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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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sprachgeschichtliche Folgerungen aus dem Sprachewechsel innerhalb desselben zu
ziehen, Folgerungen, die auch von andern Seiten her bestätigt werden. In
dieser Periode starb nämlich die alte hebräische Spraye als Volkssprache aus,
und machte der nahverwandten aramäischen Platz, der sich die Nachbarvölker
bedienten. Als Literatur- und Gesetzessprache lebte aber die hebräische noch
fort, und so ist es erklärlich, daß ein Schriftsteller sogar mitten in einer Er¬
zählung aus einer in die andre überging, ähnlich wie der Kompilator des jetzigen
Esrabuches, je nach der Sprache seiner Quellen, bald hebräisch bald aramäisch
schreibt. Das Hebräische zeigt in unserm Buche im Wesentlichen denselben
Charakter, wie in den andern jüngsten Schriften des Allen Testaments. Trotz¬
dem daß der Verfasser mitunter absichtlich Archaismen aus der Sprache des
Pentateuchs anbringt, verstößt er doch öfter gegen den feinen Sprachgebrauch
der älteren Zeit und aramaisirt auch, wo er hebräisch schreibt. Doch auch diese
Erscheinung ließe sich zur Noth wohl bei einem ältern, unter Aramäern lebenden
Schriftsteller erklären. Vollkommen unerklärlich wären aber bei einem solchen
die griechischen Wörter, welche im dritten Capitel vorkommen. Solche deuten
entschieden auf die Zeit nach Alexander. Das Schwanken der Aussprache und
Orthographie bei diesen Wörtern -- es sind die Namen der musikalischen In¬
strumente KitKaris, SÄinb^Kö, symptrouig, und psalterion -- ist
für Fremdwörter charakteristisch, während übrigens die ländliche Umwandlung,
die sie hier erleiden, ganz der Art entspricht, welche bei den zahllosen griechischen
Wörtern in den nachbiblischen Schriften der Juden angewandt wird.

Wo die Unechtheit so klar vorliegt, brauchen wir uns bei Nebengründen,
wie der Nichterwähnung des Daniel im Sirach, der doch die großen Propheten
so sehr preist, nicht aufzuhalten.

Aus dem Gesagten ist Veranlassung und Zweck unseres Buches schon
deutlich. Bei den furchtbaren Religionsverfolgungen des Antiochus Epiphanes
erhob sich ein kühner Geist, um sich selbst und seinen Religionsgenossen Muth
einzuflößen. Die sichere Hoffnung, daß die alten Weissagungen erfüllt werden
büßten, die allgemein menschliche und speciell israelitische Anschauung, daß
Gottes Hilfe dann am nächsten, wenn die Noth am größten, entflammten ihn
Zu Aussichten auf die Zukunft im Geiste der alten Propheten. Aber da die
alte Prophetie längst für erloschen galt (Ps. 74,9; 1 Matt. 14.41), so hätte er.
wenn er in seinem eigenen Namen redete, nicht auf einen Glauben rechnen
können, wie ihn der Prophet verlangt. Darum verhüllt er sich hinter dem
Namen eines alten heiligen Mannes. Um die Glaubwürdigkeit vollständig zu
Zacher, schildert er die Vergangenheit als ferne Zukunft, theils in leicht durch¬
schaubaren Bildern und Andeutungen, theils ganz deutlich. Einem Scher, der
Zukunft bis auf die Tage der Leser gekannt hatte, konnte man auch für
d'e fernere Zeit vertrauen. Die daraus hervorgehende Gewißheit vom nahe


sprachgeschichtliche Folgerungen aus dem Sprachewechsel innerhalb desselben zu
ziehen, Folgerungen, die auch von andern Seiten her bestätigt werden. In
dieser Periode starb nämlich die alte hebräische Spraye als Volkssprache aus,
und machte der nahverwandten aramäischen Platz, der sich die Nachbarvölker
bedienten. Als Literatur- und Gesetzessprache lebte aber die hebräische noch
fort, und so ist es erklärlich, daß ein Schriftsteller sogar mitten in einer Er¬
zählung aus einer in die andre überging, ähnlich wie der Kompilator des jetzigen
Esrabuches, je nach der Sprache seiner Quellen, bald hebräisch bald aramäisch
schreibt. Das Hebräische zeigt in unserm Buche im Wesentlichen denselben
Charakter, wie in den andern jüngsten Schriften des Allen Testaments. Trotz¬
dem daß der Verfasser mitunter absichtlich Archaismen aus der Sprache des
Pentateuchs anbringt, verstößt er doch öfter gegen den feinen Sprachgebrauch
der älteren Zeit und aramaisirt auch, wo er hebräisch schreibt. Doch auch diese
Erscheinung ließe sich zur Noth wohl bei einem ältern, unter Aramäern lebenden
Schriftsteller erklären. Vollkommen unerklärlich wären aber bei einem solchen
die griechischen Wörter, welche im dritten Capitel vorkommen. Solche deuten
entschieden auf die Zeit nach Alexander. Das Schwanken der Aussprache und
Orthographie bei diesen Wörtern — es sind die Namen der musikalischen In¬
strumente KitKaris, SÄinb^Kö, symptrouig, und psalterion — ist
für Fremdwörter charakteristisch, während übrigens die ländliche Umwandlung,
die sie hier erleiden, ganz der Art entspricht, welche bei den zahllosen griechischen
Wörtern in den nachbiblischen Schriften der Juden angewandt wird.

