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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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da wohlgefällt, daß der Antrag verworfen werden und es beim Alten verbleiben
soll, der hebe da die Hand auf". Ist nach wiederholter Probe das Mehr noch
zweifelhaft, so treten zwei Männer aus dem Ring heraus, reichen sich die
Hände und halten dieselben empor, worauf die Stimmender einer nach dem
andern darunter hindurchgehen müssen, auf welche Weise die Zählung der für
die eine oder die andere Ansicht Votirenden mit Zuverlässigkeit beschafft wer¬
den kann.

Nach Beendigung der Abstimmung giebt der Landammann, auf das richter¬
liche Schwert gelehnt, Rechenschaft von den Geschäften und den politischen Ver¬
hältnissen des verflossenen Jahres und legt dann sein Amt in die Hände des
Volkes nieder, indem er das Schwert zu den Siegeln und Büchern auf dem
Tische deponirt und sich zu den Alt-Landammännern setzt. Hat er den Posten
erst ein Jahr bekleidet, so wird er in der Regel für ein zweites wiedergewählt.
Der Gewählte tritt dann an den Tisch und spricht den vom Landschreiber vor¬
gelesenen Eid nach: "Des Landes Ehre und Nutzen zu fördern, Schande,
Schaden und Laster zu wenden, vorzubringen, was vorzubringen ist, und ein
unparteiischer Richter zu sein und zu richten nach dem Recht, dem Armen wie
dem Reichen, dem Reichen wie dem Armen, dem Fremden wie dem Einheimi¬
schen, und hierum weder Geschenke, Geld noch Geldeswerth zu nehmen, außer
dem gewohnten Lohn, auch hierin nicht zu handeln aus Freundschaft noch
Feindschaft, noch aus andern Beweggründen, sondern allein nach dem Recht.
Alles getreu und ohne Gefährde".

Darauf hält der Landammann seine Antrittsrede und dann läßt er sich
von dem Ring durch den sogenannten Vaterlandscid Gehorsam schwören.
Weiterhin folgt die Berichterstattung des Seckelmeisters über den Zustand der
Finanzen, worauf auch dieser Beamte sein Amt niederlegt, aber auch gewöhn¬
lich wiedergewählt wird. Unter den Verhandlungsgegenständen nehmen die
Wahlen des Landammanns, des Landesstatthalters, des Pannerherrn, Landeshaupt¬
manns, Bauherrn u. s. w. die Hauptstelle ein, und die Betheiligung an diesen
ist sehr allgemein, wogegen sich bei anderen Gegenständen manche Bürger ent¬
fernen oder "die Hände im Sack behalten", d. h. sich der Abstimmung enthalten.
Ueber die Wichtigkeit oder UnWichtigkeit solcher Verhandlungsobjccte hat das
Volk oft seine ganz eigenthümliche Meinung. Ein von dem Verfasser ange¬
führtes Beispiel dafür ist sehr charakteristisch, so daß wir es wörtlich wieder¬
geben.

"Das Landbuch hat in Art. 202 die der jungen Welt sehr lästige Bestim¬
mung: das Tanzen nach neun Uhr Abends wie auch an Sonn- und Feiertagen
und an derselben Vorabenden und an Festtagen wie auch an den Markttagen
ist bei zehn Gulden Buß für jede Person und den Wirth verboten, wovon dem
Angeber der dritte Theil gefolgen soll. Auch ist das übertriebene sowie das


da wohlgefällt, daß der Antrag verworfen werden und es beim Alten verbleiben
soll, der hebe da die Hand auf". Ist nach wiederholter Probe das Mehr noch
zweifelhaft, so treten zwei Männer aus dem Ring heraus, reichen sich die
Hände und halten dieselben empor, worauf die Stimmender einer nach dem
andern darunter hindurchgehen müssen, auf welche Weise die Zählung der für
die eine oder die andere Ansicht Votirenden mit Zuverlässigkeit beschafft wer¬
den kann.

Nach Beendigung der Abstimmung giebt der Landammann, auf das richter¬
liche Schwert gelehnt, Rechenschaft von den Geschäften und den politischen Ver¬
hältnissen des verflossenen Jahres und legt dann sein Amt in die Hände des
Volkes nieder, indem er das Schwert zu den Siegeln und Büchern auf dem
Tische deponirt und sich zu den Alt-Landammännern setzt. Hat er den Posten
erst ein Jahr bekleidet, so wird er in der Regel für ein zweites wiedergewählt.
Der Gewählte tritt dann an den Tisch und spricht den vom Landschreiber vor¬
gelesenen Eid nach: „Des Landes Ehre und Nutzen zu fördern, Schande,
Schaden und Laster zu wenden, vorzubringen, was vorzubringen ist, und ein
unparteiischer Richter zu sein und zu richten nach dem Recht, dem Armen wie
dem Reichen, dem Reichen wie dem Armen, dem Fremden wie dem Einheimi¬
schen, und hierum weder Geschenke, Geld noch Geldeswerth zu nehmen, außer
dem gewohnten Lohn, auch hierin nicht zu handeln aus Freundschaft noch
Feindschaft, noch aus andern Beweggründen, sondern allein nach dem Recht.
Alles getreu und ohne Gefährde".

Darauf hält der Landammann seine Antrittsrede und dann läßt er sich
von dem Ring durch den sogenannten Vaterlandscid Gehorsam schwören.
Weiterhin folgt die Berichterstattung des Seckelmeisters über den Zustand der
Finanzen, worauf auch dieser Beamte sein Amt niederlegt, aber auch gewöhn¬
lich wiedergewählt wird. Unter den Verhandlungsgegenständen nehmen die
Wahlen des Landammanns, des Landesstatthalters, des Pannerherrn, Landeshaupt¬
manns, Bauherrn u. s. w. die Hauptstelle ein, und die Betheiligung an diesen
ist sehr allgemein, wogegen sich bei anderen Gegenständen manche Bürger ent¬
fernen oder „die Hände im Sack behalten", d. h. sich der Abstimmung enthalten.
Ueber die Wichtigkeit oder UnWichtigkeit solcher Verhandlungsobjccte hat das
Volk oft seine ganz eigenthümliche Meinung. Ein von dem Verfasser ange¬
führtes Beispiel dafür ist sehr charakteristisch, so daß wir es wörtlich wieder¬
geben.

„Das Landbuch hat in Art. 202 die der jungen Welt sehr lästige Bestim¬
mung: das Tanzen nach neun Uhr Abends wie auch an Sonn- und Feiertagen
und an derselben Vorabenden und an Festtagen wie auch an den Markttagen
ist bei zehn Gulden Buß für jede Person und den Wirth verboten, wovon dem
Angeber der dritte Theil gefolgen soll. Auch ist das übertriebene sowie das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/280>, abgerufen am 15.01.2025.