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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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an den ersten Präsidenten des Appellationsgerichts, und dieser ent¬
wirft daraus die Jahresdienstliste der Geschwornen. In derselben Weise wird
von ihm aus Personen, welche am Sitzungsortc des Schwurgerichtshofs oder
in dessen nächster Umgebung wohnen, eine Liste der Ergänzungsgeschwornen
zusammengestellt. In jeder Liste müssen doppelt so viele Personen, als das
Bedürfniß erfordert, stehn. Beide Listen überschickt derselbe darauf dem Ober¬
staatsanwalt und für den Sprengel eines jeden Collegialgerichts erster In¬
stanz dem Präsidenten oder Director desselben. Diese Beamten haben
sich in 14 Tagen über die Qualification der aufgeführten Personen zum Ge-
schwornendienstc schriftlich zu äußern. "Die Wahl der Mittel, um sich die
hierzu erforderliche Kenntniß zu verschaffen. ist ihrem pflichtmäßigen Ermessen
überlassen." Nach Eingang dieser Aeußerungen reducirt der erste Präsident
des Appcllationsgerichts die Listen auf das vorhandne Bedürfniß und stellt
sie damit fest. Im Weiteren soll dann unser heutiges Verfahren wieder Platz
greifen.

Die Motive zu dieser Neuerung fordern. daß. wer die Dienstliste feststellt,
möglichst den Wünschen der in die Urliste eingetragenen Personen fern stehe;
von letzteren begehrten meist die Fähigen eine Befreiung vom Dienste, die
Unfähigen eine Berufung. Da nun für den allerdings personenkundigeren
Regierungspräsidenten doch die Bemerkungen des Landrat.hö allein maßgebend
sein würden, müsse ihm der Chefpräsident des Appellationsgerichts vorgezogen
werden, für den jene Bemerkungen auch nutzbar gemacht werden konnten.
Denn durch diese Neuerung erst werde die Feststellung der Dienstliste in den
Mittelpunkt der schwurgerichtlichen Rechtspflege verpflanzt und den richterlichen
Beamten anvertraut, der das unmittelbarste Interesse dabei habe, daß jene Rechts¬
pflege in seinem Departement sachgemäß gehandhabt werde, und der zugleich
in der Lage sei. bei der Aufstellung der einzelnen Sessionsverzeichnisse auf die
Eigenthümlichkeit der anstehenden Sachen Rücksicht zu nehmen. Nun müsse
seine Information über die einregistrirteü Personen möglichst vollständig ge¬
macht werden: daher die eben erwähnte mehrfache Begutachtung der Gerichts-
ldirectoren und selbst des Oberstaatsanwalts. Die proccssualische Stellung des
Letzteren könne kein Hinderungsgrund sein, seine Personcnkenntniß zu verwerthen,
zumal ja hier das Gutachten über bestimmte Personen der Liste erfolge und die
Schätzung des Gutachtens allein beim Chefpräsidenten stehe, "-welches durch
die Vergleichung mit den gutachtlichen Aeußerungen der andern zur Mitwirkung
berufenen Beamten geleitet werden kann/

Da liegt des Pudels Kern. Wozu noch die vielen beschwichtigenden Mo¬
tive? Sie verrathen den Punkt nur deutlicher. Zwar der richterliche Beamte
steht jetzt an Stelle der Verwaltungsbehörde (des Regierungspräsidenten). Aber
dieser letztere hat noch die Hand im Spiele, er stellt noch die einlaufenden Ur-


an den ersten Präsidenten des Appellationsgerichts, und dieser ent¬
wirft daraus die Jahresdienstliste der Geschwornen. In derselben Weise wird
von ihm aus Personen, welche am Sitzungsortc des Schwurgerichtshofs oder
in dessen nächster Umgebung wohnen, eine Liste der Ergänzungsgeschwornen
zusammengestellt. In jeder Liste müssen doppelt so viele Personen, als das
Bedürfniß erfordert, stehn. Beide Listen überschickt derselbe darauf dem Ober¬
staatsanwalt und für den Sprengel eines jeden Collegialgerichts erster In¬
stanz dem Präsidenten oder Director desselben. Diese Beamten haben
sich in 14 Tagen über die Qualification der aufgeführten Personen zum Ge-
schwornendienstc schriftlich zu äußern. „Die Wahl der Mittel, um sich die
hierzu erforderliche Kenntniß zu verschaffen. ist ihrem pflichtmäßigen Ermessen
überlassen." Nach Eingang dieser Aeußerungen reducirt der erste Präsident
des Appcllationsgerichts die Listen auf das vorhandne Bedürfniß und stellt
sie damit fest. Im Weiteren soll dann unser heutiges Verfahren wieder Platz
greifen.

