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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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ihre Waaren zum etwaigen Verkauf an die Einwohner auszulegen, noch das
Stapelrecht der Kaufleute, z. B. der Hanseaten, vermöge dessen sie in den
Haupthandelsorten, besonders des Auslandes ihre Waaren zum Verkauf feil¬
halten durften. Hier liegt kein Zusammenströmen von Waaren, Werthen, Kauf¬
leuten verschiedenster Gegenden, keine feste, periodisch wiederkehrende Marktzeit
vor u. a. in.

Hauptnachricht über die großen Waaren- und Geldmärkte erhalten wir --
wie uns die kürzlich veröffentlichten Untersuchungen eines Rechtshistorikers lehren
-- aus den zerstreuten archivalischen Urkunden der deutschen Wechsler. Diese
trafen sich auf den Messen, hierhin dirigirten sie auch ihre Geschaftsgenossen.
ihre Diener, welche auf steten Reisen, wie ihre Herren, dem Wechselgeschäft
oblagen, hierhin stellten sie gegenseitig ihre Wechsel, ihre Schuldscheine aus,
hier beglichen sie ihre wechselseitigen Conti, hier nahmen und gaben sie Rück¬
Wechsel. Solche Märkte waren seit dem vierzehnten Jahrhundert hauptsächlich
Leipzig, Nürnberg, Frankfurt a. M., dann Augsburg, Naumburg, Breslau,
Posen, Thorn, Danzig; vornehmlich laufen Meßwechsel vom leipziger Oster-
markt auf die Michaelismessen der andern Städte. Die Märkte gewannen
eben, wie in der Champagne, zu der angegebenen Zeit einen besonderen Aus¬
schwung durch die größere Verbreitung der gezogenen Wechsel. Besondere
Marktprivilegien aus früherer Zeit sind allgemein für die ganze Zahl der
deutschen Märkte nicht aufzuführen. Specielle mMres ach toires mit Gerichts¬
barkeit in Marktprocessen gab es hier nicht; die Sachen wurden einfach vor
dem Rathe und Gerichte des Meßortes entschieden, das brachte die kleine Zahl
und die nicht hervorragende Stellung unserer Wechsler mit sich. Sehr spät erst,
im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert (mit einzelnen Ausnahmen, so von
Frankfurt a. M. schon im fünfzehnten Jahrhundert) trifft man auch hier die
genaue Eintheilung der Meßzeit für die einzelnen Zweige der Waaren- und
Geldgeschäfte, sowie eine Begünstigung der Meßwechsel durch kürzere Protest-
und Proceßfristen, schnelle Execution und höheres Wechselgeld. Letzteres sahen
selbst strenge Kanonisten als gerechtfertigt durch die Arbeit und Gefahr der
Wechsler, daher nicht als Wucher an; Luther dagegen, wie er in nicht wenig
Punkten über die Grenzen des kanonischen Rechtes hinaus eifert, ruft darüber
aus: "Der Wucher sitzt zu Leipzig, Augsburg, Frankfurt und dergleichen Städten
und handelt mit Geldsummen, auf jedem leipzigschen Markt nimmt man 30
aufs 100, in Naumburg gar 40, das sind nicht Jahr-, nicht Mond-, sondern
Wochenzins. Wer also von 100 si. 40 nimmt, das heißt einen Bauer oder
Bürger in einem Jahre gefressen. Hat einer 10,000 und nimmt 4000, das heißt
einen reichen Grafen, 1.000,000 und nimmt 400,000, einen großen König in
einem Jahre gefressen; und leidet darüber keine Fahr, weder an Leib noch an
Waare, arbeitet nichts, sitzt hinter dem Ofen und brät Aepfel. Pfui dich!


ihre Waaren zum etwaigen Verkauf an die Einwohner auszulegen, noch das
Stapelrecht der Kaufleute, z. B. der Hanseaten, vermöge dessen sie in den
Haupthandelsorten, besonders des Auslandes ihre Waaren zum Verkauf feil¬
halten durften. Hier liegt kein Zusammenströmen von Waaren, Werthen, Kauf¬
leuten verschiedenster Gegenden, keine feste, periodisch wiederkehrende Marktzeit
vor u. a. in.

