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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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jemals erlassenen Reinlichkeits-, Ordnungs-, Sicherheits- und Gesundheitsvor¬
schriften verhöhnen. Und unter diesen Gebäuden sind die Militär" und anderen
Staatsgebäude, die Stammhäuser einiger besonders bevorzugten Adelsfamilien
und einige Klöster, kurz Gebäude, deren Besitzer oder Bewohner über dem Ge¬
setz, zu stehen vermeinen, und gegen welche auch gewiß kein Aufsichtsorgan von
einer Verbindlichkeit zur Erfüllung allgemeingiltiger Vorschriften zu sprechen sich
erkühnen wird. Geschah es doch, als der Gemeinderath mehre Magnaten
und Prälaten ersuchte, ihre nach altmittelalterlicher Weise ringsum mit schweren
Ketten umschlossenen und vielfach mit scharfen Eisenspitzen besetzten Häuser so
viel als möglich dieses die Passage hemmenden und gefährlichen Eisenschmuckes
zu entkleiden, und mehre liberaldenkende Cavaliere sich beeilten, diesen Wunsch
ihrer Mitbürger zu erfüllen, einige andere das im bescheidensten Tone vorge¬
tragene Ansuchen mit den Worten beantworteten, daß "es ihnen eben nicht
genehm sei, den wiener Herren zu Gefallen zu stehen". Ja, als man auf dem
Ausläufer des laaer Berges einen neuen Friedhof anlegen wollte und der
Kriegsminister jede Benutzung dieses Platzes untersagte, weil derselbe bereits
zur Anlage eines Befestigungswerkes ausgewählt worden sei, die intelligentesten
Vertreter der Stadt aber und mehre Parlamentsmitglieder gegen jede Be¬
festigung der Stadt überhaupt und insbesonders gegen die Ausführung dieser
unglücklichen Idee während der gegenwärtigen Finanznoth sprachen, so wurden
diese Redner mit Schmäh- und Drohbriefen überschüttet, und zwei besonders
eifrige Verfechter der Militärherrschaft vermaßen sich sogar zu der Aeußerung: "daß
sich jetzt bereits Schuster und Schneider ein Urtheil über die Befestigung Wiens
angemaßt hätten" und "daß diese Leute nur darum die militärische Kraft des
Staates untergraben und die Todesstrafe abschaffen wollten, weil die erstere
ihren finsteren Absichten entgegenstehe und die letztere ihnen als ein noch vom
Jahre 1848 her drohendes Gespenst lästig falle."

Auch in der neuesten Zeit fehlt es nicht an ähnlichen Übergriffen der
Militärbehörde, Die seit Langem angestrebte und vorbereitete Erweiterung und
Regulirung einer Gasse bei der Franz-Josephstaserne muß wegen der von dem
Kriegsminister gestellten Forderung, daß der Eingang derselben von zwei Fen¬
stern jener Kaserne eingesehen werden müsse, unterbleiben. Man fürchtet sich
also noch immer vor der Revolution, bedenkt aber nicht, daß eine starke, gut
bewaffnete, wohl geführte und zu allem entschlossene Volksmasse -- und nur
eine solche wird an die Bestürmung einer von zwei- bis dreitausend Soldaten
besetzten Kaserne gehen -- sich durch die hinter jenen zwei Fenstern drohenden
sechs bis acht Musketen nicht wird zurückschrecken lassen. Die große Furcht,
welche man vor einem möglichen Volksaufstand hegt, läßt sich übrigens auch
aus manchen andern Dingen erkennen. So ist z. B. diese Kaserne nicht nur
durch elektrische Telegraphenleitungen mit der Burg und dem Arsenal verbunden,


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jemals erlassenen Reinlichkeits-, Ordnungs-, Sicherheits- und Gesundheitsvor¬
schriften verhöhnen. Und unter diesen Gebäuden sind die Militär« und anderen
Staatsgebäude, die Stammhäuser einiger besonders bevorzugten Adelsfamilien
und einige Klöster, kurz Gebäude, deren Besitzer oder Bewohner über dem Ge¬
setz, zu stehen vermeinen, und gegen welche auch gewiß kein Aufsichtsorgan von
einer Verbindlichkeit zur Erfüllung allgemeingiltiger Vorschriften zu sprechen sich
erkühnen wird. Geschah es doch, als der Gemeinderath mehre Magnaten
und Prälaten ersuchte, ihre nach altmittelalterlicher Weise ringsum mit schweren
Ketten umschlossenen und vielfach mit scharfen Eisenspitzen besetzten Häuser so
viel als möglich dieses die Passage hemmenden und gefährlichen Eisenschmuckes
zu entkleiden, und mehre liberaldenkende Cavaliere sich beeilten, diesen Wunsch
ihrer Mitbürger zu erfüllen, einige andere das im bescheidensten Tone vorge¬
tragene Ansuchen mit den Worten beantworteten, daß „es ihnen eben nicht
genehm sei, den wiener Herren zu Gefallen zu stehen". Ja, als man auf dem
Ausläufer des laaer Berges einen neuen Friedhof anlegen wollte und der
Kriegsminister jede Benutzung dieses Platzes untersagte, weil derselbe bereits
zur Anlage eines Befestigungswerkes ausgewählt worden sei, die intelligentesten
Vertreter der Stadt aber und mehre Parlamentsmitglieder gegen jede Be¬
festigung der Stadt überhaupt und insbesonders gegen die Ausführung dieser
unglücklichen Idee während der gegenwärtigen Finanznoth sprachen, so wurden
diese Redner mit Schmäh- und Drohbriefen überschüttet, und zwei besonders
eifrige Verfechter der Militärherrschaft vermaßen sich sogar zu der Aeußerung: „daß
sich jetzt bereits Schuster und Schneider ein Urtheil über die Befestigung Wiens
angemaßt hätten" und „daß diese Leute nur darum die militärische Kraft des
Staates untergraben und die Todesstrafe abschaffen wollten, weil die erstere
ihren finsteren Absichten entgegenstehe und die letztere ihnen als ein noch vom
Jahre 1848 her drohendes Gespenst lästig falle."

