Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Die Andern gönnen sich oder Preußen zwar alle möglichen moralischen oder Der Majorität des Abgeordnetenhauses dagegen fehlt es an jeder wirk¬ Die Andern gönnen sich oder Preußen zwar alle möglichen moralischen oder Der Majorität des Abgeordnetenhauses dagegen fehlt es an jeder wirk¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283364"/> <p xml:id="ID_12" prev="#ID_11"> Die Andern gönnen sich oder Preußen zwar alle möglichen moralischen oder<lb/> unmoralischen Eroberungen, begreifen aber nicht, daß man dazu des .ohn«<lb/> mächtigen" Abgeordnetenhauses bedürfen könne. Dies sind diejenigen Gläubigen,<lb/> auf welche Herrn v. Bismarcks frühere Ermuthigungsprebigten, seine syste¬<lb/> matische Verhöhnung des Hauses und des ganzen parlamentarischen Wesens<lb/> eine zu starke, ihm selber jetzt unbequeme Wirkung gethan haben. Beide Frac-<lb/> tionen oder Stimmungen aber vereint haben ihm wiederholt Steine in den<lb/> Weg geworfen, wenn er einen ernsthaften Anlauf zur Verständigung mit dem<lb/> Abgeordnetenhause nehmen wollte. Zweimal glaubte er und der Kriegsminister<lb/> den König soweit zu haben, daß ein der Mehrheit sicherer Militärgcsetzentwurf<lb/> dem Hause vorgelegt oder im Hause als annehmbar bezeichnet werden könne,<lb/> — und beide Male strauchelten sie über eine Nebensache oder Kleinigkeit. Nur<lb/> eine ernstere Verlegenheit des Staates verspricht diese Schwäche des Versöhnungs-<lb/> triebeS, die aus dem doppelten Siegesgefühl des Staates und der Partei ent¬<lb/> springt, zu heben. Das correcte constitutionelle Mittel, Entlassungsgesuch der<lb/> Minister im Falle der Nichtzustimmung zu nothwendigen Maßregeln, liegt theils<lb/> der ganzen Anschauungsweise der Herren v. Bismarck und v. Roon zu fern,<lb/> theils mangelt ihnen für den Gebrauch desselben auch eine allerdings kaum<lb/> entbehrliche Sicherheit, die des Rückzuges an die Spitze einer mächtigen parla¬<lb/> mentarischen Opposition.</p><lb/> <p xml:id="ID_13" next="#ID_14"> Der Majorität des Abgeordnetenhauses dagegen fehlt es an jeder wirk¬<lb/> samen Organisation. Ihre Scheidung in zwei große Clubs hat keine innere<lb/> Bedeutung mehr, da während der ganzen Session wohl nicht eine einzige Ab¬<lb/> stimmung vorgekommen ist, in welcher die beiden Fractionen geschlossen gegen<lb/> oder neben einander aufgetreten wären, dagegen verschiedene, welche beide<lb/> Fractionen in gleicher Auflösung zeigten. In der That halten dieselben nur<lb/> noch rein äußerlich zusammen; ihre immer seltener gewordenen Sitzungen haben<lb/> im Grunde keinen andern Werth mehr, als daß sie zwanglose Gelegenheiten<lb/> sind, um die Tagesordnung des nächsten Plenums einmal unter guten Freunden<lb/> bei Bier und Tabak vorher durchzusprechen, oder zu erproben, welcher Chancen<lb/> im Hause ein bestimmter Antrag sich zu erfreuen haben werde. Der Unterschied<lb/> zwischen der Fortschrittspartei und dem linken Centrum , beschränkt sich etwa<lb/> darauf, daß jene dem bureaukratischen Geschäftsbetrieb des Hauses, der alles<lb/> Wichtige in die Commissionen verweist und seinen Ruhm im Arbeiten sucht,<lb/> anstatt im Erfolg, nicht ganz so maßlos huldigt wie das letztere. Im linken<lb/> Centrum hat die Scheu der Herren Gneist und v. Bockum-Dolffs vor der<lb/> Oeffentlichkeit es glücklich dahin gebracht, daß alle innern Vorgänge mit einem<lb/> dichten Schleier überzogen und dem profanen Auge verdeckt geblieben sind.<lb/> Es ist ihnen gelungen, das „Amtsgeheimniß" zur Seele ihrer Parlaments¬<lb/> partei zu machen; um diesen Preis haben sie die Ihrigen zusammengehalten,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
