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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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der bedeutenden Bestimmungen festgehalten werden. Außerdem mußte ungefähr
ein Drittheil der durch die Auflassung der'Esplanade oder des Glacis geschaf¬
fenen Bauplätze zur ausschließlichen Verfügung der Negierung reservirt bleiben;
die übrigen Baugründe konnten an die Baulustigen, deren Eifer durch verhei¬
ßene vieljährige, jedoch nicht für alle Fälle gleiche Steuerfreiheit gesteigert
wurde, verkauft werden. Indeß behielt sich die Negierung (oder vielmehr der
Hof) auch da ein entscheidendes Volum vor. So geschah es. daß ein Platz,
auf welchem die Gemeinde une Schule erbauen wollte, trotz wiederholter Bitten
des Gemeinderathes der Stadt verweigert wurde, weil das Oberstallmeisteramt
diesen Platz -- nebenbei bemerkt, einen der schönstgelegenen Punkte am Rande
der Vorstadt Mariahilf -- als Futtermagazin der kaiserlichen Hofmarställe be¬
nutzte und nicht entbehren zu können vorgab. Ebenso wurden, während Pri¬
vatunternehmer die von ihnen beanspruchten Bauparzellen um sehr hohe Preise
erstehen mußten, große Plätze um ein wahres Spottgeld an gewisse Begünstigte
verkauft. Ein.Prinz, welcher ein vor seinem Palais befindliches kaum einige
Quadratklaftern messendes Fleckchen der Stadt überließ, erhielt von derselben
als Entschädigung einen an der Ringstraße liegenden freien Platz zur Erbauung
eines neuen Palais, verkaufte aber denselben später um eine enorme Summe
und sing auf einem Platze zu bauen an, welcher ihm unter irgendwelchem
Lorwande von der Regierung geschenkt worden war.

Gleichzeitig wurde eine neue Bauordnung veröffentlicht, wodurch allerdings
mancherlei lästige Beschränkungen aufgehoben wurden, andrerseits aber der Schlendrian
und der Betrug freieren Spielraum erhielten. Die Erdgeschosse brauchten fortan
nicht mehr gewölbt zu werden, die Thür- und Fensterstöcke konnten aus be¬
liebigem Material verfertigt sein, die Höhe der Häuser und die Zahl der Etagen
wurden gar keiner Beschränkung unterzogen, und so stiegen denn alsbald thurm-
artige Kolosse in die Höhe, deren Inneres häufig gegen das Licht und die
frische Luft fast hermetisch abgeschlossen war, und welche daher von einer be¬
rühmten medicinischen Autorität mit Recht Plantagen des Typhus und der
Tuberkulose genannt wurden. Doch war die Gestattung der vermehrten An¬
wendung des Eisens und die Beseitigung mehrer polizeilicher Sicherheitsma߬
regeln oder besser gesagt Plackereien immerhin ein Fortschritt.

Da nun aber auch in Oestreich nichts vollkommen sein kann, so wurde
auch das Wenige, was man gegeben, beschnitten und durch verschiedene Zusätze
und Nebenbedingungen verunstaltet. Man hatte allerdings schon früher den
Belagerungszustand aufgehoben, aber die Wahrzeichen desselben noch immer bei¬
behalten. Welches Unglück konnte durch ein Zuviel von Freiheit oder wenigstens
durch die Aussicht auf ein solches Zuviel gestiftet werden! Man durfte zwar
"von dem Tacte", d. h. von der Zähigkeit und volksfeindlichen Gesinnung der
mit der Vollziehung dieser Maßregeln beauftragten, unter dem schütze des Ab-


der bedeutenden Bestimmungen festgehalten werden. Außerdem mußte ungefähr
ein Drittheil der durch die Auflassung der'Esplanade oder des Glacis geschaf¬
fenen Bauplätze zur ausschließlichen Verfügung der Negierung reservirt bleiben;
die übrigen Baugründe konnten an die Baulustigen, deren Eifer durch verhei¬
ßene vieljährige, jedoch nicht für alle Fälle gleiche Steuerfreiheit gesteigert
wurde, verkauft werden. Indeß behielt sich die Negierung (oder vielmehr der
Hof) auch da ein entscheidendes Volum vor. So geschah es. daß ein Platz,
auf welchem die Gemeinde une Schule erbauen wollte, trotz wiederholter Bitten
des Gemeinderathes der Stadt verweigert wurde, weil das Oberstallmeisteramt
diesen Platz — nebenbei bemerkt, einen der schönstgelegenen Punkte am Rande
der Vorstadt Mariahilf — als Futtermagazin der kaiserlichen Hofmarställe be¬
nutzte und nicht entbehren zu können vorgab. Ebenso wurden, während Pri¬
vatunternehmer die von ihnen beanspruchten Bauparzellen um sehr hohe Preise
erstehen mußten, große Plätze um ein wahres Spottgeld an gewisse Begünstigte
verkauft. Ein.Prinz, welcher ein vor seinem Palais befindliches kaum einige
Quadratklaftern messendes Fleckchen der Stadt überließ, erhielt von derselben
als Entschädigung einen an der Ringstraße liegenden freien Platz zur Erbauung
eines neuen Palais, verkaufte aber denselben später um eine enorme Summe
und sing auf einem Platze zu bauen an, welcher ihm unter irgendwelchem
Lorwande von der Regierung geschenkt worden war.

