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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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fremden Dichter, den sie in deutsches Gewand kleidet, zu Nationalismen, und
sie bereichert durch das Genie des Fremden, welches sie mit unserer Sprache
verbindet, unsrer Poesie Kunst, Farbe und Sprache.

Die neue Uebersetzung umfaßt in ihrem ersten Theil -- Schule der Ehe¬
männer, Schule der Frauen, Misanthrop, Tartüffe, gelehrte Frauen, -- gerade
mehre für den Uebersetzer schwierige Aufgaben. Es ist eine Freude, in dem
Bande zu verfolgen, wie diese Schwierigkeiten ^überwunden sind. Denn die
Arbeit ist mit größter Liebe gemacht, mit dem feinsten Verständniß für Sprache
und Geist des Dichters, zu gleicher Zeit in reinem Geschmack, eine durchweg
saubere gute Leistung, der man sehr wenig von Übersetzungen aus dem
Französischen an die Seite setzen kann. Sie ist sehr treu und sehr deutsch.

Der Uebersetzer hat den Muth gehabt, den deutschen Vers zu wählen,
welcher für Moliöre der allein richtige ist, unsern dramatischen Vers, den jambischen
Fünffuß. Was er selbst in der Vorrede dafür anführt, ist unwiderlegbar.
Der Charakter des französischen Alexandriners ist von dem des deutschen
Alexandriners grundverschieden. Dieser Sechsfuß ist für die französische Sprache
in der That der gebotene dramatische Vers, wie unser Fünfsuß für das Deutsche.
Das unerträgliche Geklapper, selbst das scharfe Vortönen des Reims, welches
im Deutschen der Tod bewegter dramatischer Rede wird, ist im Französischen
nicht fühlbar. Die französischen Verse sind nur Accentverse, ohne Längen und
Kürzen, und im Ganzen ohne gebotene Hebungs- und Senkungssilben, wie bei
uns. der Versaccent tönt schon deshalb weniger stark aus der rollenden Rede,
und er wird durch den launischen Wortaccent, durch schnellen Wechsel des Rede-
tempo, durch das vom Sinne des Satzes abhängige Zusammenfassen und
Dehnen der einzelnen Wörter im Französischen viel lebhafter gebrochen und
variirt, als dem deutschen Vers möglich ist. Auch der Reim klingt bei solcher
Redeweise weniger voll und zusammenschließend als bei uns. Im Französischen
ist deshalb der Alexandriner ein leichtes schmiegsames Gewand, bei uns ein
schweres gepapptes Kostüm, welches die feinen Seelenbewegungen verdeckt. Wenn
man sich in Uebersetzung französischer Tragiker noch eher den Pomp eines
solchen Redegewandes gefallen lassen kann, -- obgleich er auch ihnen die
Schwäche ihrer Poesie unbillig hervorhebt -- so ist er bei dem beweglichen, geist-
sprüdelnden Lustspieldichter geradezu unerträglich. Deshalb wer Moliöre treu
in unsere Sprache übertragen will, der muß ihm auch die Art von Wohllaut
geben, welche unsere Sprache in dramatischer Rede zu verwenden fähig ist.
Wenn unser Fünffuß immer noch am besten entspricht, so giebt freilich auch er nicht
vollständig das Costüm der französischen Versrede wieder, an die Stelle des
schmeichelnden Klanges ist ein ruhig gehaltener Ausdruck getreten, die Sprache
des deutschen Moliöre ist um etwas mehr vergeistigt und minder beifallslustig;
aber der große Dichter der Franzosen kann sich diese Umbildung in deutsches


fremden Dichter, den sie in deutsches Gewand kleidet, zu Nationalismen, und
sie bereichert durch das Genie des Fremden, welches sie mit unserer Sprache
verbindet, unsrer Poesie Kunst, Farbe und Sprache.

Die neue Uebersetzung umfaßt in ihrem ersten Theil — Schule der Ehe¬
männer, Schule der Frauen, Misanthrop, Tartüffe, gelehrte Frauen, — gerade
mehre für den Uebersetzer schwierige Aufgaben. Es ist eine Freude, in dem
Bande zu verfolgen, wie diese Schwierigkeiten ^überwunden sind. Denn die
Arbeit ist mit größter Liebe gemacht, mit dem feinsten Verständniß für Sprache
und Geist des Dichters, zu gleicher Zeit in reinem Geschmack, eine durchweg
saubere gute Leistung, der man sehr wenig von Übersetzungen aus dem
Französischen an die Seite setzen kann. Sie ist sehr treu und sehr deutsch.

Der Uebersetzer hat den Muth gehabt, den deutschen Vers zu wählen,
welcher für Moliöre der allein richtige ist, unsern dramatischen Vers, den jambischen
Fünffuß. Was er selbst in der Vorrede dafür anführt, ist unwiderlegbar.
Der Charakter des französischen Alexandriners ist von dem des deutschen
Alexandriners grundverschieden. Dieser Sechsfuß ist für die französische Sprache
in der That der gebotene dramatische Vers, wie unser Fünfsuß für das Deutsche.
Das unerträgliche Geklapper, selbst das scharfe Vortönen des Reims, welches
im Deutschen der Tod bewegter dramatischer Rede wird, ist im Französischen
nicht fühlbar. Die französischen Verse sind nur Accentverse, ohne Längen und
Kürzen, und im Ganzen ohne gebotene Hebungs- und Senkungssilben, wie bei
uns. der Versaccent tönt schon deshalb weniger stark aus der rollenden Rede,
und er wird durch den launischen Wortaccent, durch schnellen Wechsel des Rede-
tempo, durch das vom Sinne des Satzes abhängige Zusammenfassen und
Dehnen der einzelnen Wörter im Französischen viel lebhafter gebrochen und
variirt, als dem deutschen Vers möglich ist. Auch der Reim klingt bei solcher
Redeweise weniger voll und zusammenschließend als bei uns. Im Französischen
ist deshalb der Alexandriner ein leichtes schmiegsames Gewand, bei uns ein
schweres gepapptes Kostüm, welches die feinen Seelenbewegungen verdeckt. Wenn
man sich in Uebersetzung französischer Tragiker noch eher den Pomp eines
solchen Redegewandes gefallen lassen kann, — obgleich er auch ihnen die
Schwäche ihrer Poesie unbillig hervorhebt — so ist er bei dem beweglichen, geist-
sprüdelnden Lustspieldichter geradezu unerträglich. Deshalb wer Moliöre treu
in unsere Sprache übertragen will, der muß ihm auch die Art von Wohllaut
geben, welche unsere Sprache in dramatischer Rede zu verwenden fähig ist.
Wenn unser Fünffuß immer noch am besten entspricht, so giebt freilich auch er nicht
vollständig das Costüm der französischen Versrede wieder, an die Stelle des
schmeichelnden Klanges ist ein ruhig gehaltener Ausdruck getreten, die Sprache
des deutschen Moliöre ist um etwas mehr vergeistigt und minder beifallslustig;
aber der große Dichter der Franzosen kann sich diese Umbildung in deutsches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/134>, abgerufen am 15.01.2025.