Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.cillzunahe Walzen bei zehn Gulden Buß verboten. -- Um die Tanz-Polizeistunde Die Rechtspflege in Uri hat starke Schattenseiten. Zu den formalen Be¬ cillzunahe Walzen bei zehn Gulden Buß verboten. — Um die Tanz-Polizeistunde Die Rechtspflege in Uri hat starke Schattenseiten. Zu den formalen Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283634"/> <p xml:id="ID_781" prev="#ID_780"> cillzunahe Walzen bei zehn Gulden Buß verboten. — Um die Tanz-Polizeistunde<lb/> zu beseitigen, movirte sich die junge Welt seit fast zwanzig Jahren in jeder<lb/> Landsgemeinde, aber vergebens, gegen die Alten und die Geistlichkeit. Ais ein<lb/> völliger Sieg unmöglich schien, wollte jene sich mit der Tanzfreiheit bis zwölf<lb/> Uhr begnügen, fand aber hierin denselben energischen Widerstand, bis 1863<lb/> nochmals ein Siebengeschlechtsbegehren für die Zugabe der drei Stunden an<lb/> die Landsgemeinde gebracht wurde. Zahlreich versammelte sich das souveräne<lb/> Volk auf dem Kampfplatze. Die Regierung unterstützte das Begehren, aber der<lb/> bischöfliche Commissarius trat mit seiner Rede dagegen auf und wurde vom<lb/> Altnationalrath Lusser mit Gründen der Moral und der Nationalökonomie<lb/> fecundirt. Sechs Redner traten für das Tanzen in die Schranken, und wie<lb/> ernst der Kampf war, zeigt die Mühe, mit welcher ein Resultat erlangt wurde.<lb/> Erst nach dreimaliger Abstimmung, bei welcher es laut und drohend herging,<lb/> ergaben sich 671 Stimmen für und S82 gegen das Begehren der tanzlustigen<lb/> Jugend. Es war das Haupttractandum. des Tages gewesen, und das weitere<lb/> Geschäft verlief rasch. Um Mitternacht aber schaute der Vollmond sichtbar ver¬<lb/> gnügt auf die vom Tanze heimkehrenden jauchzenden Gruppen der Jünglinge<lb/> und Jungfrauen von Uri herab."</p><lb/> <p xml:id="ID_782" next="#ID_783"> Die Rechtspflege in Uri hat starke Schattenseiten. Zu den formalen Be¬<lb/> sonderheiten gehört, daß jede Gerichtssitzung nach dem Reglement von 1851<lb/> mit Anrufung des heiligen Geistes und Abbetung von fünf Vaterunsern er¬<lb/> öffnet werden soll. Das Strafverfahren ist der modernen Anschauung theil¬<lb/> weise noch sehr fern. In dem Reglement für das Verhöramt, welches 1842<lb/> erschien, liest man: „Das Verhöramt ist ermächtigt, den Inquisiten im Läug-<lb/> nungssall bis auf drei Tage in jeder Woche an die magere Kost zu verordnen<lb/> und bis zehn Stockstreiche auf das Mal durch den Bettelvogt anzuwenden.<lb/> Wenn man jedoch in den Zwangsmaßnahmen dieses Maß zu überschreiten<lb/> nöthig fände, so sollen die weiteren Vollmachten beim Rathe eingeholt werden/'<lb/> Worin die das Normalmaß überschreitenden Zwangsmaßnahmen bestehen können,<lb/> erfährt man in dem Reglement nicht, doch belehrt darüber ein Straffall aus<lb/> dem Jahre 1861 zur Genüge. Caspar Zurfluh hatte seine Geliebte ermordet.<lb/> Obwohl starke Jndicien gegen ihn vorlagen, läugnete er hartnäckig, bis der oben<lb/> citirte Paragraph des Reglements ihn anderen Sinnes machte. „Was viel-<lb/> wöchige Gefangenschaft und mehrmalige Confrontationen und was selbst<lb/> schmale Kost bei dem rohen Verbrecher nicht vermochten," schrieb die Schwyzer<lb/> Zeitung, „das gelang durch die in jüngster Zeit gegen denselben in Anwendung<lb/> gebrachten territiolles reales." Diese törritiovos waren nun nicht ganz in dem<lb/> Sinne zu verstehen, wie in der alten guten Zeit der Folterkammern und<lb/> Daumenschrauben. Aber Tortur war es doch auch, was die altorfer Herren<lb/> beliebten, als sie das Verhöramt ermächtigten, die magere Kost (Wasser und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0281]
