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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ließ, was nunmehr wahrscheinlich geschehen dürste, da die aus dem sogenannten
Stadterweiterungsfond ausgeworfene Summe kaum hinreicht, um das bereits
Beendete zu erhalten.

Die dringende Nothwendigkeit, bei der durch die Festungswälle und die
zahlreichen Bauvcrbote, sowie durch die an sich überaus engen und unregelmä¬
ßigen Gassen der innern Stadt herbeigeführten Hemmung des Verkehrs eine
Abhilfe zu treffen, wurde allgemein gefühlt und wiederholt mündlich und
schriftlich der Regierung mitgetheilt. Die kaum glaubliche Ueberfüllung mancher
Quartiere hatte die nachtheiligsten physischen und moralischen Folgen, und na¬
mentlich mußte die andauernde Heftigkeit der von 18S4--18S5 grassirenden
Cholera- und mehrer Typhusepidemien nur dieser Ueberfüllung zugeschrieben
werden. Die Micthszinse stiegen auf unerschwingliche Höhe, und es wurden,
da viele Aemter in gemietheten Legalitäten untergebracht werden und ungeach-
tet aller Kasernenbautcn die meisten Offiziere und Beamten Privatwohnungen
beziehen mußten, auch die Finanzen in fühlbarer Weise mitgenommen. So
überstieg z. B. zu jener Zeit die Gage eines Lieutenants das demselben aus¬
gezahlte Quarticrgeld nur um wenige Gulden.

War man nun von der Nothwendigkeit überzeugt, daß in dieser Sache
wirklich einmal Etwas geschehen müsse, oder war es der Gedanke, die Gründe
um die Stadt, welche, da ihr Eigenthumsrecht zweifelhaft, als Eigenthum des
,,k. k. Acrars" angesehen wurden, bestens zu verwerthen, oder trieb endlich Nach¬
ahmungssucht an, zu der von Napoleon dem Dritten unternommenen Umge¬
staltung der Seinestadt ein Gegenstück an der Donau zu schaffen: genug, es
geschah wirklich etwas. Am ersten Wcihnachrstagc 1857 wurde ein kaiserliches Decret
veröffentlicht, durch welches Wien ans der Liste der östreichischen Festungen ge¬
strichen wurde. Mit der Entwaffnung und Demolirung der Stadtwälle sollte
sogleich begonnen und in geregelter Weise fortgefahren werden, wobei auf die
beschränktesten Passagen vorzugsweise Rücksicht genommen werden sollte. Die
Bauverbote und Beschränkungen, soweit ihnen fortisicatorische Rücksichten zu
Grunde lagen, wurden aufgehoben. Aus dem Erlös für die an die Meistbie¬
tenden verkauften Bauplätze und das bei der Demolirung der Wälle gewonnene
Baumaterial wurde ein eigener Stadtmveitcrunzssond gebildet, über dessen Be¬
stimmung und Verwaltung übrigens noch jetzt nichts Genaues und Befriedi¬
gendes bekannt geworden ist. In späterer Zeit sollten auch die Linienwälle
um die Vorstädte niedergerissen werden. Zugleich wurden Ingenieure und Ar¬
chitekten aufgefordert, Pläne über die Anlage der neuen Stadttheile einzusenden
und hierauf mehre ziemlich bedeutende Preise ausgeschrieben. Doch sollte
unter allen Umständen an der Beibehaltung des dermaligen Exercierplatzes in
seiner vollen Ausdehnung und an der Anlage zweier die Stadt umgebender
Straßen, der Ringstraße und der Lastcnstraße. sowie an einigen anderen, min>


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ließ, was nunmehr wahrscheinlich geschehen dürste, da die aus dem sogenannten
Stadterweiterungsfond ausgeworfene Summe kaum hinreicht, um das bereits
Beendete zu erhalten.

Die dringende Nothwendigkeit, bei der durch die Festungswälle und die
zahlreichen Bauvcrbote, sowie durch die an sich überaus engen und unregelmä¬
ßigen Gassen der innern Stadt herbeigeführten Hemmung des Verkehrs eine
Abhilfe zu treffen, wurde allgemein gefühlt und wiederholt mündlich und
schriftlich der Regierung mitgetheilt. Die kaum glaubliche Ueberfüllung mancher
Quartiere hatte die nachtheiligsten physischen und moralischen Folgen, und na¬
mentlich mußte die andauernde Heftigkeit der von 18S4—18S5 grassirenden
Cholera- und mehrer Typhusepidemien nur dieser Ueberfüllung zugeschrieben
werden. Die Micthszinse stiegen auf unerschwingliche Höhe, und es wurden,
da viele Aemter in gemietheten Legalitäten untergebracht werden und ungeach-
tet aller Kasernenbautcn die meisten Offiziere und Beamten Privatwohnungen
beziehen mußten, auch die Finanzen in fühlbarer Weise mitgenommen. So
überstieg z. B. zu jener Zeit die Gage eines Lieutenants das demselben aus¬
gezahlte Quarticrgeld nur um wenige Gulden.

War man nun von der Nothwendigkeit überzeugt, daß in dieser Sache
wirklich einmal Etwas geschehen müsse, oder war es der Gedanke, die Gründe
um die Stadt, welche, da ihr Eigenthumsrecht zweifelhaft, als Eigenthum des
,,k. k. Acrars" angesehen wurden, bestens zu verwerthen, oder trieb endlich Nach¬
ahmungssucht an, zu der von Napoleon dem Dritten unternommenen Umge¬
staltung der Seinestadt ein Gegenstück an der Donau zu schaffen: genug, es
geschah wirklich etwas. Am ersten Wcihnachrstagc 1857 wurde ein kaiserliches Decret
veröffentlicht, durch welches Wien ans der Liste der östreichischen Festungen ge¬
strichen wurde. Mit der Entwaffnung und Demolirung der Stadtwälle sollte
sogleich begonnen und in geregelter Weise fortgefahren werden, wobei auf die
beschränktesten Passagen vorzugsweise Rücksicht genommen werden sollte. Die
Bauverbote und Beschränkungen, soweit ihnen fortisicatorische Rücksichten zu
Grunde lagen, wurden aufgehoben. Aus dem Erlös für die an die Meistbie¬
tenden verkauften Bauplätze und das bei der Demolirung der Wälle gewonnene
Baumaterial wurde ein eigener Stadtmveitcrunzssond gebildet, über dessen Be¬
stimmung und Verwaltung übrigens noch jetzt nichts Genaues und Befriedi¬
gendes bekannt geworden ist. In späterer Zeit sollten auch die Linienwälle
um die Vorstädte niedergerissen werden. Zugleich wurden Ingenieure und Ar¬
chitekten aufgefordert, Pläne über die Anlage der neuen Stadttheile einzusenden
und hierauf mehre ziemlich bedeutende Preise ausgeschrieben. Doch sollte
unter allen Umständen an der Beibehaltung des dermaligen Exercierplatzes in
seiner vollen Ausdehnung und an der Anlage zweier die Stadt umgebender
Straßen, der Ringstraße und der Lastcnstraße. sowie an einigen anderen, min>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/293>, abgerufen am 15.01.2025.