Die Motive zu dieser Neuerung fordern. daß. wer die Dienstliste feststellt,
möglichst den Wünschen der in die Urliste eingetragenen Personen fern stehe;
von letzteren begehrten meist die Fähigen eine Befreiung vom Dienste, die
Unfähigen eine Berufung. Da nun für den allerdings personenkundigeren
Regierungspräsidenten doch die Bemerkungen des Landrat.hö allein maßgebend
sein würden, müsse ihm der Chefpräsident des Appellationsgerichts vorgezogen
werden, für den jene Bemerkungen auch nutzbar gemacht werden konnten.
Denn durch diese Neuerung erst werde die Feststellung der Dienstliste in den
Mittelpunkt der schwurgerichtlichen Rechtspflege verpflanzt und den richterlichen
Beamten anvertraut, der das unmittelbarste Interesse dabei habe, daß jene Rechts¬
pflege in seinem Departement sachgemäß gehandhabt werde, und der zugleich
in der Lage sei. bei der Aufstellung der einzelnen Sessionsverzeichnisse auf die
Eigenthümlichkeit der anstehenden Sachen Rücksicht zu nehmen. Nun müsse
seine Information über die einregistrirteü Personen möglichst vollständig ge¬
macht werden: daher die eben erwähnte mehrfache Begutachtung der Gerichts-
ldirectoren und selbst des Oberstaatsanwalts. Die proccssualische Stellung des
Letzteren könne kein Hinderungsgrund sein, seine Personcnkenntniß zu verwerthen,
zumal ja hier das Gutachten über bestimmte Personen der Liste erfolge und die
Schätzung des Gutachtens allein beim Chefpräsidenten stehe, „-welches durch
die Vergleichung mit den gutachtlichen Aeußerungen der andern zur Mitwirkung
berufenen Beamten geleitet werden kann/

Da liegt des Pudels Kern. Wozu noch die vielen beschwichtigenden Mo¬
tive? Sie verrathen den Punkt nur deutlicher. Zwar der richterliche Beamte
steht jetzt an Stelle der Verwaltungsbehörde (des Regierungspräsidenten). Aber
dieser letztere hat noch die Hand im Spiele, er stellt noch die einlaufenden Ur-


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[0027] an den ersten Präsidenten des Appellationsgerichts, und dieser ent¬ wirft daraus die Jahresdienstliste der Geschwornen. In derselben Weise wird von ihm aus Personen, welche am Sitzungsortc des Schwurgerichtshofs oder in dessen nächster Umgebung wohnen, eine Liste der Ergänzungsgeschwornen zusammengestellt. In jeder Liste müssen doppelt so viele Personen, als das Bedürfniß erfordert, stehn. Beide Listen überschickt derselbe darauf dem Ober¬ staatsanwalt und für den Sprengel eines jeden Collegialgerichts erster In¬ stanz dem Präsidenten oder Director desselben. Diese Beamten haben sich in 14 Tagen über die Qualification der aufgeführten Personen zum Ge- schwornendienstc schriftlich zu äußern. „Die Wahl der Mittel, um sich die hierzu erforderliche Kenntniß zu verschaffen. ist ihrem pflichtmäßigen Ermessen überlassen." Nach Eingang dieser Aeußerungen reducirt der erste Präsident des Appcllationsgerichts die Listen auf das vorhandne Bedürfniß und stellt sie damit fest. Im Weiteren soll dann unser heutiges Verfahren wieder Platz greifen. Die Motive zu dieser Neuerung fordern. daß. wer die Dienstliste feststellt, möglichst den Wünschen der in die Urliste eingetragenen Personen fern stehe; von letzteren begehrten meist die Fähigen eine Befreiung vom Dienste, die Unfähigen eine Berufung. Da nun für den allerdings personenkundigeren Regierungspräsidenten doch die Bemerkungen des Landrat.hö allein maßgebend sein würden, müsse ihm der Chefpräsident des Appellationsgerichts vorgezogen werden, für den jene Bemerkungen auch nutzbar gemacht werden konnten. Denn durch diese Neuerung erst werde die Feststellung der Dienstliste in den Mittelpunkt der schwurgerichtlichen Rechtspflege verpflanzt und den richterlichen Beamten anvertraut, der das unmittelbarste Interesse dabei habe, daß jene Rechts¬ pflege in seinem Departement sachgemäß gehandhabt werde, und der zugleich in der Lage sei. bei der Aufstellung der einzelnen Sessionsverzeichnisse auf die Eigenthümlichkeit der anstehenden Sachen Rücksicht zu nehmen. Nun müsse seine Information über die einregistrirteü Personen möglichst vollständig ge¬ macht werden: daher die eben erwähnte mehrfache Begutachtung der Gerichts- ldirectoren und selbst des Oberstaatsanwalts. Die proccssualische Stellung des Letzteren könne kein Hinderungsgrund sein, seine Personcnkenntniß zu verwerthen, zumal ja hier das Gutachten über bestimmte Personen der Liste erfolge und die Schätzung des Gutachtens allein beim Chefpräsidenten stehe, „-welches durch die Vergleichung mit den gutachtlichen Aeußerungen der andern zur Mitwirkung berufenen Beamten geleitet werden kann/ Da liegt des Pudels Kern. Wozu noch die vielen beschwichtigenden Mo¬ tive? Sie verrathen den Punkt nur deutlicher. Zwar der richterliche Beamte steht jetzt an Stelle der Verwaltungsbehörde (des Regierungspräsidenten). Aber dieser letztere hat noch die Hand im Spiele, er stellt noch die einlaufenden Ur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/27>, abgerufen am 15.01.2025.