Hauptnachricht über die großen Waaren- und Geldmärkte erhalten wir —
wie uns die kürzlich veröffentlichten Untersuchungen eines Rechtshistorikers lehren
— aus den zerstreuten archivalischen Urkunden der deutschen Wechsler. Diese
trafen sich auf den Messen, hierhin dirigirten sie auch ihre Geschaftsgenossen.
ihre Diener, welche auf steten Reisen, wie ihre Herren, dem Wechselgeschäft
oblagen, hierhin stellten sie gegenseitig ihre Wechsel, ihre Schuldscheine aus,
hier beglichen sie ihre wechselseitigen Conti, hier nahmen und gaben sie Rück¬
Wechsel. Solche Märkte waren seit dem vierzehnten Jahrhundert hauptsächlich
Leipzig, Nürnberg, Frankfurt a. M., dann Augsburg, Naumburg, Breslau,
Posen, Thorn, Danzig; vornehmlich laufen Meßwechsel vom leipziger Oster-
markt auf die Michaelismessen der andern Städte. Die Märkte gewannen
eben, wie in der Champagne, zu der angegebenen Zeit einen besonderen Aus¬
schwung durch die größere Verbreitung der gezogenen Wechsel. Besondere
Marktprivilegien aus früherer Zeit sind allgemein für die ganze Zahl der
deutschen Märkte nicht aufzuführen. Specielle mMres ach toires mit Gerichts¬
barkeit in Marktprocessen gab es hier nicht; die Sachen wurden einfach vor
dem Rathe und Gerichte des Meßortes entschieden, das brachte die kleine Zahl
und die nicht hervorragende Stellung unserer Wechsler mit sich. Sehr spät erst,
im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert (mit einzelnen Ausnahmen, so von
Frankfurt a. M. schon im fünfzehnten Jahrhundert) trifft man auch hier die
genaue Eintheilung der Meßzeit für die einzelnen Zweige der Waaren- und
Geldgeschäfte, sowie eine Begünstigung der Meßwechsel durch kürzere Protest-
und Proceßfristen, schnelle Execution und höheres Wechselgeld. Letzteres sahen
selbst strenge Kanonisten als gerechtfertigt durch die Arbeit und Gefahr der
Wechsler, daher nicht als Wucher an; Luther dagegen, wie er in nicht wenig
Punkten über die Grenzen des kanonischen Rechtes hinaus eifert, ruft darüber
aus: „Der Wucher sitzt zu Leipzig, Augsburg, Frankfurt und dergleichen Städten
und handelt mit Geldsummen, auf jedem leipzigschen Markt nimmt man 30
aufs 100, in Naumburg gar 40, das sind nicht Jahr-, nicht Mond-, sondern
Wochenzins. Wer also von 100 si. 40 nimmt, das heißt einen Bauer oder
Bürger in einem Jahre gefressen. Hat einer 10,000 und nimmt 4000, das heißt
einen reichen Grafen, 1.000,000 und nimmt 400,000, einen großen König in
einem Jahre gefressen; und leidet darüber keine Fahr, weder an Leib noch an
Waare, arbeitet nichts, sitzt hinter dem Ofen und brät Aepfel. Pfui dich!


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[0224] ihre Waaren zum etwaigen Verkauf an die Einwohner auszulegen, noch das Stapelrecht der Kaufleute, z. B. der Hanseaten, vermöge dessen sie in den Haupthandelsorten, besonders des Auslandes ihre Waaren zum Verkauf feil¬ halten durften. Hier liegt kein Zusammenströmen von Waaren, Werthen, Kauf¬ leuten verschiedenster Gegenden, keine feste, periodisch wiederkehrende Marktzeit vor u. a. in. Hauptnachricht über die großen Waaren- und Geldmärkte erhalten wir — wie uns die kürzlich veröffentlichten Untersuchungen eines Rechtshistorikers lehren — aus den zerstreuten archivalischen Urkunden der deutschen Wechsler. Diese trafen sich auf den Messen, hierhin dirigirten sie auch ihre Geschaftsgenossen. ihre Diener, welche auf steten Reisen, wie ihre Herren, dem Wechselgeschäft oblagen, hierhin stellten sie gegenseitig ihre Wechsel, ihre Schuldscheine aus, hier beglichen sie ihre wechselseitigen Conti, hier nahmen und gaben sie Rück¬ Wechsel. Solche Märkte waren seit dem vierzehnten Jahrhundert hauptsächlich Leipzig, Nürnberg, Frankfurt a. M., dann Augsburg, Naumburg, Breslau, Posen, Thorn, Danzig; vornehmlich laufen Meßwechsel vom leipziger Oster- markt auf die Michaelismessen der andern Städte. Die Märkte gewannen eben, wie in der Champagne, zu der angegebenen Zeit einen besonderen Aus¬ schwung durch die größere Verbreitung der gezogenen Wechsel. Besondere Marktprivilegien aus früherer Zeit sind allgemein für die ganze Zahl der deutschen Märkte nicht aufzuführen. Specielle mMres ach toires mit Gerichts¬ barkeit in Marktprocessen gab es hier nicht; die Sachen wurden einfach vor dem Rathe und Gerichte des Meßortes entschieden, das brachte die kleine Zahl und die nicht hervorragende Stellung unserer Wechsler mit sich. Sehr spät erst, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert (mit einzelnen Ausnahmen, so von Frankfurt a. M. schon im fünfzehnten Jahrhundert) trifft man auch hier die genaue Eintheilung der Meßzeit für die einzelnen Zweige der Waaren- und Geldgeschäfte, sowie eine Begünstigung der Meßwechsel durch kürzere Protest- und Proceßfristen, schnelle Execution und höheres Wechselgeld. Letzteres sahen selbst strenge Kanonisten als gerechtfertigt durch die Arbeit und Gefahr der Wechsler, daher nicht als Wucher an; Luther dagegen, wie er in nicht wenig Punkten über die Grenzen des kanonischen Rechtes hinaus eifert, ruft darüber aus: „Der Wucher sitzt zu Leipzig, Augsburg, Frankfurt und dergleichen Städten und handelt mit Geldsummen, auf jedem leipzigschen Markt nimmt man 30 aufs 100, in Naumburg gar 40, das sind nicht Jahr-, nicht Mond-, sondern Wochenzins. Wer also von 100 si. 40 nimmt, das heißt einen Bauer oder Bürger in einem Jahre gefressen. Hat einer 10,000 und nimmt 4000, das heißt einen reichen Grafen, 1.000,000 und nimmt 400,000, einen großen König in einem Jahre gefressen; und leidet darüber keine Fahr, weder an Leib noch an Waare, arbeitet nichts, sitzt hinter dem Ofen und brät Aepfel. Pfui dich!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/224>, abgerufen am 15.01.2025.