Wo die Unechtheit so klar vorliegt, brauchen wir uns bei Nebengründen,
wie der Nichterwähnung des Daniel im Sirach, der doch die großen Propheten
so sehr preist, nicht aufzuhalten.

Aus dem Gesagten ist Veranlassung und Zweck unseres Buches schon
deutlich. Bei den furchtbaren Religionsverfolgungen des Antiochus Epiphanes
erhob sich ein kühner Geist, um sich selbst und seinen Religionsgenossen Muth
einzuflößen. Die sichere Hoffnung, daß die alten Weissagungen erfüllt werden
büßten, die allgemein menschliche und speciell israelitische Anschauung, daß
Gottes Hilfe dann am nächsten, wenn die Noth am größten, entflammten ihn
Zu Aussichten auf die Zukunft im Geiste der alten Propheten. Aber da die
alte Prophetie längst für erloschen galt (Ps. 74,9; 1 Matt. 14.41), so hätte er.
wenn er in seinem eigenen Namen redete, nicht auf einen Glauben rechnen
können, wie ihn der Prophet verlangt. Darum verhüllt er sich hinter dem
Namen eines alten heiligen Mannes. Um die Glaubwürdigkeit vollständig zu
Zacher, schildert er die Vergangenheit als ferne Zukunft, theils in leicht durch¬
schaubaren Bildern und Andeutungen, theils ganz deutlich. Einem Scher, der
Zukunft bis auf die Tage der Leser gekannt hatte, konnte man auch für
d'e fernere Zeit vertrauen. Die daraus hervorgehende Gewißheit vom nahe


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[0357] sprachgeschichtliche Folgerungen aus dem Sprachewechsel innerhalb desselben zu ziehen, Folgerungen, die auch von andern Seiten her bestätigt werden. In dieser Periode starb nämlich die alte hebräische Spraye als Volkssprache aus, und machte der nahverwandten aramäischen Platz, der sich die Nachbarvölker bedienten. Als Literatur- und Gesetzessprache lebte aber die hebräische noch fort, und so ist es erklärlich, daß ein Schriftsteller sogar mitten in einer Er¬ zählung aus einer in die andre überging, ähnlich wie der Kompilator des jetzigen Esrabuches, je nach der Sprache seiner Quellen, bald hebräisch bald aramäisch schreibt. Das Hebräische zeigt in unserm Buche im Wesentlichen denselben Charakter, wie in den andern jüngsten Schriften des Allen Testaments. Trotz¬ dem daß der Verfasser mitunter absichtlich Archaismen aus der Sprache des Pentateuchs anbringt, verstößt er doch öfter gegen den feinen Sprachgebrauch der älteren Zeit und aramaisirt auch, wo er hebräisch schreibt. Doch auch diese Erscheinung ließe sich zur Noth wohl bei einem ältern, unter Aramäern lebenden Schriftsteller erklären. Vollkommen unerklärlich wären aber bei einem solchen die griechischen Wörter, welche im dritten Capitel vorkommen. Solche deuten entschieden auf die Zeit nach Alexander. Das Schwanken der Aussprache und Orthographie bei diesen Wörtern — es sind die Namen der musikalischen In¬ strumente KitKaris, SÄinb^Kö, symptrouig, und psalterion — ist für Fremdwörter charakteristisch, während übrigens die ländliche Umwandlung, die sie hier erleiden, ganz der Art entspricht, welche bei den zahllosen griechischen Wörtern in den nachbiblischen Schriften der Juden angewandt wird. Wo die Unechtheit so klar vorliegt, brauchen wir uns bei Nebengründen, wie der Nichterwähnung des Daniel im Sirach, der doch die großen Propheten so sehr preist, nicht aufzuhalten. Aus dem Gesagten ist Veranlassung und Zweck unseres Buches schon deutlich. Bei den furchtbaren Religionsverfolgungen des Antiochus Epiphanes erhob sich ein kühner Geist, um sich selbst und seinen Religionsgenossen Muth einzuflößen. Die sichere Hoffnung, daß die alten Weissagungen erfüllt werden büßten, die allgemein menschliche und speciell israelitische Anschauung, daß Gottes Hilfe dann am nächsten, wenn die Noth am größten, entflammten ihn Zu Aussichten auf die Zukunft im Geiste der alten Propheten. Aber da die alte Prophetie längst für erloschen galt (Ps. 74,9; 1 Matt. 14.41), so hätte er. wenn er in seinem eigenen Namen redete, nicht auf einen Glauben rechnen können, wie ihn der Prophet verlangt. Darum verhüllt er sich hinter dem Namen eines alten heiligen Mannes. Um die Glaubwürdigkeit vollständig zu Zacher, schildert er die Vergangenheit als ferne Zukunft, theils in leicht durch¬ schaubaren Bildern und Andeutungen, theils ganz deutlich. Einem Scher, der Zukunft bis auf die Tage der Leser gekannt hatte, konnte man auch für d'e fernere Zeit vertrauen. Die daraus hervorgehende Gewißheit vom nahe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/357>, abgerufen am 15.01.2025.