> bestand: die Erkenntniß der Bedingungen, unter welchen eine demokratische, ganz<lb/> von dem Princip der Gleichheit beherrschte Gesellschaft sich zu einem freien<lb/> Staatswesen gestalten und die erworbene Freiheit behaupten könne. Denn die<lb/> Freiheit war und blieb ihm bis an das Ende seines früh abgelaufenen Lebens<lb/> das höchste und edelste Gut; ein unfreies Staatswesen war ihm höchstens ein<lb/> nothwendiges Uebel, die Gleichartigkeit gegen die Freiheit ein Zeichen des<lb/> tiefsten politischen Verfalles. Diese Gleichgiltigkeit berührt ihn tiefer als der<lb/> Verlust der Freiheit selbst, sie ist ihm das Symptom einer tiefliegenden Krank¬<lb/> heit, sie hat den von ihm klar vorausgesehenen Staatsstreich des 2. December<lb/> ermöglicht, sie ist so tief in das Wesen der Franzosen eingedrungen, daß man<lb/> sich fragen kann (so schreibt er am 21. Februar 1866), ob es in Frankreich je¬<lb/> mals parlamentarische Versammlungen und politisches Leben gegeben habe-<lb/> Man sehe keine Spur davon. — Dieser Gedanke, also eine Vermittelung anzu¬<lb/> bahnen zwischen der unerschütterlich begründeten socialen Gleichheit, die antasten<lb/> zu wollen eine Absurdität sein würde, und der politischen Freiheit, war der<lb/> Mittelpunkt seines politischen, wir können sagen seines gesammten geistigen<lb/> Lebens. Es galt, wie schon angedeutet, die auf socialem Gebiet vollendete<lb/> Revolution auch auf dem Boden des Staates zum Abschluß zu bringen. Hierin<lb/> lag die einzige ersprießliche Aufgabe für eine wahrhaft schöpferische politische<lb/> Thätigkeit in Frankreich. Dies erkannte er mit voller Klarheit, und dem klar<lb/> erkannten, mit fester Ueberzeugung ergriffenen Gedanken war sein Leben geweiht.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0390]
bis zur lebhaftesten Spannung steigert. Es sind in den ausgelassenen Stellen
der mitgetheilten Briefe, wie der Zusammenhang ergiebt, oft Urtheile über
bedeutende Personen und Ereignisse ausgefallen, die ohne Zweifel scharf, aber
ganz gewiß von großer historischer Wichtigkeit sind. Wie weit die Selbstcensur
durch freiwillig auferlegte Rücksichtnahme, wie weit sie durch den Druck der
gegenwärtigen Preßzustände Frankreichs veranlaßt ist, vermögen wir nicht zu
ermessen. Eine wenn auch nur als Möglichkeit, für eine entfernte Zukunft in
Aussicht gestellte FortseMng der Veröffentlichung wird wahrscheinlich dem
Historiker eine noch größere Ausbeute gewähren als die vorliegende Sammlung,
die weniger für das Studium der Zeitgeschichte, als für die Charakteristik des
Verfassers wichtig ist; sie ist ein biographisches Denkmal, in dem neben dem
großen Schriftsteller und edlen Staatsmann auch der Mensch in allen Bezie¬
hungen des privaten Lebens zu Worte kommt.
Es ist verhältnißmäßig nicht schwer, den einheitlichen Punkt in dem Leben
Tocquevilles zu erfassen. Denn schon an der Grenze der Jugend und des
Mannesalters schwebte dem Frühgereisten ein ganz bestimmtes Lebensziel vor.
Dies Ziel war weder ausschließlich theoretisch, noch ausschließlich praktisch. Es
galt zunächst eine Erkenntniß zu gewinnen, deren Bedeutung für Tocqueville
jedoch vorzugsweise in ihrer praktischen Verwerthung für Staat und Gesellschaft
bestand: die Erkenntniß der Bedingungen, unter welchen eine demokratische, ganz
von dem Princip der Gleichheit beherrschte Gesellschaft sich zu einem freien
Staatswesen gestalten und die erworbene Freiheit behaupten könne. Denn die
Freiheit war und blieb ihm bis an das Ende seines früh abgelaufenen Lebens
das höchste und edelste Gut; ein unfreies Staatswesen war ihm höchstens ein
nothwendiges Uebel, die Gleichartigkeit gegen die Freiheit ein Zeichen des
tiefsten politischen Verfalles. Diese Gleichgiltigkeit berührt ihn tiefer als der
Verlust der Freiheit selbst, sie ist ihm das Symptom einer tiefliegenden Krank¬
heit, sie hat den von ihm klar vorausgesehenen Staatsstreich des 2. December
ermöglicht, sie ist so tief in das Wesen der Franzosen eingedrungen, daß man
sich fragen kann (so schreibt er am 21. Februar 1866), ob es in Frankreich je¬
mals parlamentarische Versammlungen und politisches Leben gegeben habe-
Man sehe keine Spur davon. — Dieser Gedanke, also eine Vermittelung anzu¬
bahnen zwischen der unerschütterlich begründeten socialen Gleichheit, die antasten
zu wollen eine Absurdität sein würde, und der politischen Freiheit, war der
Mittelpunkt seines politischen, wir können sagen seines gesammten geistigen
Lebens. Es galt, wie schon angedeutet, die auf socialem Gebiet vollendete
Revolution auch auf dem Boden des Staates zum Abschluß zu bringen. Hierin
lag die einzige ersprießliche Aufgabe für eine wahrhaft schöpferische politische
Thätigkeit in Frankreich. Dies erkannte er mit voller Klarheit, und dem klar
erkannten, mit fester Ueberzeugung ergriffenen Gedanken war sein Leben geweiht.
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