Die Andern gönnen sich oder Preußen zwar alle möglichen moralischen oder
unmoralischen Eroberungen, begreifen aber nicht, daß man dazu des .ohn«
mächtigen" Abgeordnetenhauses bedürfen könne. Dies sind diejenigen Gläubigen,
auf welche Herrn v. Bismarcks frühere Ermuthigungsprebigten, seine syste¬
matische Verhöhnung des Hauses und des ganzen parlamentarischen Wesens
eine zu starke, ihm selber jetzt unbequeme Wirkung gethan haben. Beide Frac-
tionen oder Stimmungen aber vereint haben ihm wiederholt Steine in den
Weg geworfen, wenn er einen ernsthaften Anlauf zur Verständigung mit dem
Abgeordnetenhause nehmen wollte. Zweimal glaubte er und der Kriegsminister
den König soweit zu haben, daß ein der Mehrheit sicherer Militärgcsetzentwurf
dem Hause vorgelegt oder im Hause als annehmbar bezeichnet werden könne,
— und beide Male strauchelten sie über eine Nebensache oder Kleinigkeit. Nur
eine ernstere Verlegenheit des Staates verspricht diese Schwäche des Versöhnungs-
triebeS, die aus dem doppelten Siegesgefühl des Staates und der Partei ent¬
springt, zu heben. Das correcte constitutionelle Mittel, Entlassungsgesuch der
Minister im Falle der Nichtzustimmung zu nothwendigen Maßregeln, liegt theils
der ganzen Anschauungsweise der Herren v. Bismarck und v. Roon zu fern,
theils mangelt ihnen für den Gebrauch desselben auch eine allerdings kaum
entbehrliche Sicherheit, die des Rückzuges an die Spitze einer mächtigen parla¬
mentarischen Opposition.
Der Majorität des Abgeordnetenhauses dagegen fehlt es an jeder wirk¬
samen Organisation. Ihre Scheidung in zwei große Clubs hat keine innere
Bedeutung mehr, da während der ganzen Session wohl nicht eine einzige Ab¬
stimmung vorgekommen ist, in welcher die beiden Fractionen geschlossen gegen
oder neben einander aufgetreten wären, dagegen verschiedene, welche beide
Fractionen in gleicher Auflösung zeigten. In der That halten dieselben nur
noch rein äußerlich zusammen; ihre immer seltener gewordenen Sitzungen haben
im Grunde keinen andern Werth mehr, als daß sie zwanglose Gelegenheiten
sind, um die Tagesordnung des nächsten Plenums einmal unter guten Freunden
bei Bier und Tabak vorher durchzusprechen, oder zu erproben, welcher Chancen
im Hause ein bestimmter Antrag sich zu erfreuen haben werde. Der Unterschied
zwischen der Fortschrittspartei und dem linken Centrum , beschränkt sich etwa
darauf, daß jene dem bureaukratischen Geschäftsbetrieb des Hauses, der alles
Wichtige in die Commissionen verweist und seinen Ruhm im Arbeiten sucht,
anstatt im Erfolg, nicht ganz so maßlos huldigt wie das letztere. Im linken
Centrum hat die Scheu der Herren Gneist und v. Bockum-Dolffs vor der
Oeffentlichkeit es glücklich dahin gebracht, daß alle innern Vorgänge mit einem
dichten Schleier überzogen und dem profanen Auge verdeckt geblieben sind.
Es ist ihnen gelungen, das „Amtsgeheimniß" zur Seele ihrer Parlaments¬
partei zu machen; um diesen Preis haben sie die Ihrigen zusammengehalten,
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