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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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stete, im Scheine einer nicht ganz parteilosen Unbefangenheit, indem er, trotz
mehrseitiger Berufung auf §. 101, einer Majoritätsentscheidung die Frage an¬
heimgab: ob auf eine specielle Revision eingegangen werden solle oder nicht.
Denn eine Versammlung steht unter, nicht über der Geschäftsordnung, die sie
sich einmal gegeben hat, und wenn sie auch das Recht besitzen wird, ihre Ge¬
schäftsordnung zu ändern, so bietet die letztere selbst dock die bindende Form,
innerhalb welcher allein diese Aenderungen vorgenommen werden können. Es
hieße die Willkür an die Stelle des Gesetzes stellen, wollte man "die höckste
Instanz" von Generalversammlungsmajoritäten dahin auslegen, daß wenn 11
von 21 es so wollen, für alle 21 das Wort Geschäftsordnung nun nichts mehr
bedeutet. §. 101 erscheint aber als ein sehr wesentlicher Theil der Geschäfts¬
ordnung, insofern er den Zweigsiiflungen die einzige Garantie gegen mangelhaft
vorbereitete Generalversammlungen bietet, und die Commentirung seiner Be¬
stimmungen dem Zufall einer oder mehrer Stimmen preisgeben, hieß in diesem
Falle nichts Minderes, als die Legalität der sämmtlichen weitern Berathungen
gefährden.

In der That ist die Majorität durch dies ihr Aufgeben des gesetzlichen
Bodens sehr bald an die weitere Frage gelangt: ob ihre Allmacht nicht nach
dem Paragraphen von der "höchsten Instanz" überhaupt ohne alle Grenzen sei?
Daß dergleichen Vorstellungen an sich etwas Einschmeichelndes, Bestechendes
haben, liegt auf der Hand, vollends müßte dies aber denjenigen Stimmen ge¬
genüber der Fall sein, welche, statt einzig an die Reckte der nicht gehörten
Zweigstiftungen, an die Rechte und Pflichten der Regierungen zu erinnern
wagten. Die bloße Erwähnung solcher Bedenken gab den Autonomsten sofort
gewonnenes Spiel. Sie verfochten nun nicht mehr ihre subjective Meinung,
sie verfochten "die Unabhängigkeit der Schillcrstiftung".

Nachdem man in so gehobner Stimmung, dann im Sinne des Berwal-
tungsraths, die allgemeine, unerläßliche Bedingung der "Hilfsbedürftig-
keit" durch das Wort "insbesondere" zu einem vereinzelten Attribut herabge¬
drückt, nachdem man das Wort "Unterstützungen" aus dem alten K. 1 in der
neuen Fassung (§. 11 und 17) zu "Gaben" umgeformt; nachdem man in der
historischen Einleitung die Bezeichnung der Stiftung als "für verdienstvolle
und hilfsbedürftige Schriftsteller ?c." beseitigt; nachdem man endlich daS
Wort "Geldunterstützungen", in K. 2, dem frühern Ausdrucke "Zinsertrag
des vorhandenen Vermögens ze." substituirt hatte, so daß nun die sich ihm
anreihende weitere Kategorie: "Hilfeleistung zu Förderung materiellen Wohl¬
ergehens" als nicht mehr ebenfalls einzig im Sinne der Unterstützung ge¬
meint sich darstellte, sich vielmehr den mannigfachsten Auslegungen anschmiegte;
nachdem man aber auch noch -- immer im Namen der Freiheit -- der Ge¬
neralversammlung das Recht zurückerobert hatte, denselben Vorort, so oft man


stete, im Scheine einer nicht ganz parteilosen Unbefangenheit, indem er, trotz
mehrseitiger Berufung auf §. 101, einer Majoritätsentscheidung die Frage an¬
heimgab: ob auf eine specielle Revision eingegangen werden solle oder nicht.
Denn eine Versammlung steht unter, nicht über der Geschäftsordnung, die sie
sich einmal gegeben hat, und wenn sie auch das Recht besitzen wird, ihre Ge¬
schäftsordnung zu ändern, so bietet die letztere selbst dock die bindende Form,
innerhalb welcher allein diese Aenderungen vorgenommen werden können. Es
hieße die Willkür an die Stelle des Gesetzes stellen, wollte man „die höckste
Instanz" von Generalversammlungsmajoritäten dahin auslegen, daß wenn 11
von 21 es so wollen, für alle 21 das Wort Geschäftsordnung nun nichts mehr
bedeutet. §. 101 erscheint aber als ein sehr wesentlicher Theil der Geschäfts¬
ordnung, insofern er den Zweigsiiflungen die einzige Garantie gegen mangelhaft
vorbereitete Generalversammlungen bietet, und die Commentirung seiner Be¬
stimmungen dem Zufall einer oder mehrer Stimmen preisgeben, hieß in diesem
Falle nichts Minderes, als die Legalität der sämmtlichen weitern Berathungen
gefährden.

In der That ist die Majorität durch dies ihr Aufgeben des gesetzlichen
Bodens sehr bald an die weitere Frage gelangt: ob ihre Allmacht nicht nach
dem Paragraphen von der „höchsten Instanz" überhaupt ohne alle Grenzen sei?
Daß dergleichen Vorstellungen an sich etwas Einschmeichelndes, Bestechendes
haben, liegt auf der Hand, vollends müßte dies aber denjenigen Stimmen ge¬
genüber der Fall sein, welche, statt einzig an die Reckte der nicht gehörten
Zweigstiftungen, an die Rechte und Pflichten der Regierungen zu erinnern
wagten. Die bloße Erwähnung solcher Bedenken gab den Autonomsten sofort
gewonnenes Spiel. Sie verfochten nun nicht mehr ihre subjective Meinung,
sie verfochten „die Unabhängigkeit der Schillcrstiftung".

Nachdem man in so gehobner Stimmung, dann im Sinne des Berwal-
tungsraths, die allgemeine, unerläßliche Bedingung der „Hilfsbedürftig-
keit" durch das Wort „insbesondere" zu einem vereinzelten Attribut herabge¬
drückt, nachdem man das Wort „Unterstützungen" aus dem alten K. 1 in der
neuen Fassung (§. 11 und 17) zu „Gaben" umgeformt; nachdem man in der
historischen Einleitung die Bezeichnung der Stiftung als „für verdienstvolle
und hilfsbedürftige Schriftsteller ?c." beseitigt; nachdem man endlich daS
Wort „Geldunterstützungen", in K. 2, dem frühern Ausdrucke „Zinsertrag
des vorhandenen Vermögens ze." substituirt hatte, so daß nun die sich ihm
anreihende weitere Kategorie: „Hilfeleistung zu Förderung materiellen Wohl¬
ergehens" als nicht mehr ebenfalls einzig im Sinne der Unterstützung ge¬
meint sich darstellte, sich vielmehr den mannigfachsten Auslegungen anschmiegte;
nachdem man aber auch noch — immer im Namen der Freiheit — der Ge¬
neralversammlung das Recht zurückerobert hatte, denselben Vorort, so oft man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/366>, abgerufen am 15.01.2025.