cillzunahe Walzen bei zehn Gulden Buß verboten. — Um die Tanz-Polizeistunde
zu beseitigen, movirte sich die junge Welt seit fast zwanzig Jahren in jeder
Landsgemeinde, aber vergebens, gegen die Alten und die Geistlichkeit. Ais ein
völliger Sieg unmöglich schien, wollte jene sich mit der Tanzfreiheit bis zwölf
Uhr begnügen, fand aber hierin denselben energischen Widerstand, bis 1863
nochmals ein Siebengeschlechtsbegehren für die Zugabe der drei Stunden an
die Landsgemeinde gebracht wurde. Zahlreich versammelte sich das souveräne
Volk auf dem Kampfplatze. Die Regierung unterstützte das Begehren, aber der
bischöfliche Commissarius trat mit seiner Rede dagegen auf und wurde vom
Altnationalrath Lusser mit Gründen der Moral und der Nationalökonomie
fecundirt. Sechs Redner traten für das Tanzen in die Schranken, und wie
ernst der Kampf war, zeigt die Mühe, mit welcher ein Resultat erlangt wurde.
Erst nach dreimaliger Abstimmung, bei welcher es laut und drohend herging,
ergaben sich 671 Stimmen für und S82 gegen das Begehren der tanzlustigen
Jugend. Es war das Haupttractandum. des Tages gewesen, und das weitere
Geschäft verlief rasch. Um Mitternacht aber schaute der Vollmond sichtbar ver¬
gnügt auf die vom Tanze heimkehrenden jauchzenden Gruppen der Jünglinge
und Jungfrauen von Uri herab."
Die Rechtspflege in Uri hat starke Schattenseiten. Zu den formalen Be¬
sonderheiten gehört, daß jede Gerichtssitzung nach dem Reglement von 1851
mit Anrufung des heiligen Geistes und Abbetung von fünf Vaterunsern er¬
öffnet werden soll. Das Strafverfahren ist der modernen Anschauung theil¬
weise noch sehr fern. In dem Reglement für das Verhöramt, welches 1842
erschien, liest man: „Das Verhöramt ist ermächtigt, den Inquisiten im Läug-
nungssall bis auf drei Tage in jeder Woche an die magere Kost zu verordnen
und bis zehn Stockstreiche auf das Mal durch den Bettelvogt anzuwenden.
Wenn man jedoch in den Zwangsmaßnahmen dieses Maß zu überschreiten
nöthig fände, so sollen die weiteren Vollmachten beim Rathe eingeholt werden/'
Worin die das Normalmaß überschreitenden Zwangsmaßnahmen bestehen können,
erfährt man in dem Reglement nicht, doch belehrt darüber ein Straffall aus
dem Jahre 1861 zur Genüge. Caspar Zurfluh hatte seine Geliebte ermordet.
Obwohl starke Jndicien gegen ihn vorlagen, läugnete er hartnäckig, bis der oben
citirte Paragraph des Reglements ihn anderen Sinnes machte. „Was viel-
wöchige Gefangenschaft und mehrmalige Confrontationen und was selbst
schmale Kost bei dem rohen Verbrecher nicht vermochten," schrieb die Schwyzer
Zeitung, „das gelang durch die in jüngster Zeit gegen denselben in Anwendung
gebrachten territiolles reales." Diese törritiovos waren nun nicht ganz in dem
Sinne zu verstehen, wie in der alten guten Zeit der Folterkammern und
Daumenschrauben. Aber Tortur war es doch auch, was die altorfer Herren
beliebten, als sie das Verhöramt ermächtigten, die magere Kost (Wasser und
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