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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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gewesen sein, sicher kein Zeitgenosse, wie der Daniel unseres Buches hätte ge¬
wesen sein müssen. Was dem Ezechiel von diesem Daniel überliefert war und
ob noch etwas von dieser Ueberlieferung auf die Späteren und selbst auf den
Verfasser unseres Buches gekommen ist, entzieht sich unsrer Beobachtung. Wahr¬
scheinlich nahm derselbe aber den Namen aus Ezechiel. Nun kommt außerdem
der Name Daniel nur noch vor bei einem Zeitgenossen Esras (Esra8, 2; Reh.
10. 7). Da nun auch die Namen Misael, Asarja und Hananja, von denen der
erste ganz selten ist, gleichfalls Von Zeitgenossen Esras geführt werden (Reh.
8.4; 10,3; 10,24), so ist es wahrscheinlich, daß der Verfasser an diese Männer
dachte, wobei er sich allerdings um IV" Jahrhundert geirrt haben muß.

Außer manchen geschichtlichen Thatsachen werden im Buche Daniel wohl
einige jüdische und vielleicht auch babylonische Sagen benutzt. Eine Stelle bei
dem babylonischen Schriftsteller Abydenus läßt den Nebukadnezar auf sein Haus
steigen und da plötzlich Unglück über sein Reich prophezeien, worauf er stirbt.
Die Stelle hat auch im Einzelnen Ähnlichkeit mit Daniel Cap. 4, und es ist
möglich, daß der Verfasser hier eine babylonische Sage auf seine Weise gestaltet
hat. Und so mag er noch anderes Derartige benutzt haben. Aber er waltet
mit dem überlieferten Stoff ganz frei, und gerade die wesentlichsten Züge der
Erzählung sind sein Eigenthum.

Wie allen religiösen Schriftstellern dieser Zeit schweben auch ihm die alten
Muster der heiligen Schriften vor. In Sprache und Gedanken zeigt sich eine
Einwirkung des Pentateuchs, Ezechiels. Jeremias, Esras, Nehemias und Wohl
noch andrer Bücher. Das nächste Vorbild ist ihm der Prophet Ezechiel, der
zuerst die Zukunft in systematischer Folge von Bildern und Zahlen dargestellt
hat, aber er übertrifft diesen nüchtern reflectirenden Propheten bei weitem.

Das Buch Daniel ist eine der bedeutendsten Erscheinungen der hebräischen
Literatur. Wenn man von den UnVollkommenheiten der Zeit absieht, muß man
das Geschick und den hohen Sinn des Verfassers bewundern. Namentlich die
erzählenden Theile sind bedeutend, vor allem die Erzählung vom Gastmahl
Belsazars. Wir haben hier eine originelle Phantasie wie in wenigen Stücken
des Alten Testaments, und dabei viel Geschick in der ganzen Darstellung.
Freilich muß man nicbt den Maßstab der geschichtlichen Erzählung anlegen und
die supranaturalistische Richtung der Zeit stets im Auge behalten. Man darf
sich auch nicht zu sehr daran stoßen, daß der Verfasser unter falschem Namen
schrieb. Eine derartige Fiction war bei den Hebräern seit alter Zeit etwas gar
nicht Ungewöhnliches. Wer sich bewußt war, im Geiste der alten Lehrer und
Seher zu schreiben, hielt sich auch für berechtigt, ihren Namen seiner Schrift
vorzusetzen, um ihnen dadurch eine ebenso große Wirksamkeit zu verschaffen, als
wenn sie wirklich von jenen abstammten.

Für die Anschauungen und Gesinnungen der Kreise, aus denen die makka-


Grenzboten III. 186S. 48

gewesen sein, sicher kein Zeitgenosse, wie der Daniel unseres Buches hätte ge¬
wesen sein müssen. Was dem Ezechiel von diesem Daniel überliefert war und
ob noch etwas von dieser Ueberlieferung auf die Späteren und selbst auf den
Verfasser unseres Buches gekommen ist, entzieht sich unsrer Beobachtung. Wahr¬
scheinlich nahm derselbe aber den Namen aus Ezechiel. Nun kommt außerdem
der Name Daniel nur noch vor bei einem Zeitgenossen Esras (Esra8, 2; Reh.
10. 7). Da nun auch die Namen Misael, Asarja und Hananja, von denen der
erste ganz selten ist, gleichfalls Von Zeitgenossen Esras geführt werden (Reh.
8.4; 10,3; 10,24), so ist es wahrscheinlich, daß der Verfasser an diese Männer
dachte, wobei er sich allerdings um IV« Jahrhundert geirrt haben muß.

Außer manchen geschichtlichen Thatsachen werden im Buche Daniel wohl
einige jüdische und vielleicht auch babylonische Sagen benutzt. Eine Stelle bei
dem babylonischen Schriftsteller Abydenus läßt den Nebukadnezar auf sein Haus
steigen und da plötzlich Unglück über sein Reich prophezeien, worauf er stirbt.
Die Stelle hat auch im Einzelnen Ähnlichkeit mit Daniel Cap. 4, und es ist
möglich, daß der Verfasser hier eine babylonische Sage auf seine Weise gestaltet
hat. Und so mag er noch anderes Derartige benutzt haben. Aber er waltet
mit dem überlieferten Stoff ganz frei, und gerade die wesentlichsten Züge der
Erzählung sind sein Eigenthum.