Auch in der neuesten Zeit fehlt es nicht an ähnlichen Übergriffen der
Militärbehörde, Die seit Langem angestrebte und vorbereitete Erweiterung und
Regulirung einer Gasse bei der Franz-Josephstaserne muß wegen der von dem
Kriegsminister gestellten Forderung, daß der Eingang derselben von zwei Fen¬
stern jener Kaserne eingesehen werden müsse, unterbleiben. Man fürchtet sich
also noch immer vor der Revolution, bedenkt aber nicht, daß eine starke, gut
bewaffnete, wohl geführte und zu allem entschlossene Volksmasse — und nur
eine solche wird an die Bestürmung einer von zwei- bis dreitausend Soldaten
besetzten Kaserne gehen — sich durch die hinter jenen zwei Fenstern drohenden
sechs bis acht Musketen nicht wird zurückschrecken lassen. Die große Furcht,
welche man vor einem möglichen Volksaufstand hegt, läßt sich übrigens auch
aus manchen andern Dingen erkennen. So ist z. B. diese Kaserne nicht nur
durch elektrische Telegraphenleitungen mit der Burg und dem Arsenal verbunden,


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[0335] jemals erlassenen Reinlichkeits-, Ordnungs-, Sicherheits- und Gesundheitsvor¬ schriften verhöhnen. Und unter diesen Gebäuden sind die Militär« und anderen Staatsgebäude, die Stammhäuser einiger besonders bevorzugten Adelsfamilien und einige Klöster, kurz Gebäude, deren Besitzer oder Bewohner über dem Ge¬ setz, zu stehen vermeinen, und gegen welche auch gewiß kein Aufsichtsorgan von einer Verbindlichkeit zur Erfüllung allgemeingiltiger Vorschriften zu sprechen sich erkühnen wird. Geschah es doch, als der Gemeinderath mehre Magnaten und Prälaten ersuchte, ihre nach altmittelalterlicher Weise ringsum mit schweren Ketten umschlossenen und vielfach mit scharfen Eisenspitzen besetzten Häuser so viel als möglich dieses die Passage hemmenden und gefährlichen Eisenschmuckes zu entkleiden, und mehre liberaldenkende Cavaliere sich beeilten, diesen Wunsch ihrer Mitbürger zu erfüllen, einige andere das im bescheidensten Tone vorge¬ tragene Ansuchen mit den Worten beantworteten, daß „es ihnen eben nicht genehm sei, den wiener Herren zu Gefallen zu stehen". Ja, als man auf dem Ausläufer des laaer Berges einen neuen Friedhof anlegen wollte und der Kriegsminister jede Benutzung dieses Platzes untersagte, weil derselbe bereits zur Anlage eines Befestigungswerkes ausgewählt worden sei, die intelligentesten Vertreter der Stadt aber und mehre Parlamentsmitglieder gegen jede Be¬ festigung der Stadt überhaupt und insbesonders gegen die Ausführung dieser unglücklichen Idee während der gegenwärtigen Finanznoth sprachen, so wurden diese Redner mit Schmäh- und Drohbriefen überschüttet, und zwei besonders eifrige Verfechter der Militärherrschaft vermaßen sich sogar zu der Aeußerung: „daß sich jetzt bereits Schuster und Schneider ein Urtheil über die Befestigung Wiens angemaßt hätten" und „daß diese Leute nur darum die militärische Kraft des Staates untergraben und die Todesstrafe abschaffen wollten, weil die erstere ihren finsteren Absichten entgegenstehe und die letztere ihnen als ein noch vom Jahre 1848 her drohendes Gespenst lästig falle." Auch in der neuesten Zeit fehlt es nicht an ähnlichen Übergriffen der Militärbehörde, Die seit Langem angestrebte und vorbereitete Erweiterung und Regulirung einer Gasse bei der Franz-Josephstaserne muß wegen der von dem Kriegsminister gestellten Forderung, daß der Eingang derselben von zwei Fen¬ stern jener Kaserne eingesehen werden müsse, unterbleiben. Man fürchtet sich also noch immer vor der Revolution, bedenkt aber nicht, daß eine starke, gut bewaffnete, wohl geführte und zu allem entschlossene Volksmasse — und nur eine solche wird an die Bestürmung einer von zwei- bis dreitausend Soldaten besetzten Kaserne gehen — sich durch die hinter jenen zwei Fenstern drohenden sechs bis acht Musketen nicht wird zurückschrecken lassen. Die große Furcht, welche man vor einem möglichen Volksaufstand hegt, läßt sich übrigens auch aus manchen andern Dingen erkennen. So ist z. B. diese Kaserne nicht nur durch elektrische Telegraphenleitungen mit der Burg und dem Arsenal verbunden, 45"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/335>, abgerufen am 15.01.2025.