Gleichzeitig wurde eine neue Bauordnung veröffentlicht, wodurch allerdings
mancherlei lästige Beschränkungen aufgehoben wurden, andrerseits aber der Schlendrian
und der Betrug freieren Spielraum erhielten. Die Erdgeschosse brauchten fortan
nicht mehr gewölbt zu werden, die Thür- und Fensterstöcke konnten aus be¬
liebigem Material verfertigt sein, die Höhe der Häuser und die Zahl der Etagen
wurden gar keiner Beschränkung unterzogen, und so stiegen denn alsbald thurm-
artige Kolosse in die Höhe, deren Inneres häufig gegen das Licht und die
frische Luft fast hermetisch abgeschlossen war, und welche daher von einer be¬
rühmten medicinischen Autorität mit Recht Plantagen des Typhus und der
Tuberkulose genannt wurden. Doch war die Gestattung der vermehrten An¬
wendung des Eisens und die Beseitigung mehrer polizeilicher Sicherheitsma߬
regeln oder besser gesagt Plackereien immerhin ein Fortschritt.

Da nun aber auch in Oestreich nichts vollkommen sein kann, so wurde
auch das Wenige, was man gegeben, beschnitten und durch verschiedene Zusätze
und Nebenbedingungen verunstaltet. Man hatte allerdings schon früher den
Belagerungszustand aufgehoben, aber die Wahrzeichen desselben noch immer bei¬
behalten. Welches Unglück konnte durch ein Zuviel von Freiheit oder wenigstens
durch die Aussicht auf ein solches Zuviel gestiftet werden! Man durfte zwar
„von dem Tacte", d. h. von der Zähigkeit und volksfeindlichen Gesinnung der
mit der Vollziehung dieser Maßregeln beauftragten, unter dem schütze des Ab-


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[0294] der bedeutenden Bestimmungen festgehalten werden. Außerdem mußte ungefähr ein Drittheil der durch die Auflassung der'Esplanade oder des Glacis geschaf¬ fenen Bauplätze zur ausschließlichen Verfügung der Negierung reservirt bleiben; die übrigen Baugründe konnten an die Baulustigen, deren Eifer durch verhei¬ ßene vieljährige, jedoch nicht für alle Fälle gleiche Steuerfreiheit gesteigert wurde, verkauft werden. Indeß behielt sich die Negierung (oder vielmehr der Hof) auch da ein entscheidendes Volum vor. So geschah es. daß ein Platz, auf welchem die Gemeinde une Schule erbauen wollte, trotz wiederholter Bitten des Gemeinderathes der Stadt verweigert wurde, weil das Oberstallmeisteramt diesen Platz — nebenbei bemerkt, einen der schönstgelegenen Punkte am Rande der Vorstadt Mariahilf — als Futtermagazin der kaiserlichen Hofmarställe be¬ nutzte und nicht entbehren zu können vorgab. Ebenso wurden, während Pri¬ vatunternehmer die von ihnen beanspruchten Bauparzellen um sehr hohe Preise erstehen mußten, große Plätze um ein wahres Spottgeld an gewisse Begünstigte verkauft. Ein.Prinz, welcher ein vor seinem Palais befindliches kaum einige Quadratklaftern messendes Fleckchen der Stadt überließ, erhielt von derselben als Entschädigung einen an der Ringstraße liegenden freien Platz zur Erbauung eines neuen Palais, verkaufte aber denselben später um eine enorme Summe und sing auf einem Platze zu bauen an, welcher ihm unter irgendwelchem Lorwande von der Regierung geschenkt worden war. Gleichzeitig wurde eine neue Bauordnung veröffentlicht, wodurch allerdings mancherlei lästige Beschränkungen aufgehoben wurden, andrerseits aber der Schlendrian und der Betrug freieren Spielraum erhielten. Die Erdgeschosse brauchten fortan nicht mehr gewölbt zu werden, die Thür- und Fensterstöcke konnten aus be¬ liebigem Material verfertigt sein, die Höhe der Häuser und die Zahl der Etagen wurden gar keiner Beschränkung unterzogen, und so stiegen denn alsbald thurm- artige Kolosse in die Höhe, deren Inneres häufig gegen das Licht und die frische Luft fast hermetisch abgeschlossen war, und welche daher von einer be¬ rühmten medicinischen Autorität mit Recht Plantagen des Typhus und der Tuberkulose genannt wurden. Doch war die Gestattung der vermehrten An¬ wendung des Eisens und die Beseitigung mehrer polizeilicher Sicherheitsma߬ regeln oder besser gesagt Plackereien immerhin ein Fortschritt. Da nun aber auch in Oestreich nichts vollkommen sein kann, so wurde auch das Wenige, was man gegeben, beschnitten und durch verschiedene Zusätze und Nebenbedingungen verunstaltet. Man hatte allerdings schon früher den Belagerungszustand aufgehoben, aber die Wahrzeichen desselben noch immer bei¬ behalten. Welches Unglück konnte durch ein Zuviel von Freiheit oder wenigstens durch die Aussicht auf ein solches Zuviel gestiftet werden! Man durfte zwar „von dem Tacte", d. h. von der Zähigkeit und volksfeindlichen Gesinnung der mit der Vollziehung dieser Maßregeln beauftragten, unter dem schütze des Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/294>, abgerufen am 15.01.2025.