Wie allen religiösen Schriftstellern dieser Zeit schweben auch ihm die alten
Muster der heiligen Schriften vor. In Sprache und Gedanken zeigt sich eine
Einwirkung des Pentateuchs, Ezechiels. Jeremias, Esras, Nehemias und Wohl
noch andrer Bücher. Das nächste Vorbild ist ihm der Prophet Ezechiel, der
zuerst die Zukunft in systematischer Folge von Bildern und Zahlen dargestellt
hat, aber er übertrifft diesen nüchtern reflectirenden Propheten bei weitem.

Das Buch Daniel ist eine der bedeutendsten Erscheinungen der hebräischen
Literatur. Wenn man von den UnVollkommenheiten der Zeit absieht, muß man
das Geschick und den hohen Sinn des Verfassers bewundern. Namentlich die
erzählenden Theile sind bedeutend, vor allem die Erzählung vom Gastmahl
Belsazars. Wir haben hier eine originelle Phantasie wie in wenigen Stücken
des Alten Testaments, und dabei viel Geschick in der ganzen Darstellung.
Freilich muß man nicbt den Maßstab der geschichtlichen Erzählung anlegen und
die supranaturalistische Richtung der Zeit stets im Auge behalten. Man darf
sich auch nicht zu sehr daran stoßen, daß der Verfasser unter falschem Namen
schrieb. Eine derartige Fiction war bei den Hebräern seit alter Zeit etwas gar
nicht Ungewöhnliches. Wer sich bewußt war, im Geiste der alten Lehrer und
Seher zu schreiben, hielt sich auch für berechtigt, ihren Namen seiner Schrift
vorzusetzen, um ihnen dadurch eine ebenso große Wirksamkeit zu verschaffen, als
wenn sie wirklich von jenen abstammten.

Für die Anschauungen und Gesinnungen der Kreise, aus denen die makka-


Grenzboten III. 186S. 48
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[0359] gewesen sein, sicher kein Zeitgenosse, wie der Daniel unseres Buches hätte ge¬ wesen sein müssen. Was dem Ezechiel von diesem Daniel überliefert war und ob noch etwas von dieser Ueberlieferung auf die Späteren und selbst auf den Verfasser unseres Buches gekommen ist, entzieht sich unsrer Beobachtung. Wahr¬ scheinlich nahm derselbe aber den Namen aus Ezechiel. Nun kommt außerdem der Name Daniel nur noch vor bei einem Zeitgenossen Esras (Esra8, 2; Reh. 10. 7). Da nun auch die Namen Misael, Asarja und Hananja, von denen der erste ganz selten ist, gleichfalls Von Zeitgenossen Esras geführt werden (Reh. 8.4; 10,3; 10,24), so ist es wahrscheinlich, daß der Verfasser an diese Männer dachte, wobei er sich allerdings um IV« Jahrhundert geirrt haben muß. Außer manchen geschichtlichen Thatsachen werden im Buche Daniel wohl einige jüdische und vielleicht auch babylonische Sagen benutzt. Eine Stelle bei dem babylonischen Schriftsteller Abydenus läßt den Nebukadnezar auf sein Haus steigen und da plötzlich Unglück über sein Reich prophezeien, worauf er stirbt. Die Stelle hat auch im Einzelnen Ähnlichkeit mit Daniel Cap. 4, und es ist möglich, daß der Verfasser hier eine babylonische Sage auf seine Weise gestaltet hat. Und so mag er noch anderes Derartige benutzt haben. Aber er waltet mit dem überlieferten Stoff ganz frei, und gerade die wesentlichsten Züge der Erzählung sind sein Eigenthum. Wie allen religiösen Schriftstellern dieser Zeit schweben auch ihm die alten Muster der heiligen Schriften vor. In Sprache und Gedanken zeigt sich eine Einwirkung des Pentateuchs, Ezechiels. Jeremias, Esras, Nehemias und Wohl noch andrer Bücher. Das nächste Vorbild ist ihm der Prophet Ezechiel, der zuerst die Zukunft in systematischer Folge von Bildern und Zahlen dargestellt hat, aber er übertrifft diesen nüchtern reflectirenden Propheten bei weitem. Das Buch Daniel ist eine der bedeutendsten Erscheinungen der hebräischen Literatur. Wenn man von den UnVollkommenheiten der Zeit absieht, muß man das Geschick und den hohen Sinn des Verfassers bewundern. Namentlich die erzählenden Theile sind bedeutend, vor allem die Erzählung vom Gastmahl Belsazars. Wir haben hier eine originelle Phantasie wie in wenigen Stücken des Alten Testaments, und dabei viel Geschick in der ganzen Darstellung. Freilich muß man nicbt den Maßstab der geschichtlichen Erzählung anlegen und die supranaturalistische Richtung der Zeit stets im Auge behalten. Man darf sich auch nicht zu sehr daran stoßen, daß der Verfasser unter falschem Namen schrieb. Eine derartige Fiction war bei den Hebräern seit alter Zeit etwas gar nicht Ungewöhnliches. Wer sich bewußt war, im Geiste der alten Lehrer und Seher zu schreiben, hielt sich auch für berechtigt, ihren Namen seiner Schrift vorzusetzen, um ihnen dadurch eine ebenso große Wirksamkeit zu verschaffen, als wenn sie wirklich von jenen abstammten. Für die Anschauungen und Gesinnungen der Kreise, aus denen die makka- Grenzboten III. 186S. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/359>, abgerufen am 15.01.2025.